Vorsprung durch digitale Zwillinge

Keine einfache Umsetzung

von - 26.11.2018
Obwohl die technologischen Voraussetzungen für digitale Zwillinge vorhanden sind, bleiben noch genügend andere Herausforderungen, die Unternehmen in diesem Zusammenhang bewältigen müssen.
Zu den größten Hindernissen zählt Steffen Hartmaier von IBM den Glauben, der digitale Zwilling stelle an sich schon einen Mehrwert dar. „Die Kosten für ein hochentwickeltes Modell für einen digitalen Zwilling können den betriebswirtschaftlichen Nutzen übersteigen“, warnt denn auch Alexander Höppe, Research Director beim IT- Marktforschungsunternehmen Gartner. Er rät Unternehmen daher, den Detaillierungsgrad auf die Anwendung abzustimmen. Ähnlich sieht das Philipp Wallner von MathWorks: „Es ist wichtig, sich vorab zu überlegen, welchen Mehrwert man sich durch den digitalen Zwilling verspricht - zum Beispiel optimierte Wartungsintervalle -, und daraus die Umsetzung abzuleiten.“
Eine weitere Herausforderung beim Implementieren eines digitalen Zwillings stellt die Beschaffung der notwendigen  Daten dar. Zum einen sind nämlich die zur Verfügung stehenden Datenquellen zumeist sehr heterogen und nicht inte­griert, zum anderen gibt es bislang noch kaum Standards. Außerdem wird gern übersehen, dass es nicht einfach nur um die Sammlung der leicht zu beschaffenden Daten geht, sondern darum, die richtigen, also erforderlichen Daten zu bekommen.
Colin Parris, der als Vice President bei GE Global Research den Bereich Software Research verantwortet, hat die Erfahrung gemacht, dass die verfügbaren Datenbanken nicht immer der optimale Ausgangspunkt sind, denn sie werden häufig nur dafür angelegt, um ganz spezifische Probleme zu meistern: „Wenn Sie vor einem neuen Problem stehen, werden diese möglicherweise nicht die Daten zur Verfügung haben, die Sie für die Lösung dieses Problems benötigen“, erläutert Parris.
Des Weiteren muss die IT-Architektur für den digitalen Zwilling überhaupt erst einmal dazu in der Lage sein, in nahezu Echtzeit den Datenfluss zu bewältigen. Colin Parris empfiehlt, sicherzustellen, dass genügend Rechenleistung und Speicherkapazitäten vorhanden sind - oder die entsprechenden Investitionen vorzunehmen. Und SAP-Mann Srivathsan Govindarajan fordert: „Vom Rechenzentrum bis hin zur Datenbank-Applikation und entsprechenden Microservices müssen die Bestandteile ‚cloudfähig‘ sein.“
Das Fraunhofer IPT setzt deshalb auf die gerade landauf, landab sehr viel diskutierte 5G-Technologie, um eine drahtlose Datenübertragung zu ermöglichen und dabei niedrige Latenz zu gewährleisten, insbesondere wenn es um Sensoren geht, die an einem sich bewegenden Bauteil angebracht werden sollen.
Mario Pothen
Mario Pothen
Leiter des Kompetenzfelds Digitalisierung und Vernetzung am Fraunhofer IPT
www.ipt.fraunhofer.de
„Sensoren und deren Schnittstellen zu Auswertungssystemen werden erschwinglicher, sodass es sich auch bei kleineren Bauteilen rentiert, die entsprechenden Daten zu erheben und einen digitalen Zwilling aufzubauen.“
So wichtig die Erhebung der richtigen Daten  auch ist, allein damit ist es noch nicht getan. „Wenn die Daten sinnvoll genutzt werden sollen, müssen anschließend entsprechende Modelle und Algorithmen entwickelt werden, die relevante Informationen aus diesen Daten ableiten“, unterstreicht Mario Pothen vom Fraunhofer IPT. „Dazu werden Datenanalysten benötigt, die mittels Big-Data-Analysen, Methoden der Künstlichen Intelligenz oder Machine-Learning-Algorithmen die Daten entsprechend bearbeiten.“
Und zu guter Letzt weist Gartner-Director Alexander Höppe noch auf wichtige rechtliche Aspekte hin. Digitale Zwillinge bedingen eine Transparenz über physische Assets, die mit dem Schutz von geistigem Eigentum kollidieren und zu Einschränkungen der Nutzung führen kann: „Der Einsatz digitaler Zwillinge muss gegebenenfalls verhandelt und vertraglich geregelt werden.“
Verwandte Themen