Wenn die digitale Aufholjagd stockt

„Das Mindset in Deutschland ist eher risikoavers“

von - 09.07.2023
Benjamin Brake ist Leiter der Abteilung „Digital- und Datenpolitik“ im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Im Interview mit com! professional skizziert er die zentralen Punkte der Digitalstrategie der Bundesregierung und ihre Herausforderungen.
com! professional: Herr Brake, die Europäische Kommission veröffentlicht jährlich den Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI). Deutschland lag hier 2022 mit einem Indexwert von 52,9 nur im Mittelfeld unter den EU-Ländern. Wie bewerten Sie dieses Ergebnis?
Benjamin Brake
Leiter der Abteilung „Digital- und Datenpolitik“ im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV)
(Quelle: Privat )
Benjamin Brake:
Ich kommentiere grundsätzlich keine Studien mehr, weil für die Ergebnisse immer die Fragestellungen und das Design der Studien entscheidend sind. Ich sehe hierzulande zwei große Hemmschuhe für die Digitalisierung. Zum einen haben wir in Deutschland eine Überregulierung im Digitalbereich; vor allem mittelständische Unternehmen stehen hier vor großen Problemen. Zum anderen ist das Mindset in Deutschland eher risikoavers. Das Speichern, Verarbeiten und Teilen von Daten etwa wird häufig als Risiko gesehen, dessen Auswirkungen es zu minimieren gilt. Wir sollten hier chancenorientierter denken, um die Digitalisierung voranzutreiben.
com! professional: Genau dafür hat die Bundesregierung eine Digitalstrategie entwickelt. Welche zentralen Bausteine umfasst diese Initiative?  
Brake: Die Digitalstrategie bildet ein gemeinsames Dach für die digitalpolitischen Schwerpunkte und Ziele der Ministerien. Grundsätzlich deckt sie drei zentrale Handlungsfelder ab: Vernetzte Gesellschaft, innovative Wirtschaft und digitaler Staat. Zur vernetzten Gesellschaft gehören beispielsweise Themen wie Glasfaser, Mobilfunk, Bildung in jedem Lebensalter, vernetztes Gesundheitswesen oder digitale Teilhabe für alle.
Innovative Wirtschaft umfasst Aspekte wie den Aufbau von Datenräumen zur Förderung datenbasierter Geschäftsmodelle oder zur besseren Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft, Förderung von Start-ups sowie von Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI), das 5G- und 6G-Netz für den Mobilfunk, Robotik oder Quantencomputer. Das dritte Themencluster Digitaler Staat enthält Themen wie eGovernment, Open Data, digitalisierte Polizei oder Cybersicherheit.
com! professional: Das sind sehr viele unterschiedliche Themenfelder, bei denen man schnell den Überblick verlieren kann. Gibt es hier einen roten Faden beziehungsweise Prioritäten bei der Umsetzung?
Brake: Wir treiben ressortübergreifend digitale Hebelprojekte voran, von denen wir eine katalysatorische und beschleunigende Wirkung auf andere Projekte erwarten. Erstens sind das der flächendeckende Gigabit-Ausbau für schnelles Internet und die Verfügbarkeit von Daten als grundlegende Voraussetzung für die digitale Wertschöpfung. Zweitens geht es um offene und internationale Standards für den Aufbau von vernetzten Datenräumen etwa für Verkehr und Mobilität, um Anwendungen wie das automatisierte Fahren grenzüberschreitend nutzen zu können. Ziel ist hier, mehr neue datengetriebene Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Drittes Hebelprojekt ist der Einsatz von sicheren und nutzerfreundlichen digitalen Identitäten sowie modernen Registern für digitale Verwaltungsleistungen.
com! professional: Welche Rolle spielen die Leuchtturmprojekte im Rahmen der Digitalstrategie?
Brake: Die digitalen Leuchtturmprojekte sind Vorhaben mit Signalwirkung. Sie sollen zeigen, wie die Digitalisierung das Leben der Menschen in Deutschland vereinfacht und verbessert. Jedes Ressort der Bundesregierung hat für die Digitalstrategie mindestens ein Projekt beigesteuert. Bis 2025 wollen wir sie umsetzen. Die Palette reicht vom Ökosystem für Mobilitätsdaten über die Elektronische Patientenakte und einer nationalen Bildungsplattform bis hin zum Zentrum für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz.
Den Fortschritt der Leuchtturmprojekte überwacht der Beirat Digitalstrategie Deutschland, ein Gremium mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Der Beirat tagt einmal im Monat, jeweils zwei Ministerien stellen dann ihre Leuchtturmprojekte vor. Er soll als Echokammer dienen, externe Impulse setzen und für Transparenz sorgen. Der Fortschritt der Projekte wird nach den Sitzungen des Beirates dokumentiert und regelmäßig auf der Webseite www.digitalstrategie-deutschland.de veröffentlicht.
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