Wenn die digitale Aufholjagd stockt

Das will die Bundesregierung

von - 09.07.2023
Vielleicht kann man ja sogar froh sein, dass die Wirtschaft unter dem Eindruck der aktuellen Ausnahmesituation keine Rückschritte bei der Digitalisierung gemacht hat. Umso wichtiger ist es gegenwärtig, zumindest die Rahmenbedingungen für die digitale Entwicklung hierzulande zu verbessern. Hier ist ganz entscheidend die Politik in Bund und Ländern gefragt. Die Bundesregierung hat dazu im letzten Jahr auch eine Digitalstrategie für Deutschland als „Wegweiser für den digitalen Aufbruch“ erarbeitet koordiniert vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr.
  • Die Digitalstrategie soll ein gemeinsames Dach für die digitalpolitischen Schwerpunkte und Ziele der Ministerien bilden. Sie gliedert sich in die drei Handlungsfelder „Vernetzte und digital souveräne Gesellschaft“, „Innovative Wirtschaft, Arbeitswelt, Wissenschaft und Forschung“ und „Lernender, digitaler Staat“.
  • Weitere zentrale Punkte sind die von Benjamin Brake im Interview beschriebenen Hebelprojekte und Leuchtturmprojekte sowie teilweise messbare Ziele, die bis 2025 erreicht werden sollen. Dazu gehören beispielsweise
  • Glasfaseranschlüsse bei der Hälfte aller Haushalte und Unternehmen
  • digitalisierte Verwaltungsleistungen mit Hilfe staatlicher, digitaler Identitäten
  • ein chancengleiches, barrierefreies Bildungs-Ökosystem als Angebot für alle Lebensphasen.
  • die Nutzung der elektronische Patientenakte von mindestens 80 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten und das E-Rezept als Standard
  • ein moderner Rechtsrahmen für die Nutzung von Daten und vernetzte Datenräume
  • sowie auf internationaler Ebene der Einsatz für ein Internet als freien, demokratisierenden Raum mit einer globalen, digitalen Ordnung auf Basis der Menschenrechte

Monitoring der Ziele

Laut Benjamin Brake vom BMDV überwacht die Bundesregierung den Fortschritt der Digitalstrategie kontinuierlich, um nachsteuern zu können. Der „Beirat Digitalstrategie Deutschland“ nimmt in seinen monatlichen Sitzungen vor allem die digitalen Leuchtturmprojekte der Digitalstrategie unter die Lupe. Er besteht aus 19 Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft und steht unter dem Vorsitz von Professorin Louisa Specht-Riemenschneider, Universität Bonn, und Thomas Koenen vom BDI.
Die zweite Säule des Monitorings bildet eine Datenbank, die Zwischenstände der insgesamt 135 Zielvorgaben der Digitalstrategie kontinuierlich erfasst und damit einen Überblick über den Status quo bietet. Diese Datenbank befand sich zum Redaktionsschluss noch im Aufbau. Die gemeinsame Datenbasis soll nicht nur für Transparenz sorgen, sondern auch Synergien zwischen den Bundesministerien ermöglichen.
Zum dritten soll im Rahmen des vom BMDV geförderten Forschungsvorhabens „Agora Digitale Transformation“ die Frage der Effektivität geklärt werden. Wirken sich die umgesetzten Digitalisierungsvorhaben tatsächlich positiv auf das Leben von Bürgerinnen und Bürgern aus? Die Ergebnisse der Studie an ausgewählten Digitalvorhaben werden wohl Ende 2023 veröffentlicht und zeigen auf, wo eventuell noch Anpassungsbedarf besteht.
Themenbereiche der Digitalstrategie
Die Digitalstrategie der Bundesregierung umfasst drei große Themenfelder mit 24 Unterkategorien:
Vernetzte Gesellschaft
  • Digitale Infrastrukturen
  • Bildung in allen Lebensphasen
  • Gesundheit und Pflege
  • Mobilität
  • Bauen
  • Digitale Zivilgesellschaft
  • Kultur und Medien
  • Teilhabe und Barrierefreiheit
Innovative Wirtschaft
  • Datenökonomie
  • Wissenschaft und Forschung
  • Standortentwicklung
  • Fachkräfte
  • Klimaschutz
  • Neue Arbeitswelt
  • Schlüsseltechnologien
  • Landwirtschaft
Digitaler Staat
  • Digitale Verwaltung
  • Open Data
  • Digitale Polizei
  • Digitale Justiz
  • Digitale Souveränität
  • Cybersicherheit
  • Verteidigung
  • Internationales

Bitkom: Gemischte Bilanz

Fabian Zacharias, Leiter Public Affairs beim Branchenverband Bitkom, bewertet das Monitoring der Ziele der Digitalstrategie und vor allem das Begleitgremium des Digitalbeirates sehr positiv: „Die Berichterstattung zu den Leuchtturmprojekten kann Transparenz liefern und zugleich für Umsetzungsdruck sorgen. Dadurch entsteht ein wichtiges Instrument, das Alarm schlägt, wenn Digitalisierungsprojekte zu langsam umgesetzt werden.“ Die Digitalstrategie der Bundesregierung sieht er als Schritt in die richtige Richtung und als verbindlichen Fahrplan, auf den sich alle Ressorts verständigt hätten.
„Dieser gemeinsame Schritt verpflichtet sie, bis 2025 ihre Hausaufgaben zu machen. Die Ziele sind realistisch und helfen, den Digitalisierungsstau aufzulösen, der in den letzten Jahren entstanden ist. Doch aktuell steht ein Großteil der Ziele nur auf Papier. Sie müssen noch umgesetzt werden. Und hier hapert es. Es gibt viele Projekte ohne Meilensteine und klaren Plan“, moniert Fabian Zacharias.
Fabian Zacharias
Leiter Public Affairs beim Bitkom
Foto: Bitkom
„Das Digitalbudget sollte eigentlich mit dem Haushalt 2024 kommen. Das ist reichlich spät, wenn man bis zum Ende der Legislaturperiode noch etwas bewirken will.“
Als erstes Beispiel nennt er die digitale Identität als Basis für den Online-Ausweis und die Identifikation für digitale Verwaltungsleistungen und digitale Geschäftsmodelle, die 2023 kommen soll. „Hier gibt es bisher noch keine offiziellen Verlautbarungen. Das ist ein Problem. Hier stockt es. Denn bei digitalen Identitäten sind wir im Vergleich etwa zu Estland, Dänemark und mittlerweile auch Italien und Frankreich im Rückstand. Ein Hemmschuh für die Verwaltungsdigitalisierung ist hierzulande auch der Föderalismus, der bei der Digitalisierung eher ausbremst als fördert“, klagt Zacharias.
Dazu gehört auch der Pakt für die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zwischen Bund und Ländern, der Genehmigungsverfahren verkürzen soll, um Projekte in Bereichen wie Energiewende, Verkehr und natürlich auch der digitalen Infrastruktur deutlich schneller realisieren zu können. Auch hier läuft Fabian Zacharias nicht alles, wie es sollte: „Dieser Planungs- und Genehmigungspakt ist noch nicht beschlossen. Hier muss schnell eine Einigung her, um das Tempo auf die Straße zu bringen. Der Flaschenhals etwa beim 5G-Mobilfunk sind derzeit die Genehmigungsverfahren, nicht das Geld.“
Kritisch sieht er auch das geplante Digitalbudget, das wichtige digitale Projekte beschleunigen soll, und aktuell auf der Kippe steht. „Das Digitalbudget sollte eigentlich mit dem Haushalt 2024 kommen. Das ist reichlich spät, wenn man bis zum Ende der Legislaturperiode noch etwas bewirken will“, so Zacharias weiter.
Positiv bewertet er vor allem die Fortschritte bei der digitalen Infrastruktur rund um die Gigabit-Anschlüsse und den schnellen 5G-Mobilfunk. Beim Thema Konnektivität steht Deutschland im bereits oben erwähnten DESI-Ranking der EU-Kommission europaweit sogar auf einem sehr guten Platz 4.
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