Wenn die digitale Aufholjagd stockt

„Seit Jahrzehnten haben wir Digitalisierung als Nischenthema betrachtet“

von - 09.07.2023
Alexander Rabe ist seit Januar 2018 Geschäftsführer des eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. Im Interview mit com! professional erklärt er die Sicht des eco auf den aktuellen Status der Digitalisierung in Deutschland und die von der Bundesregierung entwickelte Digitalstrategie – und sieht letzlich nur wenig Licht und viel mehr Schatten.
com! professional: Herr Rabe, wo steht Deutschland bei der Digitalisierung in Europa und der Welt?
Alexander Rabe
Geschäftsführer des eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.
(Quelle: eco )
Alexander Rabe:
Im europäischen Vergleich steht Deutschland aktuell auf Platz 13 von 27 EU-Ländern – also im schlechten Mittelfeld. Bei einem so starken Wirtschaftsstandort wie Deutschland wird da natürlich die Frage laut, woran das liegt. Aus meiner Sicht ist dieses Problem hausgemacht: Seit Jahrzehnten haben wir Digitalisierung als Nischenthema betrachtet. Schnelles Internet war lange Zeit ein Nice to Have. Erst mit der Corona-Pandemie hat die Debatte über die Bedeutung von digitaler Bildung und digitaler Verwaltung an Fahrt aufgenommen, während zum Beispiel in den Amtsstuben noch fleißig gefaxt wurde.
Digitale Vorreiter wie Estland machen uns vor, wie es besser gehen kann: Die Einführung einer elektronischen Identität fand dort bereits im Jahr 2000 statt, Internetzugang gilt sogar als Menschenrecht. Heute werden rund 99 Prozent der staatlichen Dienstleistungen online abgewickelt, von der elektronischen Stimmabgabe bei Wahlen bis hin zu Steuerdienstleistungen. Davon können wir in Deutschland aktuell nur träumen.  
com! professional: Welche Entwicklung sehen Sie positiv, wo sehen Sie Nachholbedarf?
Rabe: Nach einem Jahr Ampelregierung haben wir im Verband Ende vergangenen Jahres ein erstes Resümee gezogen: Auch hier sehen wir, dass insbesondere die Digitalisierung von Verwaltungsdienstleistungen und Bürokratieabbau nur schleppend vorankommt. Das gilt zum Beispiel auch für die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Hier besteht als noch dringender Handlungsbedarf.
Etwas positiver hat sich dagegen durchaus die Dynamik beim Ausbau digitaler Infrastrukturen entwickelt. Mit ihrer im Juli 2022 veröffentlichten Gigabit-Strategie und dem Aufbau des Gigabit-Grundbuchs ist die Ampel ihrem Ziel eines beschleunigten Ausbaus gigabitfähiger Infrastruktur zumindest nähergekommen.   
com! professional: Wo müssen Bund und Länder Ihrer Meinung nach bei der Digitalisierung ansetzen, damit Deutschland auch künftig wettbewerbsfähig bleibt?
Rabe: Ich denke, wir brauchen vor allem mehr Lust auf Innovation. Digitalisierung sollte als Teil der Lösung zur Bewältigung der großen Zukunftsherausforderungen der Menschheit betrachtet werden. Das erfordert sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft ein verändertes Mindset.
Deutschland ist Technologie-ängstlich; die Politik spiegelt diese Situation letztlich wider. Auch muss die Politik mehr ressortübergreifend denken und handeln, raus aus den Silos, rein in neue, agile Formen des Miteinanders. Ungewohnt für politische Prozesse, aber notwendig, um mit den rasanten Entwicklungen der Digitalisierung mithalten zu können.
Hinzu kommt, dass das Thema Datenschutz bei uns in Deutschland so problembehaftet diskutiert wird. Wir haben mit der DSGVO einen europäischen Rahmen, aber wir leisten uns in Deutschland die Besonderheit 16 unterschiedlicher Interpretationen dieses einheitlichen Rahmens. Solche Auswüchse hemmen digitale Innovationen noch weiter und bringen uns im internationalen Wettbewerb sicherlich nicht weiter nach vorn.
com! professional: Würde ein dediziertes Digitalministerium auf Bundesebene den Durchbruch bringen?
Rabe: Unser Verband fordert tatsächlich seit Jahren ein Digitalministerium auf Bundesebene mit Federführung, ressortübergreifenden Kompetenzen und einem eigenen Digitalbudget. Das historische Momentum, ein solches auch wirklich einzurichten, hat die Ampelregierung leider verpasst.
Natürlich betrifft die Digitalisierung als Querschnittsthema verschiedene Bundesministerien. Doch was wir aktuell sehen, ist eine Verantwortungsdiffusion: Niemand fühlt sich so richtig zuständig. Das bringt uns als Standort entsprechend nicht voran und kostet zudem wertvolle Zeit in der Koordination der einzelnen, teilweise dann auch widersprüchlichen Regulierungsvorhaben.
Verwandte Themen