Vorsprung durch digitale Zwillinge

Planung ist das A und O

von - 26.11.2018
Homag
Anlagenhersteller Homag: Das Simulations-Tool ISG-virtuos testet die Geräte virtuell vor der Auslieferung.
(Quelle: Homag Group)
Trotz all dieser Herausforderungen kann es sich für Unternehmen auszahlen, wenn sie sich beizeiten mit der Digital-Twin-Technologie auseinandersetzen. Denn viele Unternehmen erfüllen bereits einige der Grundvoraussetzungen dafür. Darauf weist Christian Kehrer von Altair hin: „Das wichtigste Know-how bringen die Firmen typischerweise schon mit, indem sie ihr Produkt, dessen Nutzung durch ihre Kunden und den eigenen aktuellen Entwicklungsprozess kennen.“
Auch die dem digitalen Zwilling zugrundeliegenden Technologien, etwa Systemsimulationen oder die intelligente Auswertung von Daten, sind bei vielen Unternehmen in zunehmendem Maß vorhanden.
Als Startpunkt empfiehlt IBM-IoT-Architekt Steffen Hartmaier, einen oder wenige Anwendungsfälle für den digitalen Zwilling zu entwickeln, die idealerweise einen hohen Mehrwert für die Organisation oder die Kunden liefern. „Abgeleitet von diesen Zielsetzungen kann eine Gap-Analyse erfolgen“, so Hartmeier weiter, die jene Bereiche aufzeigen soll, die Optimierungen benötigen. „Unter Umständen muss man sich vom Begriff des digitalen Zwillings ein wenig lösen, um die konkrete Aufgabenstellung besser beschreiben zu können“, weiß Altair-Manager Christian Kehrer.
Nachdem ein passender Anwendungsfall identifiziert worden ist, steht die Beschaffung der erforderlichen Informationen an: „Daten sind die wichtigste Grundvoraussetzung: Ohne Daten gibt es keinen digitalen Zwilling“, mahnt Teradata-CTO Stephen Brobst.
Deshalb gilt es unbedingt, im nächsten Schritt herauszufinden, ob die benötigten Daten vielleicht bereits im Unternehmen gesammelt werden und wie genau das gemacht wird.
„Idealerweise sollten die Daten in Echtzeit oder nahezu in Echtzeit übertragen werden können“, meint Stephan Brobst. Das sei zwar keine Voraussetzung, aber oberstes Ziel, „denn die virtuelle Kopie des echten Assets sollte möglichst aktuell sein, um Erkenntnisse zu liefern“.
Darüber hinaus geht es neben Kompetenzen wie Datenmanagement, Streaming-Daten und Sensordaten auch um die Möglichkeiten, aus den beschaffenen Informationen korrekte Erkenntnisse und umsetzbare Handlungsempfehlungen abzuleiten, insbesondere dann, wenn der digitale Zwilling bereits in Betrieb sein sollte.
„Ungeachtet dessen, ob die vom digitalen Zwilling generierten Vorhersagen richtig oder falsch sind, muss das Feedback in das Modell eingespeist werden, damit es lernt und sich weiterentwickelt“, fordert Colin Parris von GE Global Research. Deshalb müssten Unternehmen unter Umständen zusätzlich in die entscheidenden Kompetenzen für die Digital-Twin-Technologie wie Machine Learning oder Deep Learning investieren.
Dr. Colin Parris
Dr. Colin Parris
Vice President Software Research bei GE Global
Research
www.geglobalresearch.com
„Sobald Ihre Konkurrenten erst einmal genügend Daten haben, um ihre digitalen Zwillinge zu trainieren und selbstständig lernen zu lassen, werden deren digitale Zwillinge schneller lernen als Ihre.“
In diesem Zusammenhang legen die Experten übereinstimmend nahe, zunächst mit einem Proof of Concept zu beginnen, um zu identifizieren, ob digitale Zwillinge überhaupt die richtige Strategie für das eigene Unternehmen sind. SAP-Manager Srivathsan Govindarajan empfiehlt, hierzu ein kleines Einstiegsprojekt einzuleiten, in dem die folgenden Fragen geklärt werden: In welchem Segment der Geschäftsprozesse - beispielsweise in der Lieferkette, der Instandhaltung oder in der Produktentwicklung - besteht ein hoher Handlungsbedarf? Welche Assets sollen angebunden werden? Welche Sensoren und Aktoren stehen zur Verfügung?
Dabei ist in jedem Fall entscheidend, dass die Unternehmensführung die Umsetzung von digitalen Zwillingen nicht als Selbstzweck betrachtet, betont Christian Daniel, der als Business Manager im Bereich Simulation Technology bei ISG Industrielle Steuerungstechnik tätig ist, einem Anbieter für Steuerungs- und Automatisierungs-Software: „Wichtig ist, dass die Komponenten eines digitalen Zwillings wiederverwendet werden können und deren Aufbau weitestgehend automatisiert wird.“

Fazit

Nimmt man alles zusammen, dann versprechen die digitalen Zwillinge zahlreiche Vorteile, auch wenn dieses Versprechen mit Vorsicht zu genießen ist. „Um eine Universallösung handelt es sich bei digitalen Zwillingen nicht“, so der deutliche Hinweis von Gartner-Research-Director Alexander Höppe. „Die Sinnhaftigkeit des Einsatzes von digitalen Zwillingen muss auf Use-Case-Ebene genau bewertet werden.“
Hinzu kommt, dass der virtuelle Zwilling kein Konzept ist, das sich besonders schnell umsetzen lässt: „Die Erstellung eines digitalen Zwillings ist auch heute noch sehr komplex“, so die Erfahrung von Christian Kehrer von Altair. Dennoch sieht Kehrer vor allem im Kontext von Industrie 4.0, Internet of Things und Predictive Maintenance durchaus einen Bedarf, sich mit dem digitalen Zwilling zu befassen, wenn man als Unternehmen und Dienstleister mittelfristig wettbewerbsfähig bleiben möchte.
Auch Colin Parris von GE Global Research steht voll und ganz hinter dem Konzept des digitalen Zwillings. Das ist nicht verwunderlich, schließlich hat General Electric seinen Angaben zufolge mit dem Einsatz digitaler Zwillinge in den vergangenen beiden Jahren die stattliche Summe von 520 Millionen Dollar generiert. Er warnt die Unternehmen: „Wichtig ist zu verstehen: Sobald Ihre Konkurrenten erst einmal genügend Daten haben, um ihre digitalen Zwillinge zu trainieren und selbstständig lernen zu lassen, werden deren Zwillinge schneller lernen als Ihre. Und das werden Sie niemals aufholen können.“
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