Partnerschaften für digitale Ökosysteme

Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtner (Teil 2)

von - 08.09.2020
Baumgärtler: Dieses Ökonomieverständnis basiert auf einem speziellen Menschenbild. Der Mensch wird nicht nur als „Homo oeconomicus“ gesehen, der nur zweckrational agiert und seinen Eigennutz maximieren will, sondern vor allem als „Homo cooperativus“, der ein starkes Bedürfnis
Thomas Baumgärtler
Dr. Thomas Baumgärtler: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Offenburg
(Quelle: Hochschule Offenburg)
nach Gemeinschaft hat und die Fähigkeit zur Kooperation mitbringt. Hier lässt sich mit methodischen Ansätzen wie Open Innovation gut das Kreativitätspotenzial einer Gemeinschaft mobilisieren.
Beispiele dafür sind Dorfläden, Bürgergenossenschaften oder auch der Trend zur Sharing Economy. Zu Letzteren zählen etwa genossenschaftlich organisierte Mobilitätsinitiativen zur E-Mobi­lität oder zum Car-/Bike-Sharing in Städten.
com! professional: Gibt es ein bekanntes Beispiel für ein blühendes genossenschaftliches Innovationsökosystem?
Popović: Hier würde ich an erster Stelle die kanadische Metropolregion Vancouver nennen, die sich in den letzten 20 Jahren zu einem führenden Zentrum für Nachhaltigkeitsinnovationen entwickelt hat. Vancouver hat seit Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum in Kanada, verzeichnet ein starkes Wachstum an „Green Jobs“ und gilt derzeit als lebenswerte und nachhaltige Stadt, die in Kombination mit florierender Wirtschaft für die Start-up-Szene hochattraktiv ist.
In Vancouver wurden gemeinschaftlich-kooperativ erfolgreich Innovationen in vielfältigen Bereichen entwickelt. Treiber und Koordinator war hier die Stadtregierung, die alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen so gleichberechtigt wie möglich mit einbezogen hat, darunter auch die Genossenschaftsbank VanCity.
com! professional: Welche Faktoren waren für den Erfolg des Ökosystems in Vancouver ausschlaggebend?
Popović: Dazu gehören zunächst einmal das am Erbe der Ureinwohner der Region (First Nations) orientierte Wertefundament in Bezug auf Nachhaltigkeit und die langjährige Einbindung der wesentlichen Stakeholder wie Behörden, Bürger, Wirtschaft oder Wissenschaft in die Strategieentwicklung.
Dadurch entstand eine hohe Akzeptanz in Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu kommen die Integration und das proaktive Aufgreifen von Zukunftstrends wie Smart Citys, Digitalisierung und Green Economy sowie die gezielte Einbindung der Finanzwirtschaft.
Weitere wichtige Punkte sind die Campus-City Collaborative (C3) als erfolgreiche Kooperation von Stadt, Wirtschaft und Hochschulen im Living-Lab-Format als Innovationstreiber sowie die konsequente Anwendung moderner Innovationsprinzipien, -formate und -methoden wie Design Thinking, Hackathons, Inkubatoren zur Förderung von Start-ups oder Business Model Canvas zur Entwicklung oder Überarbeitung von Geschäftsmodellen.
com! professional: Was sind Living Labs und inwiefern tragen sie zu Innovationen bei?
Popović: Living Labs sind transdisziplinäre Reallabore, in denen viele unterschiedliche Akteure im interaktiven Austausch gemeinsam nach real implementierbaren Lösungen für eine konkrete Herausforderung suchen. Wichtige Prinzipien von Living Labs sind Co-Definition, Collaboration, Co-Creation und Co-Production.
Die Beteiligten aus Wissenschaft und Praxis definieren gemeinsam das Problem, entwickeln in iterativen Feedback-Schleifen Prototypen, testen sie, implementieren die Lösung und entwickeln sie weiter. Auf diese Weise entstehen neue Services, auch in digitaler Form, oder neue Geschäftsmodelle.
Auch das „MakerCamp Genossenschaften“, das im Januar 2020 in seiner Erstauflage stattfand und in den nächsten Jahren die Neugründung von Genossenschaften in Bereichen wie Daseinsvorsorge, nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, Smart Citys oder Digitalisierung vorantreiben soll, orientiert sich am Living-Lab-Design.
com! professional: Welche Rolle können Genossenschaften in diesen lokalen Ökosystemen spielen?
Baumgärtler: Nehmen wir die Genossenschaftsbanken als Beispiel. Sie sind bereits Teil von lokalen Innovationsökosystemen, haben Netzwerkkompetenz und verfügen über ein Beziehungsnetzwerk aus unterschiedlichen Stakeholdern wie Bürgern, die zugleich Mitglieder oder Kunden der Bank sein können, Politik und Verwaltung, Handwerk, KMUs oder Wissenschaft. Genossenschaftsbanken können in Ökosystemen als Innovation Hubs fungieren, ein Netzwerk aus unterschiedlichen Partnern starten und koordinieren und dadurch gemeinschaftlich innovative sowie zukunftsorientierte Lösungen für lokale Herausforderungen ent­wickeln.
Im Idealfall entstehen aus dem kreativen Zusammenspiel der involvierten Stakeholder neue Produkte und Dienstleistungen, innovative Geschäftsmodelle oder Start-ups.
com! professional: Wo liegen die Grenzen beziehungsweise die Herausforderungen von (genossenschaftlichen) Ökosystemen?
Popović: Grundvoraussetzung ist ein Minimum an unternehmerischem Mindset. Die lokalen Akteure inklusive Bevölkerung müssen mitmachen und Initiative zeigen. Insbesondere der Living-Lab-Ansatz erfordert unglaublich viel Kommunikation, um Reibungspunkte aufzulösen. So müssen Banker, Handwerker, IT-Fachleute und so weiter eine gemeinsame Sprache finden oder offen für Anregungen von außen und andere Perspektiven sein.
Und es braucht verbindliche Regeln, eine Governance, um die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse und Erträge fair aufteilen zu können. Gefragt sind eine Innovations- und Wagniskultur zum Experimentieren und Lernen aus Erfahrungen, die auch Fehler verzeiht, sowie Transparenz und offene Kommunikation.
Baumgärtler: Die vielfältigen Herausforderungen in der Daseinsvorsorge verlangen nach innovativen Ansätzen, die in offenen, übergreifenden Ökosystemen entstehen. Genossenschaften können hier den Knotenpunkt im Netzwerk bilden, der die richtigen Partner für das passende Problemfeld oder Thema wie Gesundheit, Pflege, Wohnen, Mobilität, Bildung oder sonstige Bereiche der Daseinsvorsorge findet und zusammenbringt.
Ökosysteme leben, sie können wachsen oder auch schrumpfen, innerhalb eines Systems können neue Subsysteme entstehen. Wichtig dabei ist, bürokratische Hindernisse abzubauen und die Partizipation zu fördern. Die Basis dafür bilden digitale Plattformen, über die Bürger und andere Akteure ihre Ideen einbringen, Feedback geben oder auch über bestimmte Vorhaben abstimmen können.
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