Empathie und Vertrauen

Kultur und Struktur

von - 22.09.2021
New Work und flexible Arbeitsformen erfordern laut Wiesner auch eine organisationale Transformation als fortwährende Reise, die sich den wechselnden Anforderungen des Marktes, der Kunden, der Mitarbeiter oder anderer Interessengruppen stellen muss. Seiner Meinung nach sollte die Unternehmensstruktur der optimalen Arbeitsorganisation dienen. „Hierarchische Strukturen funktionieren in Zeiten des schnellen Wandels nicht mehr, weil der Chef kein Detailwissen mehr hat, vom Expertenstatus abgerückt ist und vor allem für die Organisation der Zusammenarbeit zuständig ist“, so Jens Wiesner. „Die Führung kann in Projekten je nach Wissen und Kompetenz der Teammitglieder wechseln. Es braucht aber eine Klammer, die das Miteinander gestaltet. Das ist die Führungskraft.“
Allfoye-Geschäftsführer Thomas M. Fischer fordert, dass Firmen im Rahmen von New Work ihre Organisation nicht mehr funktional nach Bereichen wie Einkauf, Vertrieb oder Marketing strukturieren, sondern in kundenbezogenen End-to-end-Prozessen denken und sich flexibler aufstellen. „Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen arbeiten dann projektorientiert kontextual zusammen, mit wechselnden Projektleitern, agilen Methoden mit Sprints, anderen Rollenkonzepten oder Steuerungsmethoden wie OKR (Objectives and Key Results), die Mitarbeiter in die Formulierung der Unternehmensziele einbeziehen“, erläutert Fischer.
Dr. Thomas M. Fischer
Geschäftsführer und Gründer der Managementberatung Allfoye
Foto: Allfoye
New Work steht für Offenheit, neugierig sein, vernetztes Denken, den Abbau von Silos, die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Vertrauen als Basis.
Es gehe darum, ein attraktives Zielbild zu schaffen, um die Mitarbeiter mitzunehmen und sie zu einem klaren „Hin zu“ zu motivieren, so der Allfoye-Mann weiter: Wo soll es hingehen? Warum lohnt es sich, diesen Weg zu gehen? Wie kommen wir dahin? Was musst Du dafür tun? „New Work steht für Offenheit, neugierig sein, vernetztes Denken, den Abbau von Silos, die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Vertrauen als Basis. Entscheidend sind die vier Elemente Unternehmenskultur, prozessuale Organisation, agile Methoden und moderne Technologien“, resümiert Thomas M. Fischer.

Veränderung auf allen Ebenen

Damit der Wandel hin zu New Work gelingt, muss die Veränderung auf allen Hierarchie-Ebenen stattfinden. Wenn das obere Management, Teile der Führungskräfte oder ganze Gruppen von Mitarbeitern nicht mitziehen oder zurückgelassen werden, findet Veränderung nur schleppend oder gar nicht statt. „Das Diktat von oben oder unten funktioniert genauso wenig wie das Überstülpen einer neuen Organisa­tionsform, die nicht alle mittragen“, sagt Ines Gensinger.  
Bei der Unternehmenskultur sieht sie drei Handlungsfelder: Mensch, Raum und Technologie. Erstens sei es wichtig, deutlich mehr Verantwortung an das Team abzugeben.  „Nur wer Vertrauen zu seinen Mitarbeitern hat, wird die Herausforderungen der Digitalisierung und von New Work meistern. Dazu gehört, Mitarbeiter zu befähigen, ihre Ziele zu erreichen und Eigenverantwortung zu übernehmen.“ Zweitens gehe es darum, Freiräume zu schaffen im Sinne von Vertrauensarbeitszeit und -ort sowie einer positiven Fehlerkultur. Und drittens sind laut Gensinger für den Wandel hin zu New Work Technologien erforderlich, die eine Zusammenarbeit zu jeder Zeit und an jedem Ort ermöglichen.

Klare Regeln

Stellt sich die Frage: Bedarf es einer eigenen New-Work-Governance mit klaren Regeln? Falls ja, wie kann dieses Regelwerk aussehen? Die von uns befragten Experten sind sich einig: Ja, man braucht ein Framework mit klaren Werten und Regeln, das einen groben Rahmen bildet und Leitplanken setzt, jedoch nicht zu sehr ins Detail gehen soll und viele Freiräume lässt. Dazu gehören Punkte wie Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit, Regeln für den Arbeitsort (Anzahl der Tage im Homeoffice, nur zu Hause, jeden Tag im Büro und so weiter), Konzepte wie Shared Desk (nicht am Arbeitsplatz essen, Schreibtisch nach Arbeitsende aufräumen, in Ruhezonen Handy lautlos stellen) oder Vorgaben für die Projektleitung (Beispiel: Führungskräfte der ersten oder zweiten Ebene leiten keine Projekte).

New Work und die Mitarbeiter

All die beschriebenen Veränderungen betreffen natürlich nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeiter. Hier kann es durchaus große Unterschiede geben, je nach Alter, Mentalität oder Rolle im Unternehmen. Nicht jeder Mitarbeiter braucht Freiräume, will mehr Verantwortung oder kann flexibel arbeiten. Es gibt auch Personen, die klare Anleitungen einfordern, etwa neue Kollegen, und von 8 bis 16 Uhr arbeiten wollen. Das heißt: Die neue Arbeitswelt ist nicht nur agil und harmonisch. Hier geht es darum, die richtige Balance zwischen Alt und Neu zu schaffen und individuell auf die Bedürfnisse und Persönlichkeit der Mitarbeiter einzugehen.
Microsoft Work Trend Index: Das können Führungskräfte aus dem vergangenen Jahr Remote-Arbeit lernen
Microsoft hat im April 2021 seinen ersten jährlichen „Work Trend Index“ mit sieben Trends veröffentlicht, die Führungskräfte in Zeiten von New Work und der Arbeit im Homeoffice beachten sollten. Basis dafür sind eine Umfrage unter 30.000 Führungskräften und Beschäftigten aus 31 Ländern, Einblicke von Experten sowie die Auswertung anonymisierter Trends aus Microsoft 365 und Linkedin:
  • Flexible Arbeitsmodelle bleiben: 73 Prozent der Beschäftigten weltweit wünschen sich nach der Pandemie weiterhin die Möglichkeit zu Remote-Arbeit sowie mehr persönlichen Kontakt zu ihren Teams und Kollegen (67 Prozent). Hierzulande ist dieses Bedürfnis noch etwas ausgeprägter (70 Prozent), flexibles Arbeiten ist dafür weniger wichtig – nur 64 Prozent wünschen sich diese Möglichkeit auch weiterhin.
  • Diskrepanz zwischen Führungskräften und Beschäftigten wächst: 61 Prozent der Führungskräfte weltweit geben an, dass es ihnen gut geht – 23 Prozentpunkte mehr als bei den Beschäftigten. Diese Diskrepanz zwischen Führungskräften und Beschäftigten spüren die Mitarbeiter – weltweit sagen 37 Prozent von ihnen und hierzulande 30 Prozent, dass der Arbeitgeber zu viel verlange. Die Menschen erwarten von ihren Arbeitgebern und Führungskräften, dass sie Empathie und Verständnis für die individuellen Herausforderungen der Beschäftigten entwickeln.
  • Hohe Produktivität fordert ihren Tribut: Viele Beschäftigte schätzen ihre Produktivität als genauso hoch wie im letzten Jahr oder sogar höher ein. Doch diese Produktivität hat einen Preis: Weltweit sagt fast jeder fünfte Beschäftigte und hierzulande sogar fast jeder vierte, dass sich sein Arbeitgeber nicht für seine Work-Life-Balance interessiert. 54 Prozent fühlen sich überarbeitet, 39 Prozent erschöpft. In Deutschland sind es mit 55 beziehungsweise 42 Prozent sogar noch mehr.
  • Generation Z ist besonders gefährdet: Die Generation Z, also die 18- bis 25-Jährigen, scheint besonders unter den Umständen der Corona-Pandemie zu leiden. 60 Prozent der weltweit Befragten und 63 Prozent der deutschen Beschäftigten aus der Gen Z sagen, dass sie im Moment kämpfen müssen und versuchen, die Situation einfach nur zu überstehen – statt sich zu entfalten.
  • Netzwerke schrumpfen: Anonymisierte Trends aus Milliarden Outlook-E-Mails und Teams-Meetings zeigen eine überraschende Entwicklung: Durch die Umstellung auf Remote-Arbeit sind unsere Netzwerke geschrumpft. International berichten 40 Prozent der Beschäftigten, dass ihr Netzwerk kleiner geworden ist, in Deutschland ist es sogar fast jeder Zweite.
  • Authentizität fördert das Wohlbefinden: Remote-Arbeit hat die Arbeitswelt menschlicher gemacht. So hat weltweit etwa jeder Fünfte die Familie oder Haustiere von Kollegen virtuell kennen­gelernt. Diese Interaktionen mit Kollegen können dazu beitragen, einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich die Menschen wohl damit fühlen, ganz sie selbst zu sein.
  • Größeres Reservoir an Arbeitskräften: Durch die verstärkte Remote-Arbeit ist der Kreis potenzieller neuer Mitarbeiter heute größer. Die Zahl der Remote-Stellenausschreibungen auf Linkedin hat sich während der Pandemie verfünffacht.
Jens Wiesner unterscheidet grundsätzlich zwei Typen von Mitarbeitern: Bewahrer und Entdecker. Während die Entdecker offen für Neues sind und keine Routinejobs wollen, geht es den Bewahrern um Sicherheit und Regelmäßigkeit. „In der Produktion beispielsweise sind Bewahrer wichtig, da sie ihre Aufgaben exzellent und zuverlässig erledigen. Die Führung muss diese beiden Gruppen in ihrem Kontext sehen und jeweils passende Anreizsysteme schaffen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“

Fazit

Digitalisierung und Corona-Pandemie haben die Arbeitswelt stark in Richtung Flexibilität verändert und die Unternehmen herausgefordert. Diese haben jetzt die Chance, sich auf die Phase nach Corona vorzubereiten, ihre Führung, Kultur und Zusammenarbeit zu verbessern und New Work nach ihren individuellen Anforderungen umzusetzen. Ziel ist es, ein positives und inspirierendes Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter zu schaffen, um sie zu motivieren und an das eigene Unternehmen zu binden. Zufriedene Mitarbeiter sind leistungsbereiter und stellen damit einen wichtigen Faktor für den Geschäftserfolg von Unternehmen dar.
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