Intelligenz für Maschinen
Mehrere Terabyte pro Tag
von Bernd Reder - 07.03.2023
Hinzu kommen die großen Datenvolumina, die vor Ort anfallen, etwa an einer Maschine, in einem autonomen Fahrzeug oder einem automatisierten Lager. Nach Angaben des finnischen Edge-KI-Spezialisten Advian erzeugen beispielsweise die 50.000 Sensoren eines Passagierflugzeugs des Typs Airbus A350 täglich 2,5 Terabyte an Daten. Bei der Erprobung von hochautomatisierten Fahrzeugen sind es nach Einschätzung von Forschern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) 4 bis 8 Terabyte täglich.
Solche Datenmengen in ein (Cloud-)Rechenzentrum zu übertragen, erfordert Netzwerkverbindungen mit hohen Bandbreiten. Diese sind jedoch kostspielig und zudem nicht überall verfügbar. Abhilfe im mobilen Bereich können 5G-Mobilfunkverbindungen schaffen, die hohe Übertragungsraten mit kurzen Latenzzeiten von wenigen Millisekunden verbinden. Doch auch hier sind Faktoren wie die Kosten und die Übertragungskapazitäten zu berücksichtigen, vor allem in Räumen mit vielen Nutzern.
Bildsensoren und Mikrocontroller mit KI
Um KI und maschinelles Lernen in Edge-Systeme zu integrieren, gibt es viele Optionen. So hat beispielsweise Sony KI-Funktionen in die Bildsensoren der IMX500-Reihe integriert. Auch Mikrocontroller (MCUs) lassen sich mithilfe von schlanken Neuronal Network Frameworks wie Neural Network on Microcontroller (NNoM) und TinyML um solche Funktionen ergänzen. MCUs kommen beispielsweise in Embedde- AIoT-Systemen (Artificial Intelligence of Things) zur Anwendung. Siemens wiederum bietet seit mehreren Jahren Steuerungen der Simatic-Reihe an, die mit KI-Prozessoren der Reihe Movidius Myriad X von Intel ausgestattet sind. Außerdem setzt Siemens für die optische Qualitätskontrolle in Fabriken mithilfe von IoT-Systemen Edge-KI-Plattformen und Anwendungs-Frameworks ein, etwa von Nvidia.
Für Aufgaben, die höhere Rechenleistung benötigen, kommen Computer in Betracht, die mit KI-Prozessoren ausgestattet sind. Dies können Industrie-PCs sein, aber auch kompakte Systeme für den Outdoor-Einsatz. Ein Beispiel sind die Edge-KI-Lösungen der AIE800-Reihe von Axiomtek auf Basis der KI-Plattform Jetson Xavier NX von Nvidia. Solche Systeme verkraften Temperaturen von minus 30 bis plus 50 Grad Celsius und sind gegen Spritzwasser geschützt. Einsatzfelder sind etwa Verkehrsmanagementsysteme sowie raue Umgebungen wie Fabriken, das Außengelände von Unternehmen und Kraftwerke.
Machine-Learning-Modelle für den Edge
Um die Machine-Learning-Modelle zu erstellen, die auf Edge-Systemen laufen, sind zwei Schritte erforderlich: Training und Klassifizierung. Und hier kommt doch die Cloud ins Spiel, so Robert Blumofe von Akamai: „Das Training erfolgt offline und erfordert große Datenmengen, die als Beispiele verwendet werden. Daher wird es häufig in einer Cloud durchgeführt.“ Ergebnis des Trainings ist ein Modell, das zur Klassifizierung verwendet wird.
Die Klassifizierung erfolgt online in Echtzeit und unter Verwendung neuer Beispiele, die von Nutzern und Geräten stammen. „Die aus dem Training abgeleiteten Modelle sind meist kompakt und lassen sich leicht an den Edge verteilen“, so Blumofe weiter.
Allerdings ist es erforderlich, ein effizientes Management der ML- und KI-Modelle zu etablieren. Da diese meist in Form von Software-Containern bereitgestellt werden, kommen dafür Orchestrierungs-Tools wie Kubernetes infrage. Doch Kubernetes allein reicht nicht aus, erläutert Salim Khodri von Red Hat, vor allem in komplexen Edge-Umgebungen. Nötig seien ergänzende Funktionen für das Management und die Absicherung von Kubernetes-Clustern, wie sie Red Hat Openshift zur Verfügung stellt. Zu diesen Funktionen zählen ein Monitoring, ein zentrales Management von Regelwerken (Policies) und die Unterstützung von Netzwerk-Plug-ins.
Permanente Optimierung
Ein Vorteil von Edge-KI-Anwendungen ist, dass KI-Modelle immer präziser werden, wenn für das Training mehr Daten herangezogen werden, so Ludwig von Reiche, Geschäftsführer von Nvidia Deutschland. „Wenn eine Edge-KI-Anwendung auf Daten stößt, die sie nicht genau oder sicher verarbeiten kann, lädt sie diese in der Regel in die Cloud hoch, damit der KI-Algorithmus sie neu trainieren und daraus lernen kann. Je länger ein Modell also in der Edge-Produktionsumgebung ist, desto genauer wird es.“
Als weitere Vorteile von KI-Anwendungen und Edge-KI führt von Reiche die Flexibilität und Leistung an. Der Grund ist, dass neuronale KI-Netzwerke nicht auf die Beantwortung einer bestimmten Frage trainiert werden, sondern auf die Beantwortung eines bestimmten Fragetyps, auch wenn die Frage selbst neu ist. „Dies verleiht dem KI-Algorithmus die Intelligenz, beliebig viele verschiedene Eingaben wie Text, gesprochene Wörter oder Videos zu verarbeiten.“
Zentrale Einsatzfelder
Unter den vielen potenziellen Einsatzbereichen von Edge-KI sind derzeit nach Einschätzung von Nvidia einige von besonders hoher Relevanz. Dazu zählt die vorausschauende Wartung in der Fertigung (Predictive Maintenance). Sensoren erkennen bei Maschinen frühzeitig Abweichungen vom normalen Verhalten und beugen auf diese Weise ungeplanten Ausfällen vor.
Von besonderem Interesse sind derzeit außerdem intelligente Prognosen im Energiebereich. „KI-Modelle helfen dabei, historische Daten, Wettermuster, den Zustand des Stromnetzes und andere Informationen zu kombinieren, um komplexe Simulationen zu erstellen“, so von Reiche. „Diese ermöglichen eine effizientere Erzeugung, Verteilung und Verwaltung von Energieressourcen.“
Ein weiteres Anwendungsgebiet ist das autonome Fahren, sowohl auf den Straßen als auch in Lager- und Fabrikhallen, Stichwort Intralogistik. Rechenkapazitäten und Intelligenz an Bord solcher Fahrzeuge sind unverzichtbar, um in Echtzeit Entscheidungen zu treffen – etwa die, beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zu bremsen. Edge-KI-Plattformen wie Nvidia IGX sind darüber hinaus für Anwendungen im Medizinsektor ausgelegt. Beispiele sind Operationen mit Roboter-Unterstützung, die Fernversorgung von Patienten, die etwa an Diabetes leiden, und die automatisierte Auswertung von Röntgenaufnahmen.

Ein Einsatzbeispiel von Edge-KI sind kassenlose Supermärkte. Kameras und KI-Anwendungen erfassen die Einkäufe des Kunden. Dieser erhält die Rechnung nach Verlassen des Markts auf sein Smartphone.
(Quelle: Rewe / Boris Saposchnikow )
Mithilfe von Edge-KI einkaufen
Auch im Einzelhandel, inklusive der Lagerhaltung und der Optimierung von Lieferketten, kommt Edge-KI bereits zum Zug. Beim Lebensmittelhändler Rewe können Kunden etwa in Filialen in Köln, Berlin und München kassenlos einkaufen. Gewichtssensoren und Kameras in Verbindung mit einer KI- und ML-Software erfassen, welche Waren ein Kunde in seine Einkaufstasche packt. Nach Verlassen des Ladengeschäfts wird die Rechnung über eine App auf das Smartphone transferiert. Den Betrag bucht die Software vom Konto des Kunden ab.
Von dem Bremer Start-up Ubica Robotics stammt ein Roboter, der bei Rewe und der Drogeriekette Dm den Warenbestand ermittelt. Das System scannt mit 2D- und 3D-Kameras die Regale. Dadurch lässt sich ermitteln, welche Regale nachgefüllt werden müssen oder ob Produkte falsch einsortiert wurden. KI-Algorithmen optimieren anschließend die Lagerhaltung und die Bestellzyklen.