Von den Kleinen lernen
Erfolgreiches Scheitern
von Konstantin Pfliegl - 29.10.2021
Doch jedes Tun und jede Veränderung birgt immer auch die Gefahr, dass etwas missglückt und nicht gelingt. Ein Problem, das viele mittelständische Unternehmen und Großkonzerne haben, ist die Angst zu scheitern. Wenn ein Projekt oder ein neues Produkt nicht zu einem Erfolg wird, dann sieht man häufig nur das Scheitern, nicht aber die positiven Aspekte. Dabei gibt es auch bei schiefgelaufenen Projekten immer etwas, das man mitnehmen und woraus man lernen kann.
„Die Angst vor dem Scheitern ist an sich kein Problem – aufgrund der Kosten, die mit dem Scheitern verbunden sind, sind etablierte Unternehmen allerdings oft weniger experimentierfreudig“, erklärt André Schindler, General Manager EMEA bei NinjaRMM, einem Anbieter für Fernwartungs-Software. Scheitern sei für größere Firmen schlicht kostspieliger als für Start-ups. „Mittelständische und große Unternehmen operieren in einem größeren Maßstab als Start-ups, und daher erfordern neue Initiativen, Produkte und Markteinführungen erhebliche Ressourcen.“
Natürlich gehen auch Start-ups mit ihrer Scheitern-Strategie ein beträchtliches Risiko ein. Dieses Risiko in Kauf zu nehmen ist für sie der richtige Weg, um Projekte schnell umzusetzen. Es funktioniert auch, weil viele Start-ups im Vergleich zu den Großen oft nicht viel zu verlieren haben. „Das kann ein etabliertes Unternehmen sicher nicht. Da steht zu viel auf dem Spiel“, sagt Mike Gregor von SolidLine.
Nach Roman Rittwegers Auffassung hat die Angst vor dem Scheitern nicht unbedingt etwas damit zu tun, ob es sich um ein altgedientes Unternehmen oder ein junges Start-up handelt. Für ihn ist es reine Einstellungssache: „Es ist wohl eher die Eigenschaft eines guten Unternehmers und einer guten Unternehmerin, keine Angst vor dem Scheitern zu haben.“
Das Jungunternehmen Tresmo etwa räumt seinen Mitarbeitenden einen gewissen freien Entscheidungsbereich ein, in dem man durchaus das eine oder andere Risiko eingehen darf – das sich oft durch großen Erfolg bezahlt macht. „Geht etwas schief, bereiten wir die Fehler so auf, dass wir alle etwas daraus lernen und so besser werden“, erklärt Tobias Heyne.
Ein offener Umgang mit Fehlern ist seiner Ansicht nach heute noch viel zu wenig verbreitet. „Für Start-ups ist es immens wichtig, gemeinsam aus Fehlern in Projekten zu lernen.“ Durch diese Fehlerkultur erhöhe man seinen Wirkungsgrad, vermeide lange Planungsprozesse und komme zügig ins „Doing“. Oft hat man den Eindruck, als hätten Start-ups überhaupt keine Angst vor dem Scheitern. „Das ist sicherlich falsch, wenn man bedenkt, wie viel Mühe und Herzblut die Teams in ihre Ideen investieren“, so Heyne. In größeren Unternehmen agierten viele Manager im Vergleich zu Mitarbeitern eines Start-ups dagegen eher „risikoavers“. Dabei sollte Risiko nicht per se als negativ betrachtet werden. „Ein Risiko einzugehen kann auch eine Chance bedeuten.“ Risikofreude verlange eben aber auch nach einer etablierten Fehlerkultur. Tresmo treibe mit seinem offenen Umgang mit Fehlern oft dazu an, auch risikobehaftete unternehmerische Entscheidungen zu treffen. So sei für das Beratungsunternehmen bei einem Vorhaben erst einmal „das Glas stets halb voll“.
Alte Tugenden und Zusammenarbeit
Nicht alles, was neu ist, ist allerdings automatisch besser. So gibt es genügend alte Tugenden, die sich etablierte Unternehmen unbedingt bewahren sollten – und von denen Start-ups lernen können. Während zum Beispiel mittelständische und große Unternehmen unter Umständen langsamer sind, wenn es darum geht, ein neues Produkt zu entwickeln oder auf den Markt zu bringen, so verwenden diese auch mehr Zeit für die Validierung. „Auf diese Weise erhöhen sie die Chance, dass ihre Ideen letztlich ebenfalls zum Erfolg führen“, so André Schindler von NinjaRMM.
Die Wahrheit – in diesem Fall der richtige Weg zum Erfolg – liegt, wie so häufig, irgendwo dazwischen. Es geht also nicht darum, dass Unternehmen nun alle ihre Strukturen über Bord werfen und plötzlich ganz und gar wie ein Start-up agieren müssen. Auch im Rahmen einer Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen lässt sich von deren Vorteilen profitieren.
Roman Rittweger glaubt, dass die Koexistenz von etablierten Unternehmen und Start-ups der richtige Weg ist: Beide lernten voneinander und könnten die für sie wichtigsten Vorteile annehmen. Er betont, dass beide Seiten aufeinander zugehen und offen für die Zusammenarbeit sein sollten.
Doch wie kann eine solche Zusammenarbeit ganz konkret aussehen? Die in vielen Fällen erfolgreichste Form der Kooperation sind zunächst Pilotprojekte. Dabei wird eine Firma oder ein großer Konzern Kunde eines jungen Unternehmens. Das bringt erst einmal Vorteile für Letztere: „Start-ups profitieren in erster Linie natürlich von einem Invest in das eigene Vorhaben. Die Budgets sind in der Regel rar und gelten als limitierender Faktor. Aber Start-ups profitieren auch von bekannten Namen gewisser Partner, weil diese potenziellen Kunden ein Gefühl von Sicherheit vermitteln“, erläutert Sebastian Heger, Solution Specialist bei Tresmo. Zudem besäßen große Unternehmen vielfach starke Netzwerke, einen großen Kundenstamm und wertvolle Markterfahrung.
Aber auch etablierte Unternehmen profitieren laut Heger von dieser Art und Weise einer Zusammenarbeit: „Neue Geschäftsmodelle, innovative digitale Lösungen, Produkte und Dienstleistungen können abseits des Kerngeschäfts entwickelt und erprobt und bei Bedarf in das Unternehmen integriert werden.“
Eine weitere Variante der Zusammenarbeit ist das Modell der sogenannten Venture Client Unit. Hierbei wird ein Unternehmen, wie schon erwähnt, erst einmal Kunde eines Start-ups. Daraus kann später eine Beteiligung am Start-up werden oder es kann sogar zu einer Übernahme des Start-ups kommen.
Die Übernahme eines Start-ups bringt für beide Seiten Vorteile. Das Start-up profitiert von der Liquidität des Unternehmens und kann auf dessen Expertise und Erfahrung sowie auf seine Ressourcen zurückgreifen. Das kaufende Unternehmen erhält die Kompetenz und die Lösung des Start-ups dafür exklusiv.
Mitunter verleiben sich Unternehmen auf diese Weise natürlich auch aufstrebende Konkurrenten ein. Ein populäres Beispiel dafür ist Facebook: Das Unternehmen kaufte 2014 den Messenger-Konkurrenten WhatsApp für rund 20 Milliarden Dollar. Das Start-up WhatsApp war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt und beschäftigte rund 50 Mitarbeiter. Bereits 2012 hatte Facebook rund eine Milliarde Dollar für die Social-Media-Plattform Instagram bezahlt, die bis dato zwar 30 Millionen Nutzer hatte, aber keinerlei Gewinne erwirtschaftete.
Oft ist es von Vorteil, wenn Unternehmen nicht sofort versuchen, ein Start-up komplett zu integrieren. Die Übernahme von Instagram durch Facebook zeigt dies. Instagram wurde nicht in Facebook eingegliedert – und gilt heute als der wertvollste Teil des sozialen Netzwerks. Der Trick ist, die Kultur eines Start-ups anzuerkennen und einen Weg zu finden, diese zu fördern und von ihr zu lernen.
Auch das Unternehmen SolidLine arbeitet schon lange mit diversen jungen Firmen zusammen. Und das aus Überzeugung; „Wir lieben deren Mentalität und Kultur“, so SolidLine-Geschäftsführer Mike Gregor. „Wir haben die Erfahrung und das Start-up die Leichtigkeit. Man lernt gewissermaßen voneinander.“