Empathie und Vertrauen
Empathie ist zentral
von Jürgen Mauerer - 22.09.2021
„Die neue Arbeitswelt ist geprägt vom stetigen Wandel durch Technologie oder aktuell die Pandemie. Traditionelle Führung mit starren Hierarchien oder Präsenzpflicht kommt mit diesem Tempo nur schwer zurecht“, erklärt Ines Gensinger, Head of Global Corporate Communications bei der Global Legal Entity Identifier Foundation (GLEIF), die die Transparenz bei globalen Finanztransaktionen verbessern will. Sie ist Mitautorin des Buchs „Netzwerk schlägt Hierarchie“, in dem es um Digital Leadership geht. „Wer Digitalisierung sagt, muss von Digital Leadership sprechen, einer neuen Führungskultur innerhalb der digitalen Transformation. Sie richtet den Fokus verstärkt auf die soziale Kompetenz und Empathie.“
Ines Gensinger hat die Kollegen aus ihrem Team zuletzt vor knapp einem Jahr persönlich getroffen. Der Kontakt läuft virtuell über Team-Meetings oder wöchentliche One-to-one-Gespräche in Videokonferenzen. „Genau wegen dieser räumlichen Distanz ist die soziale Empathie für Führungskräfte entscheidend, um die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter wahrzunehmen. Teams setzen sich ja meist aus unterschiedlichen Generationen zusammen.
Der Mix dieser Altersstrukturen und Erfahrungen ist ein wichtiger Indikator für erfolgreiches Zusammenarbeiten, aber auch für Unternehmenserfolg. Das führt aber dazu, dass die Anforderungen an mich sehr hoch sind, da jeder andere, für seine Generation typische Bedürfnisse hat“, beschreibt Gensinger ihre Aufgabe.
Sozial kompetent zu sein ist eines der fünf Persönlichkeitsmerkmale, die laut der internationalen Personalberatung Russell Reynolds eine Führungskraft in der digitalen Transformation auszeichnen. Die anderen vier sind: innovativ, disruptiv, mutig, entscheidungsfreudig. „Für mich gehört aber auch eine hohe Resilienz dazu. Also immer weitermachen und aus Fehlern lernen. Ebenso, anderen den Vortritt zu lassen und ihnen ermöglichen, zu wachsen“, sagt Ines Gensinger. „Es gibt hier keine universell richtige Antwort. Denn Führung ist auch immer eine Frage der Persönlichkeit.“
Der Chef von heute muss laut Gensinger mehr coachen als führen, mehr vertrauen als vorgeben und kontrollieren. In einem Team soll einer für den anderen einstehen und man sich gegenseitig unterstützen, Ziele zu erreichen. „Die Führungskraft sorgt für ein vertrauensvolles Umfeld, schafft Freiräume und gibt einen Vertrauensvorschuss. Die Formel ‚Können x Wollen x Dürfen‘ bringt nur ein Ergebnis, wenn das Dürfen nicht gleich null ist“, so Ines Gensinger.
Jürgen Klopp als Vorbild
Auch Thomas M. Fischer von Allfoye sieht Vertrauen statt Kontrolle als ein wichtiges Führungsprinzip an. „Ich muss loslassen, die passenden Aufgaben an meine Mitarbeiter übergeben und dann darauf vertrauen, dass diese zum Wohle des Unternehmens handeln. Und ich muss die Delegationsschmerzen aushalten und auch akzeptieren, dass die Mitarbeiter die Aufgabe anders lösen als ich und eventuell Fehler machen.“ Hier gilt die Devise: Je unkritischer die Konsequenz für die Firma, desto weitreichender die Freiheiten und Entscheidungsspielräume für die Mitarbeiter.
Ein Vorbild für moderne und menschenorientierte Führung stellt für ihn Fußballtrainer , dar, der für alle Beteiligten beim FC Liverpool den perfekten Rahmen für Höchstleistungen schaffe, vom Platzwart über den Trainerstab bis hin zu den Spielern. „Er steht hinter seinen Leuten, legt viel Wert auf Stimmung und Wohlbefinden, weil er weiß, dass Menschen, denen es gut geht, viel leisten können. Zudem führt er sehr viele Einzelgespräche, er fordert und fördert seine Mitarbeiter und Spieler sehr individuell.“
Das Ergebnis zählt
Natürlich gehört es auch zu den Aufgaben einer Führungskraft, die Leistung der Mitarbeiter zu kontrollieren. Dies dürfte bei Präsenz im Büro leichter fallen als bei virtueller Zusammenarbeit und Remote-Work. Doch letztlich zählt am Ende nicht die Anzahl der im Büro abgesessenen Arbeitsstunden, sondern das erreichte Ergebnis. „Die Ergebnisorientierung fängt immer beim Geschäftszweck des Unternehmens an: Was machen wir? Was wollen wir? Das Management muss auf dieser Basis klare Ziele für das Unternehmen, die verschiedenen Teams und individuell für jeden einzelnen Mitarbeiter definieren. Diese Ziele sollten realistisch zu erreichen sein und im Dialog gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelt werden“, betont Jens Wiesner, Gründer der Unternehmensberatung Wirksam sein. Er berät Firmen hinsichtlich der modernen, agilen und vernetzten Arbeitswelt.
Im nächsten Schritt geht es darum, diese Ziele auf Arbeitspakete herunterzubrechen, Meilensteine zu setzen und ein Anreizsystem für die Mitarbeiter zu schaffen. Dazu Jens Wiesner: „Das Erreichen des Ergebnisses muss belohnt werden. Dann erhalte ich auch engagierte und motivierte Mitarbeiter. Die Führungskraft sollte hier als Coach Hilfestellung geben, die Mitarbeiter ermutigen, ihnen vertrauen, dass sie ihre Aufgaben besten Gewissens erledigen und Fehler als Chance zur Weiterentwicklung sehen.“
Das Problem: Durch die fehlenden Präsenzzeiten im Büro wegen Corona und die räumliche Distanz sind die Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkter. Gespräche laufen nicht mehr schnell mal so nebenbei auf dem Flur, in der Kaffeeküche oder in der Kantine. Daher fällt es auch schwerer, die aktuelle Stimmung zu ermitteln oder ein Wirgefühl im Team zu schaffen. „Der Teamleiter muss hier empathisch sein, auf die Stimmung im Team achten und aktiv eventuelle Spannungen und Missverständnisse abbauen. Dazu ist es wichtig, neben dem fachlichen Austausch auch virtuell Gespräche über persönliche Themen zu führen. Das können Einzelgespräche sein, virtuelle Kaffeerunden im Team oder ein Feierabendbierchen per Videokonferenz. Das sorgt für erlebte Gemeinschaft“, sagt Jens Wiesner.