Maschinen und Anlagen ins IoT katapultieren

Was zu beachten ist

von - 11.09.2019
Wenn die Entscheidung fürs IoT-Retrofitting gefallen ist, ist der nächste entscheidende Schritt eine klare Zielsetzung, was mit dem Projekt erreicht werden soll. Sie gibt Aufschluss darüber, welche Daten tatsächlich gesammelt werden sollen, damit unnötige Kosten vermieden werden. Relayr-Mann David Petrikat kennt das aus erster Hand: Ein Relayr-Kunde wollte eine große Zahl an Sensoren einbauen, um bestimmte Anomalien für die Erstellung eines prädiktiven Modells zu erkennen. Dies wäre mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden gewesen. Es hat sich jedoch im Lauf der Zusammenarbeit herausgestellt, dass bereits wenige Sensoren genügten, um das zuvor festgelegte Geschäftsziel zu erreichen. „Sehr strategisch auf ein konkretes Ziel hinzuarbeiten ist also erfahrungsgemäß viel sinnvoller, als einfach auf möglichst viel Technologie zu setzen“, fasst David Petrikat seine Beobachtungen zusammen. 
Darüber hinaus muss man bei Pilotprojekten bedenken, dass die Rahmenbedingungen, die sich auf eine einzelne Maschine beziehen, womöglich nur in diesem engen Zusammenhang Gültigkeit haben. „Wenn aber dann der Rollout in einer heterogenen Maschinenlandschaft - also mit unterschiedlichen Maschinen-Typen, -Modellen und Altersstrukturen - durchgeführt werden soll, dann skaliert die Lösung unter Umständen nicht“, so Petrikat weiter.
Der Aspekt der Datensicherheit darf selbstverständlich auch nicht vergessen werden. Denn auch die Daten, die lediglich für die Wartung von Retrofit-Lösungen gesammelt werden, können unter Umständen sensible In­formationen enthalten, die nicht nach außen gelangen dürfen. Deshalb müssen Unternehmen bei der Auswahl von Hardware darauf achten, dass der Hersteller einen ausreichenden Schutz gewährleisten kann, warnt Stefan Ried. „Insbesondere in Deutschland und gerade im Fall von IoT-Retrofit ist die Frage, welche Daten in welchem Umfang überlassen werden, oft eine enorme Vertrauenssache“, so die Beobachtung des Crisp-Research-Analysten.
Julian Weinkötz
Julian Weinkötz
Produktmanagement SPS und IoT-Software
der Bosch Rexroth AG
www.boschrexroth.com
Foto: Bosch Rexroth
„Ein reiner IT-Ansatz ohne Automations- und Prozess-Know-how kann schnell eine unüberschaubare Datenflut ohne Aussagekraft mit sich bringen.“
Eine weitere wichtige Frage bei IoT-Retrofitting-Projekten ist, auf welche Standards gesetzt wird beziehungsweise ob überhaupt Standards herangezogen werden können. Auch wenn sich in manchen Bereichen bereits einige Standards etabliert haben, ist dies in anderen - zum Beispiel bei Low-Power Wireless oder Maschine-zu-Maschine-Kommunikation (M2M) - noch nicht der Fall. Dies kann eine Herausforderung für die Projektimplementierung darstellen. Zumal es für Ingenieure sowieso eine große Versuchung bedeutet, eigene Lösungen zu programmieren und mit proprietärer Hardware aus dem Consumer-Bereich umzusetzen, wie Julian Weinkötz von Bosch Rexroth weiß.
Diese Vorgehensweise kann sich jedoch auf Dauer als nachteilig erweisen: „Oft hat der Programmierer keine genaue Dokumentation erstellt, die Hardware ist nach kurzer Zeit nicht mehr verfügbar und jede Anpassung ist zeit- und kostenintensiv.“
Deshalb rät der Bosch-Rexroth-Experte den Unternehmen, auf standardisierte Lösungen zu setzen, die von den Herstellern regelmäßig aktualisiert werden und keine eigene Programmierung erfordern.
Motorenlackierung bei der Bosch Rexroth AG
i4.0-Upgrade für die Motorenlackierung: Der Schaltschrank einer Bestandsmaschine wurde mit einem IoT-Gateway nachgerüstet.
Foto: Bosch Rexroth AG
Fallbeispiel: IoT-Upgrade bei Bosch Rexroth
Wie Bestandsmaschinen und Anlagen aus dem Schatten des nicht digitalen Zeitalters herausgeholt werden können, zeigt ein Beispiel aus der Motorenfertigung von Bosch Rexroth in Lohr am Main.
In der Lackiererei für elektrische Motoren bekommen die Gehäuse ihren typischen schwarzen Anstrich. Um die Produktion hinsichtlich Industrie 4.0 zu optimieren, entscheidet sich die Werksleitung für ein einfaches Vorgehen, mit dem sich ohne Eingriff in die Automatisierungsinfrastruktur Produktionsdaten erfassen, speichern und verarbeiten lassen.
Durch das i4.0 Upgrade und die neu generierte Datenbasis soll die Anlage sukzessive optimiert werden. Im ersten Schritt wurden passende Datenquellen ausgesucht. So kann man zum Beispiel durch ein Monitoring von Luftfeuchtigkeit und Temperatur die nötige Durchlaufzeit des Ofens, in dem lackierte Motoren trocknen, dynamisch berechnen und damit reduzieren.
Insgesamt wurden 25 analoge Sensoren unterschiedlicher Hersteller, zum Beispiel zur Luftdruckmessung an der Lackierpistole oder zur Messung des Stromverbrauchs, in der Anlage installiert. Um die vielen Messdaten aufzunehmen und den richtigen Systemen zur Verfügung zu stellen, wird das IoT-Gateway von Bosch Rexroth verwendet.
Anschließend wurde der Datentransfer an vier Systeme festgelegt: das MES-System OpCon MES für die Zuordnung von motorenspezifischen Seriennummern mit den jeweiligen Produktionsparametern; den CM Condition Monitor für die Visualisierung unterschiedlicher Maschinendaten und die Generierung von Warnungen; den Production Performance Manager (PPM) von Bosch Software Innovations für die Visualisierung und Speicherung von Produktionsdaten und die Überwachung von Regel- und Schwellwerten; und ODiN (Online Diagnostics Network) – bei diesem Service-Paket werden über Machine Learning zahlreiche Sensorsignale zu einem Health Index verknüpft. Stillstandszeiten und Fehlfunktionen können so vorab erkannt und durch Wartungsmaßnahmen vermieden werden.
Bei Bedarf stehen der Produktionsleitung ergänzend zahlreiche weitere Anbindungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann auf diese Weise künftig mit minimalem Aufwand beliebige IT-Systeme einbinden.
Aus den kontinuierlich neu generierten Informationen über die Anlage lassen sich immer wieder neue Maßnahmen ableiten. Für die Lackiererei ergeben sich nach erfolgreicher Implementierung zahlreiche Verbesserungspotenziale. So hat ein bestimmter Temperaturbereich im Ofen in Kombination mit einer bestimmten Feuchtigkeit einen deutlichen Einfluss auf die Lebensdauer des Lacks. Auf Erfahrungen basierende Warngrenzen erlauben ein frühzeitiges Eingreifen bei kritischen Zuständen. Durch ein gezieltes Energie-Tracking ließ sich schließlich auch noch der Strom- und Druckluftverbrauch der Anlage minimieren.
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