Legal Tech

Algorithmen pflegen statt Mandanten betreuen?

von - 20.08.2019
Roboterhand mit Waage
Foto: Alexander Limbach / shutterstock.com
Automatisierung und Künstliche Intelligenz verändern Rechtswesen und Anwaltsberuf. Viele Prozesse und Prüfungen der Rechtslage können von Algorithmen vorgenommen werden.
Die Digitalisierung hat in vielen Branchen Prozesse verändert oder sogar Geschäftsmodelle pulverisiert: Medien, Handel, Banken, Versicherungen und Industrie können ein Lied davon singen. Mittlerweile trifft es auch das Rechtswesen und den Job des Anwalts. Sehr aufschlussreich ist hier eine Studie von Boston Consulting und der Bucerius Law School. Demnach könnten 30 bis 50 Prozent der Arbeitsschritte, die derzeit Junior-Anwälte erledigen, durch Automatisierung und KI-Techniken wie maschinelles Lernen überflüssig werden. Eine bemerkenswerte Zahl.
Algorithmen arbeiten bei der Prüfung von Verträgen auch genauer und schneller als Anwälte. Das zeigte ein Test, bei dem sich letztes Jahr eine speziell trainierte KI der Plattform Lawgeex gegenüber 20 US-amerikanischen Top-Anwälten als haushoch überlegen erwies. Die Probanden sollten binnen vier Stunden fünf Verträge zur Geheimhaltung (Non-Disclosure Agreement, NDA) überprüfen und 30 rechtliche Probleme identifizieren. Das Ergebnis war eindeutig: Während die Anwälte im Schnitt 92 Minuten brauchten und eine Genauigkeit von 85 Prozent erreichten, benötigte der spezialisierte Algorithmus für die gleiche Aufgabe nur 26 Sekunden bei einer Genauigkeit von 94 Prozent.
Zudem gibt es bereits in vielen Bereichen des Zivilrechts Start-ups wie Flightright.de, das sich um Flugverspätungen kümmert, Geblitzt.de für Verkehrsrecht, Wenigermiete.de für das Mietrecht oder Rightmart.de für Hartz-IV-Klagen. Sie alle treten mit ihren Legal-Tech-Angeboten in Konkurrenz zu kleinen und mittleren Anwaltskanzleien.
Grund genug also, sich mit dem Phänomen Legal Tech näher zu beschäftigen. Was verbirgt sich dahinter, welche Folgen haben neue Technologien für das Rechtswesen und seine Akteure? Wie können sich Anwälte, Richter und Staatsanwälte oder die Rechtsabteilungen von Unternehmen für die Digitalisierung wappnen? Und wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Ausbildung der Juristen aus? Fragen über Fragen.

Breites Spektrum

Beginnen wir mit einer Begriffsklärung und fragen Christian Solmecke, Rechtsanwalt für Medien- und IT-Recht sowie Partner der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke in Köln. Er ist Co-Autor des Buchs „Legal Tech - Die digitale Transformation in der Anwaltskanzlei“.
Christian Solmecke
Christian Solmecke
Anwalt für Medien- und IT-Recht
www.wbs-law.de
Foto: WBS
"In Deutschland setzen nur 50 Prozent der Kanzleien eine Kanzlei.Management-Software ein (...) - eine Katasrophe und ziemlich unwirtschaftlich."
Solmecke teilt das Thema Legal Tech in drei Bereiche ein. Den ersten bildet die digitale Akquise, sprich die Frage, wie Anwälte mit Hilfe von Technologie mehr Geschäft generieren. „In unserer Kanzlei setzen wir neben Google AdWords und Facebook Marketing auch kleine Software-Tools ein, die uns dabei helfen, unsere Webseite attraktiver zu machen und damit an noch mehr Mandatsgeschäft zu kommen“, erklärt Christian Solmecke.
Das zweite Einsatzfeld von Legal Tech sieht er im Rahmen der Abarbeitung von Mandatsgeschäft. „Anwälte können moderne Technologien einsetzen, um Fälle schneller zu bearbeiten. Das ist ein Bereich, der bislang noch stiefmütterlich behandelt worden ist und den wir gerade mit unserer eigenen Kanzlei-Management-Software Legalvisio.de angehen“, so Solmecke. Seine Kanzlei bietet die komplett cloudbasierte Software auch anderen Anwälten am Markt an, um Teile der anwaltlichen Tätigkeit und typische Workflows zu automatisieren.
Drittens spielt Legal Tech laut Solmecke auch noch eine Rolle, wenn Computer juristische Probleme vollautomatisch lösen sollen. „Hier setzen oftmals Unternehmen die Technologien ein, um den Anwalt komplett zu ersetzen. Das könnte in Zukunft der interessanteste Bereich werden, auch wenn ich kurzfristig Legal Tech als Unterstützung für Rechtsanwälte sehr spannend finde.“

Anbieter

Dienstleistung

Besonderheiten

42DBS

Software ShakeSpeare Legal für das Fall- und Office-Management in Rechtsanwaltskanzleien und Rechtsabteilungen

Workflow-Konfigurator für juristische Arbeitsabläufe, digitale Mandantenakte

Advocado

Online-Marktplatz bringt Anwälte und Mandanten zusammen

Deckt alle rechtlichen Angelegenheiten von Privat- und Geschäftskunden ab

Advobot

Chatbot beantwortet Fragen (ähnlich FAQs), nimmt Daten auf und gibt Hinweise (Compliance Chatbot)

Lässt sich an jedes Rechtsgebiet und die individuellen Bedürfnisse von Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien anpassen

Chevalier

Softwaregestützte Vertretung von Arbeitnehmern in Kündigungsschutzfragen

Fokus: außergerichtliche Beilegung von Streitsachen

Flightright

Treibt Geld bei Ausfällen und Verspätungen von Airlines ein

Ähnliches bieten www.wirkaufendeinenflug.de,
https://compensation2go.com.oder https://euflight.de

Geblitzt.de

Prüft teilautomatisiert, ob Bußgeldbescheide im Straßenverkehr rechtens sind

Vermittelt Verkehrsrechtsanwälte

Lawlift

Software, mit der Anwälte Dokumente und Verträge (teil-)automatisiert erstellen

Anpassung der Verträge auf individuelle Sachverhalte

Leverton

KI-basierte Software liest sekundenschnell Verträge aus und analysiert und filtert sie nach relevanten Informationen

Schwerpunkt Immobilien- und Rechnungswesen, Integration mit Systemen wie SAP und Powerplan

Rightmart

Online-Service prüft automatisiert Verbraucheransprüche etwa bei Pauschalreisen, Abmahnungen, Hartz-IV-Bescheiden und Bußgeldern

Kooperiert mit dem Online-Rechtsdienstleister Casecheck

Wenigermiete.de

Mietvertrags-Portal prüft Mieterhöhungen, Kündigungen, Schönheitsreparaturen, Wohnungsmängel

Kostenlose Anwalts-Hotline; Mietpreisbremse-Rechner, Ratgeber Mietrecht

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