Zwischen Mode und Notwendigkeit

Der lange Weg zum agilen Unternehmen

von - 01.02.2019
Agiles Unternehmen
Foto: Jesus Sanz / shutterstock.com
Um den digitalen Wandel zu überleben, müssen Unternehmen ihre Firmenkultur verändern. Ein sinnvoller Ansatz ist die agile Arbeitsweise. Ein Allheilmittel ist das jedoch nicht.
Folgen algiler Entscheidungsprozesse
Vorteile: Geht ein Unternehmen zu agilen Entscheidungsprozessen über, dann hat das positive Folgen auf eine Reihe von Ebenen - vom Mitarbeiter-Engagement bis zur Experimentierfreudigkeit.
(Quelle: Sopria Steria Cunsulting, "Potenzialanalyse agil entscheiden", 2018 (n = 302) )
Fachwissen, Erfindungsreichtum, Ingenieurskunst und sorgfältige Planung sind die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg, davon sind gerade in Deutschland viele Unternehmenslenker überzeugt.
Doch langsam machen sich auch unter ihnen Zweifel breit. Neue Geschäftsmodelle und Wettbewerber tauchen wie aus dem Nichts auf und fegen Traditionsunternehmen vom Markt. „Die Digitalisierung führt zu veränderten Kundenbedürfnissen und Markterfordernissen, die Komplexität nimmt zu“, bringt Svenja Hofert den grassierenden Wandel auf den Punkt. Sie bietet als Geschäftsführerin der Teamworks GTQ GmbH (Gesellschaft für Teamentwicklung und Qualifizierung) unter anderem Workshops zu agilem Führen an und hat schon mehrere Bücher zu diesem Thema geschrieben.

Kompliziert oder komplex?

Um die besonderen Herausforderungen komplexer Umgebungen zu verstehen, wie sie heute in Wirtschaft und Industrie vorherrschend sind, können Konzepte wie das „Cynefin Framework“ helfen, das der britische Berater und Wissenschaftler Dave Snowden entwickelt hat. Es unterscheidet prinzipiell zwischen einfachen, komplizierten, komplexen und chaotischen Zuständen und gibt für jeden Bereich Managementempfehlungen.
Einfache Szenarien zeichnen sich demnach durch klare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aus. Sie lassen sich durch simple Rezepte lösen. „Für eine einfache Aufgabe brauche ich keine lange Planungsphase“, erklärt Daniel Dubbel, Senior-Berater für Arbeit 4.0, Agilität und Projektmanagement bei DB Systel. In Unternehmen stellen einfache Szenarien Mitarbeiter und Führungskräfte nicht vor große Herausforderungen. Abweichungen vom Sollzustand lassen sich leicht identifizieren, kategorisieren und mit den in der Vergangenheit gesammelten Erfahrungen lösen.
Daniel Dubbel
Daniel Dubbel
Senior-Berater Arbeit 4.0, Agilität und Projektmanagement bei DB Systel
www.inspectandadapt.de
Foto: Daniel Dubbel
„Die agile Transformation findet bei jedem Mitarbeiter statt, egal auf welcher Hierarchieebene er sich befindet.“
Auch bei komplizierten Problemen gibt es einen Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, er ist jedoch nicht so offensichtlich und kann sich über viele Zwischenstufen erstrecken. Snowden nennt dies das „Reich der bekannten Unbekannten“. Herausforderungen lassen sich nicht einfach kategorisieren und nach Schema F abarbeiten, sie müssen diagnostiziert und analysiert werden. Auch kann es mehrere richtige Antworten und geeignete Wege zum Ziel geben.
Die Lösung komplizierter Probleme durch Ingenieure und andere Experten ist wiederum typisch für die industrielle Revolution, die im 18. Jahrhundert begann und sich über die zunehmende Elektrifizierung und Mechanisierung der Produktion bis hin zur Entwicklung der Mikroelektronik im 20. Jahrhundert fortsetzte. Dampfmaschinen, automatische Webstühle und Automobile sind einige der Beispiele für komplizierte Maschinen. Einfache und komplizierte Aufgaben werden nach Ansicht von Daniel Dubbel zukünftig überwiegend von Maschinen erledigt werden: „Roboter können beispielsweise Autos viel schneller und effizienter zusammenbauen als Menschen am Fließband.“
Während es bei komplizierten Fragestellungen mindestens eine richtige Antwort gibt, ist dies in komplexen Umgebungen anders. Dave Snowden nennt als Beispiel den Unterschied zwischen einem Ferrari und dem brasilianischen Regenwald: Das Auto lässt sich in seine Einzelteile zerlegen und mit der notwendigen Erfahrung wieder zu einer funktions­fähigen Einheit zusammensetzen. Der brasilianische Regenwald funktioniert dagegen nur als Ganzes.
Die Wechselwirkungen der einzelnen Bestandteile sind komplex, eine Vorhersage, welche Auswirkungen das Aussterben einer Art, die Abholzung eines Gebiets oder der Klimawandel auf das Gesamtsystem haben wird, ist nicht etwa nur schwer zu treffen – sie ist vielmehr schlichtweg unmöglich. „Je komplexer die Anforderungen, desto weniger funktionieren herkömmliche Planungstechniken und Managementkonzepte“, erklärt Svenja Hofert von Teamworks GTQ.
Umweltkatastrophen, Flugzeugabstürze und andere Krisen sind dagegen typische Fälle für chaotische Systeme. Während selbst in komplexen Umgebungen Ursache und Wirkung in einem geordneten Zusammenhang stehen, ist dies im Chaos nicht mehr der Fall. Hier geht es im Wesentlichen darum, Schaden zu begrenzen und Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Krisenmanagement erfordert entschlossenes Handeln, klare Anweisungen und direkte Kommunikation. Diskussionen oder das Hinterfragen von Entscheidungen ist erst in der Nachschau möglich und sinnvoll.
Scrum - ein agiles Vorgehensmodell
Das für agile Software-Projekte entwickelte Rahmenwerk
Scrum findet heute auch in vielen anderen Bereichen Anwendung. Es besteht im Wesentlichen aus diesen Bestandteilen:
Sprint: Projekte werden in kurze, aufeinander aufbauende Arbeitsabschnitte, sogenannte Sprints, eingeteilt, die jeweils zwischen einer und vier Wochen dauern. Zu Beginn jedes Sprints wird im Sprint Planning festgelegt, was im kommenden Arbeitsabschnitt wie zu erledigen ist. Am Ende des Abschnitts überprüft das Team im Sprint Review, ob die Ziele erreicht wurden. Ebenfalls am Ende jedes Sprints steht die Sprint-Retrospektive, in der das Team seine Arbeitsprozesse überprüft und gegebenenfalls Verbesserungen vereinbart. Während des Sprints treffen sich die Mitglieder täglich zu Arbeitsbeginn im Daily Scrum, um Informationen auszutauschen und sich einen Überblick über den Stand des Sprints zu verschaffen.
Product Owner: Der Product Owner ist für den Erfolg des Produkts verantwortlich. Er definiert die Produkteigenschaften, priorisiert sie und hält sie im Product Backlog fest, das beständig fortgeschrieben und nach jedem Sprint angepasst wird. Der Product Owner ist kein Teil des Entwicklerteams.
Scrum Master: Der Scrum Master sorgt dafür, dass die Scrum-Regeln eingehalten werden, und unterstützt bei Problemen oder Störungen in der Kommunikation und Zusammenarbeit.  Der Scrum Master ist mehr Coach als Führungskraft. Er gibt keine Anweisungen und hat auch keine disziplinarischen Kompetenzen. Auch der Scrum Master ist kein Mitglied des Entwicklungsteams.
Entwicklungsteam: Im eigentlichen Entwicklungsteam arbeiten drei bis neun Teammitglieder möglichst interdisziplinär zusammen. Es definiert gemeinsam die Ziele für die Sprints, verteilt die Arbeiten und organisiert sich selbst.
Definition of Done (DoD): In der DoD vereinbart das Scrum-Team, nach welchen Kriterien ein Arbeitsschritt als erfolgreich abgeschlossen definiert wird.
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