Digitalisierung

Machtgebärden prägen die digitale Revolution

von - 18.03.2020
Machtgebärde und Digitalisierung
Foto: kentoh / shutterstock.com
Gerfried Stocker von der Ars Electronica spricht über die Rolle Europas in der digitalen Revolution und warum er denkt, dass die Digitalisierung in der Midlife-Crisis steckt.
Gertfried Stocker
(Quelle: Ars Electronica)
Die digitale Revolution braucht vor allem eines: Daten. Europa hat dieses Feld bislang weitgehend den US-Konzernen überlassen - und muss nun einen Weg finden, mit den neu entstandenen digitalen Landlords umzugehen, findet Gerfried Stocker. Als künstlerischer Leiter des Kunst-Festivals „Ars Electronica“ in Linz beschäftigt er sich seit vielen Jahren mit technischen Entwicklungen, Zukunftsszenarien und der Frage, wie diese unser Leben und die Gesellschaft als Ganzes verändern werden.
com! professional: Das Ars Electronica Festival 2019 stand unter dem Motto „Out of the Box: Die Midlife-Crisis der Digitalen Revolution“. Ist die digitale Revolution überhaupt schon alt genug für eine Midlife-Crisis?
Gerfried Stocker: Vor ziemlich genau 40 Jahren kamen die Desktop-Computer in die Welt. Apple brachte 1978 den Apple 2 auf den Markt. 1981 stellte IBM den PC, den Personal Computer, vor. Damit drangen Computer und digitale Technologie erstmals in unsere Haushalte und Lebensrealitäten vor. Und damit begann die soziale Kolonialisierung des digitalen Raums. Dieser Teil der digitalen Revolution, der die kulturelle und soziale Veränderung betrifft, ist also wirklich 40 Jahre alt. Und 40 Jahre ist ein klassischer Moment der Midlife-Crisis.
com! professional: Was genau ist denn die Krise?
Stocker: Wir haben den Begriff Midlife-Crisis natürlich ein bisschen ironisch gewählt. Die digitale Revolution spiegelt in einigen Teilen das Machogehabe eines 40-jährigen Managers wider, der sich noch schnell einen Porsche kauft und auf berufsjugendlich macht. Diese Aufschneiderei und diese Machtgebärden prägen auch die digitale Revolution. Es gibt ja fast schon einen Stellungskampf zwischen den kommerziellen Monopolen und der Gesellschaft und den Regierungen, die jetzt langsam merken, dass man das Thema nicht mehr ignorieren darf. Und die Midlife-Crisis ist ja keine existenzielle, apokalyptische Endkrise. Stattdessen hat man etwas erreicht, steht eigentlich gut da, fragt sich aber plötzlich: „War’s das jetzt?“ Und das tun wir im Moment. Wir fragen uns: Ist das nun der große Traum vom Internet als globalem Dorf, in dem alle Menschen Zugang zu allen Informationen haben, sich miteinander austauschen und befruchten können? Für Europa stellt sich angesichts der wirtschaftlichen Dimension dieser Situation zudem die Frage, wie ein europäischer Weg in diese digitale Zukunft aussehen kann. Haben wir das Match verloren, weil wir den ersten Zug versäumt haben? Ist das aufzuholen? Oder gibt es einen dritten Weg?
com! professional: Was glauben Sie?
Stocker: Ich glaube, wir sollten nicht versuchen, den großen Datenkonzernen nachzueifern. Statt dem Datenkapitalismus der Amerikaner und dem Datentotalitarismus der Chinesen zu folgen, sollten wir in Europa das Konzept des Datenhumanismus anstreben. Die Frage ist, wie man Digitalisierung als Produkt veredeln kann. Wenn wir digitale Daten als Rohstoff sehen, bietet uns das eine tolle Chance, menschen- und gesellschaftsgerechte Anwendungen zu entwickeln, die auch eine ökonomische Zukunft für Europa sein könnten.
com! professional: Das müssen Sie jetzt bitte noch etwas konkreter erklären.
Stocker: Nehmen Sie als Beispiel das Thema digitaler Zwilling und Medizin. Was könnte es Besseres für uns geben, als dass all unsere Gesundheitsdaten zentral gespeichert sind? Jeder Arzt, der uns behandelt, kann sie nutzen. Und auch die wissenschaftliche Forschung bekommt darauf Zugriff und kann so unsere Krankheiten besser verstehen und heilen. Gleichzeitig ist das für uns aber auch der größte Albtraum, den wir uns vorstellen können. Schon während man es ausspricht, bekommt man Gänsehaut. Genau da sieht man die Diskrepanz, die man lösen muss. Und wem sonst als Europa könnte es gelingen, hier einen Weg aufzuzeigen, wie man Datenwirtschaft ohne rücksichtslose Ausbeutung der Betroffenen betreiben kann? Technisch ist das durchaus möglich. Und auf einem globalen Markt könnte so etwas auch einen Wettbewerbsvorteil bedeuten.
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