Die prekäre Zukunft der digitalen Identität
ID als Menschenrecht
von Thomas Hafen - 16.03.2021
Rund 1,5 Milliarden Menschen haben allerdings ein ganz anderes Problem: Sie besitzen überhaupt keine Identität, zumindest keine, die von einer Behörde offiziell bestätigt wurde. Ohne diesen Nachweis sind die Betroffenen praktisch komplett vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie können kein Bankkonto eröffnen, nicht heiraten, keine staatlichen Leistungen beantragen, keinen Führerschein machen oder sich an einer Universität einschreiben. „Die Teilnahme an der modernen Welt hängt vollständig von unserer Fähigkeit ab, einen legalen Beweis dafür zu haben, wer wir sind“, sagt Mariana Dahan, Mitgründerin und CEO des World Identity Network, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die weltweite Einführung einer sicheren und selbstbestimmten Identität einsetzt. Eine legale Identität für alle Menschen ist auch eines der Nachhaltigkeitsziele, die die Vereinten Nationen bis 2030 erreichen wollen (UN Sustainable Development Goal 16.9).
In vielen Ländern fehlt es jedoch an der dafür notwendigen Infrastruktur und funktionierenden Behörden, das massive Bevölkerungswachstum erschwert die Ausgabe hoheitlicher Identitätsdokumente zusätzlich. Wissenschaftler, NGOs und Regierungen setzen daher auf digitale Alternativen zu Geburtsurkunde oder Pass. So hat beispielsweise das britische Economic and Social Research Council (ESRC) 2017 in dem Projekt „Building Digital Identities“ den Einsatz digitaler Identitäten evaluiert und auch die Weltbank setzt auf digitale Identitäten, um das UN-Nachhaltigkeitsziel zu erreichen.
Die von ihr ins Leben gerufene „Identification for Development“-Initiative (ID4D) soll Länder dabei unterstützen, digitale Identifikationssysteme einzuführen. Geldgeber wie die Bill & Melinda Gates Foundation und das Omidyar Network des Ebay-Gründers Pierre Omidyar haben dafür bereits 1,2 Milliarden Dollar bereitgestellt. Die Initiative ist unter anderem am Aufbau eines grundlegenden Ausweissystems in Nigeria beteiligt und hat die Philippinen bei der Einführung des ID-Systems „Philsys“ beraten. Im Rahmen des westafrikanischen Programms „Unique Identification for Regional Integration and Inclusion“ arbeitet die Weltbank darüber hinaus mit Guinea, Burkina Faso, Benin, Togo und Niger zusammen. Weitere ID-Gründungsprojekte finden sich in Mexiko, Samoa und Somalia in unterschiedlichen Phasen der Umsetzung.
Die Weltbank-Initiative ist nicht die einzige, die die Verbreitung digitaler Identitäten vorantreiben will. Die „ID2020 Alliance“, ein Zusammenschluss von Firmen, Regierungen und Nonprofit-Organisationen, will eine digitale Identität für alle schaffen, die nicht nur sicher und komfortabel ist, sondern dem Nutzer auch die volle Kontrolle darüber ermöglicht, mit wem er welche Daten teilen will. Auch die GSMA, ein Bündnis der Telekommunikationsunternehmen, betont nicht ganz uneigennützig die Bedeutung einer digitalen ID für alle. Schließlich erhoffen sich die Mobilfunker, das Smartphone als zentrales Element für den Identitätsnachweis zu etablieren - und damit für jeden Menschen auf der Welt unverzichtbar zu machen.