VR-Welten zwischen Hype und Praxis

VR für den Mittelstand

von - 07.12.2017
Cave Automatic Virtual Environment (CAVE): Erlaubt das Eintauchen in eine 3D-Welt.
(Quelle: L. Long und A. Nishimoto, Electronic Visualization Laboratory (EVL))
Während die großen Konzerne aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie Virtual Reality längst einsetzen, sind kleine und mittelständische Unternehmen oft noch skeptisch. „Mittelständler zögern, in Technologien zu investieren, deren Mehrwert sich nicht auf den ersten Blick erschließt“, sagt Michael Grethler von SolidLine. Um diesen Mehrwert erlebbar zu machen, wurde bereits 2014 am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Industrie 4.0 Collaboration Lab eröffnet, zu dessen Koopera­tionspartnern neben Bechtle und SolidLine auch das In­stitut für Informationsmanagement im lngenieurwesen (IMI) am KIT und das FZI Forschungszentrum Informatik gehören. Eine institutseigene 3D-CAVE macht virtuelle Welten erfahrbar. „Unternehmen können ganz unmittelbar erleben, wie sich mit Hilfe von Virtual und Augmented Reality etwa der Bau von Werkshallen, Produktionsanlagen oder Rechenzentren beschleunigen lässt“, sagt Grethler.
Ein Beispiel, wie sich diese Erkenntnisse anwenden lassen, ist die Firma Gabler aus dem badischen Malsch bei Ettlingen. Das 1906 gegründete Familienunternehmen fertigt Produktionsanlagen für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie und ist ein typischer „Hidden Champion“, der mit seinen Fertigungsstraßen für die Kaugummiproduktion gegen große Konkurrenten eine marktführende Stellung behaupten kann. Das bisher genutzte angemietete Werksgebäude war für die Bedürfnisse der Firma nicht optimal, Zeitverluste bei der Produktion und unnötige Aufwände waren die Folge. 
Um die Schwachstellen zu identifizieren, wurden die Arbeitsabläufe analysiert und virtuell nachgestellt, sodass sie in der 3D-Umgebung der CAVE nachvollzogen werden konnten. Von der Anlieferung des Materials über Lager, Warenverteilung und Fertigung bis hin zum Aufbau der fertigen Produktionsanlagen, die bis zu 300 Meter lang sind und sich über zwei Etagen erstrecken, wurden gemeinsam mit dem Planungs­büro und Bauunternehmen Vollack sämtliche Arbeitsabläufe virtuell nachgestellt und der rund 4100 Qua­dratmeter große Neubau geplant, in dem nun sämtliche Prozesse optimal ablaufen können.
Michael Grethler
Leiter der Forschung
bei SolidLine
www.solidline.de
Foto: SolidLine AG
„Mittelständler zögern, in Technologien zu investieren, deren Mehrwert sich nicht auf den ersten Blick erschließt.“
Gabler nutzt Virtualisierungsmethoden auch, um neue Fertigungsstraßen schneller und reibungsloser produzieren zu können. „Bei der Konstruktion solcher Anlagen müssen Fachleute aus der Starrkörperphysik, der Sensorik, der Kinematik und der Aktorik interdisziplinär zusammenarbeiten“, sagt Michael Grethler, „das führt häufig zu Engpässen, vor allem in den Bereichen Elektronik und Steuerungsprogrammierung.“ Komponenten und Programme für die Kommunikation zwischen der Speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) und Robotern würden häufig erst während des Aufbaus einer Anlage realisiert, so Grethler weiter, „das kann zu erheblichen Verzögerungen und Pro­blemen führen.“ Mit Hilfe der Virtualisierung lässt sich dieser Prozess standardisieren und die interdisziplinäre Zusammenarbeit vereinfachen. Probleme in der Steuerung können so bereits bei der virtuellen Inbetriebnahme erkannt und behoben werden. Eine fehlerhafte räumliche Verteilung der einzelnen Komponenten und Roboter, die zu Kollisionen im Arbeitsablauf führen würde, lässt sich intuitiv in der 3D-Ansicht erkennen. Gabler hat dazu im neuen Betriebsgebäude extra ein 3D-Kino eingerichtet, in dem die mit der 3D-CAD-Software SolidWorks konstruierten Modelle von allen Seiten betrachtet werden können.
Virtuelle Welten lassen sich aber nicht nur bei der Inbetriebnahme neuer Gebäude oder Maschinen einsetzen, sondern auch zur Visualisierung und Optimierung bestehender Prozesse. Noch fehle es aber häufig an der dafür notwendigen digitalen Durchgängigkeit, sagt Grethler: „Um permanente Optimierungen zu ermög­lichen, benötigt man eine tiefe Integration von Product Lifecycle Management und Enterprise Resource Planning, die meist noch nicht vorhanden ist.“
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