Herausforderung KI

KI-Hype zwischen Erfolg und enttäuschter Hoffnung

von - 03.07.2020
Künstliche Intelligenz
Foto: Sergej Tarasov / shutterstock.com
Algorithmen sind dümmer, als wir denken. KI-Systeme sind nur in ihrem eng begrenzten Einsatzgebiet höchst effizient. Weichen die Voraussetzungen jedoch ab, droht ein Scheitern.
Es war eine Sternstunde der KI-Forschung: Google-CEO Sundar Pichai demonstrierte live auf der Entwicklerkonferenz „Google I/O 2018“ einen Sprachbot, dessen Konversationsfähigkeiten sich nicht mehr von denen eines Menschen unterscheiden ließen. Der Google-Assistent unterhielt sich locker mit seinen Gesprächspartnern, buchte einen Friseurtermin und ließ sich selbst von einer begriffsstutzigen Restaurantmitarbeiterin nicht aus der Ruhe bringen, die seine Reservierungsversuche torpedierte. Sogar typisch menschliche Füllwörter wie „mh“ und „äh“ fügte der Assistent in seine Rede ein. Basis dieser Revolution sei die Technologie Google Duplex, so Pichai, an der das Unternehmen seit Jahren arbeite.
Doch schon bald nach der beeindruckenden Demo mehrten sich Zweifel an der Echtheit der vorgespielten Konversationen. Nach Ansicht der investigativen Nachrichtenseite Axios unterschieden sich die Aufnahmen deutlich von realistischen Anrufen bei Friseuren oder in Restaurants. Die Gesprächspartner nannten nicht wie üblich den Namen des Betriebs, es gab keinerlei Hintergrundgeräusche und es wurden keine Telefonnummern abgefragt. Google reagierte auf diese Vorwürfe mit Schweigen, Nachfragen wurden nicht beantwortet.
Egal ob die Aufnahmen echt waren oder nicht - die meisten Chatbots und Sprachassistenten sind nach wie vor viel dümmer als uns die Anbieter glauben machen wollen. „Niemand mag Chatbots“, sagt Pieter Buteneers, CTO des Bot-Entwicklers Chatlayer.ai auf der „ML Conference 2019“ in München. „Die Interaktion mit ihnen ist meist eine lausige Erfahrung.“ Bots scheitern oft schon daran, zu verstehen, was der Mensch von ihnen will. Um mit einem Menschen eine Unterhaltung zu führen, muss der Assistent nämlich zunächst einmal dessen Absicht (Intent) erkennen. Traditionelle regelbasierte Systeme stoßen hier schnell an ihre Grenzen, daher setzen Bot-Programmierer für die Intent-Erkennung heute meist auf maschinelles Lernen. Unternehmen wie Microsoft, Google oder IBM bieten dazu vorgefertigte NLU-Systeme (Natural Language Unterstanding), die auf das Verstehen menschlicher Sprache trainiert wurden. Buteneers Erfahrungen mit diesen Werkzeugen waren jedoch alles andere als berauschend. „Wir testeten als Erstes Microsoft LUIS“, berichtet er auf der ML Conference 2019, „aber wir stellten sehr schnell fest, dass die Performance wirklich schlecht war.“ Nach Tests von Chatlayer.ai erzielte LUIS nur eine Trefferquote von 80 Prozent. „Das klingt hoch“, so Buteneer, „aber es bedeutet im Umkehrschluss, dass jede fünfte Konversation falsch klassifiziert wird.“ Google DialogFlow und IBM Watson leisteten sich deutlich weniger Fehler, irrten aber immer noch in 10 bis 15 Prozent der Fälle.
Ein zweiter Grund für die schlechte Erkennungsrate liegt in der Wahl des Trainingsmaterials. „Wenn die für das Training verwendeten Ausdrücke zu ähnlich sind, lernt das System die falschen Zusammenhänge“, erklärt Buteneers. Es sei daher wichtig, auf eine möglichst große Variation in der Wortreihenfolge zu achten und für Schlüsselwörter so viele Synonyme wie möglich einzubeziehen. Viele Unternehmen vergessen laut Buteneers außerdem, den Chatbot kontinuierlich zu verbessern. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass viele Bots erst gar nicht in den produktiven Einsatz gelangen.“
Schwache versus starke KI
Künstliche Intelligenz lässt sich prinzipiell in zwei Klassen einteilen:
Schwache KI: Diese Programme und Algorithmen können konkrete Fragestellungen bearbeiten und sind für spezifische Anwendungsfälle konzipiert. Ändern sich die Voraussetzungen oder lässt sich das Problem mit der vorgegebenen Verfahrensweise nicht lösen, scheitert schwache KI. Sie muss dann von Menschen neu trainiert oder umprogrammiert werden. Typische Anwendungsfälle für schwache KI sind Bild-, Text- und Spracherkennung, Empfehlungs- und Navigationssysteme, automatische Übersetzung und Korrekturvorschläge in Rechtschreib- und Suchprogrammen sowie Expertensysteme.
Alle derzeit verfügbaren KI-Anwendungen gehören in die Klasse der schwachen KI.
Starke KI: Ein starkes KI-System würde die kognitiven Fähigkeiten von Menschen erreichen oder sogar übertreffen. Es könnte frei und in natürlicher Sprache mit Menschen kommunizieren, logische Schlussfolgerungen ziehen, Pläne erstellen und diese situativ an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, sich Ziele setzen und diese verfolgen. Ob auch Bewusstsein, Selbsterkenntnis oder gar Weisheit zu den obligatorischen Merkmalen gehören, wird kontrovers diskutiert. Ebenfalls umstritten ist die Frage, ob es überhaupt jemals starke KI-Systeme geben kann. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass in absehbarer Zeit eine solche Superintelligenz entwickelt werden könnte.
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