Vorsprung durch digitale Zwillinge

Zwillings-Evolution

von - 26.11.2018
Digitale Zwillinge im Flugzeugbau
Digitale Zwillinge im Flugzeugbau: GE generiert sie für einzelne Bauteile, bei denen es im Betrieb zu Problemen kommen könnte, etwa Triebwerksschaufeln.
(Quelle: GE)
Traditionell kommen digitale Zwillinge bei sehr großen physischen Objekten zum Einsatz, „vornehmlich im Bereich komplexer Anlagen oder ‚High Value Assets‘, wie zum Beispiel Flugzeugtriebwerken oder Windrädern“, erklärt Andreas Gentner, Partner und Leiter TMT EMEA bei dem Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte. „Gerade im Umfeld der erneuerbaren Energieerzeugung und hier vor allem in der Windkraft werden entsprechende Modelle als digitale Zwillinge schon breit eingesetzt - auch wenn sie oft gar nicht als digitale Zwillinge bezeichnet werden“, bekräftigt Philipp Wallner von MathWorks. Das ist verständlich, denn der Return on Investment (RoI) ist bei solch hochwertigen Anlagen und Objekten am besten nachzuvollziehen.
Doch ist seit einiger Zeit ein Wandel in der Begriffsverwendung und des Anwendungsbereichs zu beobachten. „Als digitale Zwillinge produktiver wurden und einfacher zu implementieren, wurden sie auch zugänglicher und werden nun auch für kleinere Objekte eingesetzt“, so Stephen Brobst, CTO bei dem US-Anbieter von Daten- und Datenanalyselösungen Teradata Corporation.
Vor allem im Internet der Dinge - der Kerntechnologie von Industrie 4.0 - hat das Zusammenspiel von physischen Objekten eine große Bedeutung. Laut SAP-Experte Srivathsan Govindarajan führt dieser Ansatz des industriellen Internet of Things zu einem breiten Einsatz digitaler Zwillinge: „Heute werden einzelne physische Maschinen oder Assets mit Sensoren ausgestattet und via Internet direkt mit ihrem Zwilling in einem Computersystem verbunden und abgeglichen.“
Dr. Andreas Gentner
Dr. Andreas Gentner
Partner und Leiter TMT EMEA bei Deloitte
www.deloitte.com
„Die permanente Erhebung von Status-, Betriebs- und Standort­daten und deren intelligente Analyse und Visualisierung schaffen ein neues Maß an Transparenz und Effizienz.“
Eine ähnliche Entwicklung sieht Andreas Gentner von Deloitte für das Consumer-Umfeld. Als Beispiele nennt er Smart-Home-Funktionen, die sich über eine digitale Kopie des eigenen Zuhauses steuern und überwachen lassen, oder digitale Zwillinge von Fahrzeugen, die frühzeitig Motorenpro­bleme vermelden.
Eine weitere Evolutionsstufe der digitalen Zwillinge steckt noch in einer Frühphase, wird aber immer wichtiger: Ging es früher hauptsächlich darum, virtuelle Abbilder physischer Objekte zu erstellen, so geht es heutzutage immer häufiger um digitale Zwillinge von komplexen Systemen oder sogar menschlichen Organisationen: „Hier gibt es bereits spannende Durchbrüche“, weiß Stephen Brobst von Teradata Corporation, „wie beispielsweise der Einsatz der Digital-Twin-Technologie für die Modellierung eines Vertriebs­apparats.“
Praxisbeispiel für digitalen Zwilling bei Siemens
Bausch + Ströbel: Die Maschinen werden vor dem Bau mit Hilfe einer Siemens-CAD-Software virtuell getestet.
Zwei Praxisbeispiele
Beispiel 1: Das Unternehmen Bausch + Ströbel baut Spezialmaschinen für die Pharmaindustrie zur Befüllung und Etikettierung von Pharmaprodukten. Für die Entwicklung der Maschinen wurde früher ein maßstabsgetreues Holzmodell nach den Kundenspezifikationen angefertigt, um Faktoren wie mechanische Eigenschaften, Ergonomie und Transportwege zu testen. Das war zeitaufwendig und unflexibel.
Jetzt werden dafür mit Hilfe der Siemens-Software NX CAD detaillierte Bilder auf Basis digitaler Daten generiert. Ingenieure und Kunden nutzen 3D-Brillen, um das virtuelle Modell zu testen und zu optimieren. Änderungen in diesem frühen Stadium werden ausschließlich am digitalen Zwilling vorgenommen. Dieser wird so lange optimiert, bis sowohl die Ingenieure als auch die Kunden zufrieden sind.
Beispiel 2: Das Unternehmen Schunk aus Lauffen am Neckar ist Weltmarktführer für Spanntechnik und Greifsysteme. Es will seine elektrisch gesteuerten Greifsystemkomponenten digitalisieren und setzt dabei in Zusammenarbeit mit Siemens PLM Software auf die virtuelle Abbildung seines gesamten mechatronischen Baukastens. Dabei enthalten die digitalen Bilder der einzelnen Komponenten deren komplette Funktionen: „Der digitale Zwilling öffnet die Tür zum integrierten Engineering und schafft die Voraussetzungen für die Vernetzung aller beteiligten Disziplinen“, betont Ralf Steinmann, Geschäftsbereichsleiter Greifsysteme bei Schunk.
Das Unternehmen verspricht sich von der Digitalisierung eine signifikante Verkürzung der Projektlaufzeiten, eine schnellere Inbetriebnahme und eine deutliche Effizienzsteigerung beim Bau von Anlagen.
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