Zugpferde und Bremsklötze

Themen, Trends und Technologien

von - 20.10.2021
Foto: Shutterstock / mark higgins
Corona hat die Welt immer noch im Griff – und lenkt auch weiterhin die Themen, die die IT-Branche in den nächsten Monaten bewegen. Ein Überblick.

Eine Videokonferenz mit den Kollegen – und statt des grauen Großraumbüros die heimische Schrankwand oder das letzte Urlaubsfoto im Hintergrund. Wenn es ein Thema gibt, das die IT-Abteilungen in den vergangenen eineinhalb Jahren auf Trab gehalten hat, dann ist das mit Sicherheit das Homeoffice.
„New Work“ dürfte auf absehbare Zeit eines der wichtigsten Themen für Unternehmen und speziell für die IT-Abteilungen sein – also neue Arbeitsmodelle und -formen wie Homeoffice, mobiles Arbeiten, flexible Bürogestaltungen oder Vertrauensarbeitszeit. „Das Rad ist nicht mehr zurückzudrehen“, konstatiert Marco Burk. Viele Mitarbeiter hätten sich an die Vorteile der Remote-Kultur gewöhnt und würden diese mittlerweile spätestens über den Arbeitsmarkt einfordern, so die Erfahrung des Vice President beim IT-Dienstleister CGI.
Und das belegen auch die Zahlen: 69 Prozent der Arbeitnehmer, die Homeoffice bei ihrer Tätigkeit grundsätzlich für möglich halten, wünschen sich auch nach der Corona-Krise mehr Homeoffice als zuvor. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt).

Gekommen, um zu bleiben

„Unsere Arbeitswelt hat sich nachhaltig verändert, wir werden nicht zurückkehren zu alten Mustern“, ist die klare Einschätzung auch von Joachim Schreiner, Deutschland-Chef von Salesforce. Bei dem Cloud-Unternehmen hätten vor der Pandemie rund 20 Prozent der Mitarbeiter vollständig im Homeoffice gearbeitet. Der Anteil derer, die auch in Zukunft komplett im Homeoffice bleiben möchten, stieg laut Schreiner dabei nur geringfügig auf 22 Prozent. Jedoch: Die Zahl der Arbeitnehmer, die jeden Tag ins Büro kommen möchten, sei von 80 Prozent deutlich gesunken auf 15 Prozent. „Zwei Drittel unserer Beschäftigten werden daher zukünftig flexibel arbeiten und zwischen Büro und Homeoffice wechseln.“
Wenn man sich die Zahlen und Statements ansieht, dann verwundert es nicht, dass Unternehmenslenker in der Top-100-Umfrage von com! professional den Trend zu New Work – auch Modern Workplace genannt – als eines der wichtigsten Zugpferde für die IT in den kommenden Jahren nennen (siehe Grafik).
Zugpferde der deutschen IT-Branche
(Quelle: com! professional )
Auch wenn es sich bei New Work auf den ersten Blick um ein IT-Thema handelt, Stichwort mobile Geräte und deren Absicherung, so ist New Work vor allem auch ein Managementthema – und eine Sache des Vertrauens, so die Ansicht von Elisabeth Denison, Chief People Officer im Executive Committee des Beratungshauses Deloitte. „Im Kern geht es in der neuen Arbeitswelt um Vertrauen.“ Für die Einschätzung von Leistung sei dabei der Output entscheidend und nicht mehr der Input in Form von Stunden oder Anwesenheit. Führungskräfte sollten darauf vertrauen, dass die Mitarbeiter die ihnen übertragenen Aufgaben selbst organisiert lösen. New Work bedeutet Denison zufolge mehr Eigenverantwortung, Kooperation, Selbstverwirklichung und auch Sinnhaftigkeit. Viele Unternehmen seien mit ihren Mitarbeitern schon große Schritte in diese Richtung ge­gangen, „entscheidend ist, hier nicht den Anschluss zu verlieren.“
Joachim Schreiner
Deutschland-Chef von Salesforce
Foto: Salesforce
„Unsere Arbeitswelt hat sich nachhaltig verändert, wir werden nicht zurückkehren zu alten Mustern.“
New Work auf Biegen und Brechen ist allerdings keine Lösung. Dirk Pothen bremst hier die Euphorie etwas. Das Vorstandsmitglied beim IT-Dienstleister Adesso vertritt die Auffassung, dass ein vollständiges Remote-Arbeiten zwar gehe – aber nur für eine gewisse Zeit. „Danach müssen wir sehr genau schauen, wo ist Präsenz erforderlich und wo ist mobiles Arbeiten nicht nur möglich, sondern auch die bessere Variante.“ Er plädiert daher für ein flexibles und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasstes Modell, „sozusagen gesunder Menschenverstand vor Prozessregel“.
Bremsklötze der deutschen IT-Branche
(Quelle: com! professional )
Auch Marcus Metzner, CMO beim Dienstleister Arvato Systems, sieht den Trend zu New Work einerseits als Zugpferd, andererseits aber auch als Bremsklotz für IT-Projekte. „Allen Beteiligten fehlt tatsächlich die Begegnung vor Ort“, so der CMO. Trotz der Vorteile von Videokonferenzen & Co.: „Gewisse Dinge lassen sich im gemeinsamen Austausch vor Ort noch einmal anders lösen.“ Das betreffe vor allem die Stimmung im Team, „die Verve eines Projekts“.
Bei allen Überlegungen pro und contra New Work sollte man auch die Kulturfrage auf keinen Fall vergessen. Sie ist nicht nur ein zusätzlicher, sondern ein zentraler Aspekt. Das Ziel muss es sein, kleine und große Veränderungen im Unternehmen gemeinsam anzustoßen. Es sei entscheidend, dass man als Team die Unternehmenskultur, die man haben wolle, gestalte und vorlebe, betont Jörg Messner, Managing Director beim Dienstleister Lufthansa Industry Solutions. „Das gilt für jeden Mitarbeitenden in einem Unternehmen, unabhängig von seiner Rolle.“
Dabei sollten Führungskräfte nicht übersehen, dass es auch Mitarbeiter gibt, die sich mit dem neuen Möglichkeiten und der damit einhergehenden Verantwortung schwertun. Hierzu führte Lufthansa Industry Solutions im vergangenen Jahr eine Studie unter mehr als 1000 Arbeitnehmern aus verschiedenen Branchen in Deutschland durch. Demnach fühlen sich 29 Prozent der Befragten von den neuen Arbeitswelten überfordert. Es liegt an den Führungskräften, diese Mitarbeiter mitzunehmen, ihnen Unterstützung und Orientierung zu bieten und auch Berührungsängste abzubauen. Das kann durch Schulungen geschehen oder auch durch Teammitglieder, die das übrige Team motivieren und mit auf die Reise nehmen.
Katharina Papp
Business Consultant Transformation und Digital Leadership bei Bechtle
Foto: Bechtle
„Der Faktor Planbarkeit für Ressourcen und Tätigkeiten ist immer noch nicht so stabil wie zuvor“
Wohl kaum eine Zeit war für die IT-Branche so spannend, aber auch so aufreibend wie die vergangenen Monate. Doch was beschäftigt die IT in der nahen Zukunft? com! professional spricht darüber mit Katharina Papp, Business Consultant und Digital Leadership, Bechtle Systemhaus Holding AG.
com! professional: Frau Papp, blicken wir zunächst zurück: Wenn Sie sich die deutschen Unternehmen in den vergangenen Monaten ansehen – hat die Corona-Krise die Digitalisierung tatsächlich beschleunigt? Oder sind oft nur aus der Not heraus Projekte geboren, die nicht lange Bestand haben?
Katharina Papp: Wir haben beides erlebt: In manchen Bereichen ist die Digitalisierung in wenigen Monaten um zwei bis drei Jahre nach vorn katapultiert worden. An vielen Stellen wurden sicher auch mit der heißen Nadel IT-Infrastrukturen geschaffen, um handlungsfähig zu bleiben. Hier gilt es nun, die partiellen Lösungen in die bestehenden IT-Landschaften einzubinden und sie wieder effizient und wirtschaftlich managebar zu machen. Besonders nachhaltig dürfte aber der breite Bewusstseinsschub hinsichtlich der Bedeutung leistungsfähiger digitaler Prozesse sein, sei es die Gestaltung und Absicherung von Supply Chains, seien es neue Payment-Lösungen oder das Erfordernis veränderter beziehungsweise veränderbarer Geschäftsmodelle.
com! professional: Sie sprechen Effizienz und Managebarkeit an. Was sind denn die größten pandemiebedingten Herausforderungen für IT-Projekte?
Papp: Generell ist der Faktor Planbarkeit für Ressourcen und Tätigkeiten immer noch nicht so stabil wie zuvor. Das erfordert von IT-Dienstleistern eine hohe Flexibilität in Form der Bereitstellung von Services – vor Ort, remote oder kombiniert. Dazu kommen der anhaltende Fachkräftemangel in der Branche sowie nur bedingt kalkulierbare Risiken in der Verfügbarkeit einzelner Gerätekategorien.
com! professional: Wie ist Ihre Erfahrung aus der Praxis – nach welchen konkreten Technologien fragen Unternehmen momentan in Deutschland?
Papp: Nach wie vor groß ist der Bedarf an einer ganzheitlichen Ausgestaltung des modernen Arbeitsplatzes, einschließlich der damit verbundenen Change-Management-Prozesse und Schulungen. Das umfasst dann auch Themen wie Networking Solutions, Security und die Nutzung moderner, flexibler Cloud-Lösungen.
com! professional: Gibt es weitere Technologien, die Sie aktuell als Zugpferde betrachten würden und die in den kommenden Monaten relevanter werden?
Papp: Wir nehmen deutlich wahr, dass die bereits angesprochenen Organisationsthemen immer wichtiger werden, die mit der Einführung und dem Ausbau von Informationstechnologien verknüpft sind. Change-Management, User Adoption und die Gestaltung durchgängiger End-to-End-Prozesse gewinnen deshalb stark an Bedeutung.
com! professional: Und technologieseitig?
Papp: Technologieseitig sind besonders Themen gefragt, die auf die Digitalisierung einzahlen, wie zum Beispiel Automatisierung, Industrial IoT, Künstliche Intelligenz, Security oder Identity and Access Management (IAM).
com! professional: Corona war quasi der Startschuss für ein breitflächiges neues Arbeiten. Sind die Unternehmen und Anwender mittlerweile bereit für New Work? Wo hapert es noch?
Papp: Unsere Wahrnehmung ist, dass es hier ein breites Spektrum gibt zwischen Unternehmen, die gerade erst damit anfangen, New-Work-Konzepte zu testen, und absolut Fortgeschrittenen, die während der Pandemie voll auf ihre bereits gesammelten Erfahrungen damit bauen konnten. Homeoffice allein macht allerdings noch kein New Work aus. Veränderte Formen der Zusammenarbeit und ein höheres Maß an Flexibilität und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden erfordern vielerorts noch eine organisatorische Entwicklung.
com! professional: Was meinen Sie – wie viel New Work in welchen Bereichen wird nach der Pandemie bleiben?
Papp: Wir werden sicherlich mehr mobiles, flexibleres Arbeiten sehen als vor der Pandemie. Dennoch ist nicht überall mit einer linearen Fortschreibung zu rechnen. Vielmehr evaluieren Unternehmen gerade die gemachten Erfahrungen, erproben Neuerungen auf ihren Nutzen für das eigene Geschäftsmodell und suchen die für sie richtige Form und das richtige Maß.
com! professional: New Work ist vor allem auch eine Kulturfrage.  Haben sich die Unternehmenskulturen bereits gewandelt?
Papp: Das ist bislang nur vereinzelt der Fall. Vielerorts fangen die Verantwortlichen gerade erst an, über den mit New Work einhergehenden Kulturwandel nachzudenken. Wo bislang noch keine Mobilitäts- und Modern-Workplace-Konzepte praktiziert wurden, steht nun zunächst einmal die organisatorische Grundlage für einen effektiven Technikeinsatz im Vordergrund – also, dass Technik und User Adoption Hand in Hand gehen. Die Vereinbarkeit der jeweiligen Unternehmenskultur mit echten New-Work-Konzepten müssen die Unternehmen in einem weiteren Schritt prüfen: Passt das zu uns, zu unseren Rahmenbedingungen und unseren Zielen?
com! professional: Nicht nur die Zusammenarbeit läuft vermehrt über Videokonferenzen – auch Messen oder Vor-Ort-Schulungen finden momentan kaum statt. Wird vieles virtuell bleiben, weil es in den vergangenen Monaten auch geklappt hat und Geld spart …?
Papp: Die Zukunft wird hybrider. Sowohl für persönliche Termine, aber auch für virtuelle Begegnungen wird es nach wie vor Situationen geben, in denen die Stärken jeweils am besten zum Tragen kommen. Künftig werden solche Entscheidungen aber noch viel genauer abgewogen. Präsenzmeetings haben sicherlich an Selbstverständlichkeit eingebüßt und insbesondere Online-Trainings haben an Reputation gewonnen.
Katharina Papp
Foto: Bechtle
„Homeoffice allein macht noch kein New Work aus.“
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