Der lange Weg zum agilen Unternehmen

Im Gespräch mit Thomas Lieder von EOS Technology Solutions

von - 01.02.2019
Thomas Lieder
Thomas Lieder: Agile Coach uns Scrum Master bei EOS Technology Solutions
(Quelle: EOS / Holger Koschek )
Der Finanzdienstleister EOS setzt nicht nur in der Software-Entwicklung auf agile Methoden. Thomas Lieder, Agile Coach und Scrum Master bei EOS Technology Solutions, erläutert die Beweggründe.
com! professional: Die Finanzbranche gilt als eher konservativ. Warum hat sich EOS dennoch entschieden, auf agile Methoden zu setzen?
Thomas Lieder: Die Marktentwicklung macht auch vor der Finanzbranche nicht Halt. Denken Sie nur an den völlig neuen Wettbewerb durch Fintechs. Wir sind gut in dem, was wir tun, aber wir müssen uns verändern, wenn wir auch in Zukunft ganz vorne mit dabei sein wollen.
com! professional: Ist es nicht auch einfach hip, sich als agiles Unternehmen zu präsentieren?
Lieder: Das mag sein. Agilität ohne echtes Ziel funktioniert aber nicht. Jedes Unternehmen muss sich fragen, warum es diesen Weg gehen will.
com! professional: Hat EOS denn eine Antwort auf diese Frage?
Lieder: Was das Projekt angeht, unsere Inkasso-Software FX neu zu entwickeln, auf jeden Fall. Wir haben ein klares Ziel: Die neue Software soll besser sein als unsere bestehende Lösung. Was das im Detail bedeutet und wie man zu einem guten Ergebnis kommt, ist aber nicht so einfach zu definieren.
com! professional: Warum ist Agilität hier der bessere Weg?
Lieder: Bei einer solchen Aufgabenstellung funktioniert der klassische Ansatz schlichtweg nicht. Sie können sich nicht fünf Jahre ins stille Kämmerchen zurückziehen und ein Produkt entwickeln, das hinterher womöglich keiner mehr brauchen kann, weil sich die Rahmenbedingungen längst verändert haben.
com! professional: Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der agilen Software-Entwicklung?
Lieder: Unsere Erwartungen haben sich weitgehend erfüllt. Wir wollten möglichst schnell starten und erste Ergebnisse liefern können. Das ist gelungen. Unser Minimum Viable Product ist live und wir verdienen damit auch schon etwas Geld. Wir konnten bei der Änderung regulatorischer Vor­gaben zeigen, dass wir solche Anpassungen sehr schnell umsetzen können.
com! professional: Wie viel Freiheit lässt Ihnen dabei das Unternehmen?
Lieder: Ein klassischer Konzern, der eine nicht unwesentliche Summe in so ein Projekt in­vestiert, möchte natürlich gerne wissen, wie sich das Projekt entwickelt und wann welche Meilensteine erreicht sind. Das heißt, es gibt Zieltermine, die aber weit in der Zukunft liegen.
com! professional: Das entspricht aber nicht so ganz der reinen agilen Lehre, oder?
Lieder: Wir versuchen, uns die Flexibilität zu erhalten, Dinge auszuprobieren und auf Veränderungen reagieren zu können. Wir wollen aber auch der Organisation einen guten Eindruck davon geben können, wo wir gerade stehen und wo wir vielleicht auch Unterstützung brauchen. Das ist ein Geben und Nehmen, in dem beide Seiten voneinander lernen.
com! professional: Auf welche Frameworks setzen Sie?
Lieder: Wir nutzen einen relativ klassischen Scrum-Ansatz und arbeiten in fünf Teams, die autonom in ihrem Bereich entscheiden. Daneben haben wir teamübergreifende Abstimmungen etabliert, denn letztlich funktioniert das Projekt nur gemeinsam. Insgesamt versuchen wir das Projekt wie eine virtuelle AG mit einer Führungsmannschaft zu leiten.
com! professional: Welche Tools setzen Sie dafür ein?
Lieder: Für die übergreifende Steuerung der Teams nutzen wir Jira. Daneben gibt es konzernweite Tools, etwa das Personal­portal, die wir aus Projektsicht nicht zwingend einsetzen würden, aber als Teil der Gesamtorganisation verwenden müssen.
com! professional: Wie wichtig ist die Wahl der Werkzeuge?
Lieder: Der Erfolg oder Misserfolg eines agilen Projekts hängt nicht von den verwendeten Werkzeugen ab. Ich muss mir überlegen, wie ich mein Projekt organisieren und welche Ziele ich verfolgen will. Aus meiner Erfahrung gibt es nicht den einen perfekten Prozess. Wenn sich die Welt weiterdreht, ändern sich nicht nur die Anforderungen an das Projekt, sondern auch die Art und Weise, wie man zusammenarbeitet.
com! professional: Was sind die größten Herausforderungen?
Lieder: Zwei Bereiche machen typischerweise Schwierigkeiten. Zum einen entspricht die schnelle Taktung eines agilen Projekts nicht immer dem üblichen Unternehmenstempo. Häufig benötigen andere Abteilungen, auf deren Zuarbeit man angewiesen ist, längere Vorlaufzeiten als man sich das wünschen würde. Da muss man unter Umständen Abstriche bei Agilität und Schnelligkeit machen. Die andere typische Herausforderung ist das agile Mind-Set. Damit meine ich die Bereitschaft, beständig zu lernen, sich auf nicht perfekte Lösungen einzulassen und trotzdem immer zu versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Bei EOS ist der Kulturwandel schon im vollen Gange, aber natürlich braucht dieser Prozess Zeit.
com! professional: Sehen Sie Ihr Projekt auch als Botschafter für diese kulturelle Veränderung?
Lieder: Ich denke schon, dass unsere Erfahrungen über das Projekt hinaus wirken und Veränderungen anstoßen. Wir haben von Anfang an sehr offen kommuniziert, alle EOS-Standorte besucht und unser Vorhaben vorgestellt. Es ist sicher nicht unsere explizite Aufgabe, das Unternehmen zu transformieren, aber allein unsere Existenz vereinfacht es anderen Abteilungen, den agilen Weg zu gehen. Als ich im Oktober 2016 bei EOS anfing, war ich der einzige Agile Coach, heute gibt es schon sieben. Das zeigt, welche Strahlkraft das Projekt hat.
com! professional: Welchen Rat können Sie anderen Unternehmen geben, die agile Projekte planen?
Lieder: Viele Projekte beginnen aus den Abteilungen heraus als eine Art Graswurzelbewegung. Das kann bis zu einem gewissen Grad funktionieren. Ab einer bestimmten Größe braucht man aber die Rückendeckung des Managements, um die notwendigen Veränderungen anstoßen und durchsetzen zu können. Ein zweiter Punkt, den man nicht unterschätzen darf, sind Schnittstellen. Je größer das Projekt wird und je mehr Abhängigkeiten mit anderen Abteilungen oder technischen Systemen bestehen, desto stärker muss ich den Aufwand für Abstimmungsprozesse berücksichtigen. Das wird dann sehr schnell viel mehr als ein reines Software-Projekt. Und man muss darauf achten, wie man wahrgenommen wird. Die anderen Abteilungen sind ja sehr kompetent und erfolgreich. Sie haben ihre Prozesse im Griff. Das muss man anerkennen und auf Augenhöhe mit guten Argumenten erklären, warum eine Veränderung dennoch sinnvoll ist.
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