Intelligenz für Maschinen

„Edge-KI muss das Vertrauen in sie rechtfertigen“

von - 07.03.2023
Der Bedarf an KI-Lösungen, die am Rand von IT-Infrastrukturen eingesetzt werden, nimmt stark zu. Doch je autonomer solche KI-In­stan­zen agieren, desto größer sind die Vorbehalte der Anwender, so Stefanie Grois, Lead Architect Industry Solutions bei Microsoft. Erforderlich sei daher eine „Responsible Edge AI“.
com! professional: Frau Grois, Microsoft hat mit „Intelligent Edge“ eine spezielle Bezeichnung für intelligente Edge-Infra­strukturen eingeführt. Was ist eine intelligente Edge-Umgebung?
Stefanie Grois
Lead Architect Industry Solutions bei Microsoft
(Quelle: Microsoft )
Stefanie Grois:
Der Begriff bezeichnet eine Edge-Umgebung, die autark und „intelligent“ agieren kann und deshalb keine dauernde Verbindung in die Cloud benötigt. Tools am Edge können eigenständig Daten sammeln, konsolidieren und verarbeiten. Dafür können auch KI-Modelle ein­gesetzt werden, die die Analyse und Auswertung der Daten unter­stützen.
com! professional: In welchen Bereichen werden Edge-KI-Anwendungen zum Einsatz kommen, etwa in der Fertigung, Logistik oder Fahrzeugen?
Grois: Vor allem nach der Corona-Pandemie sehen wir einen erhöhten Bedarf für Edge Intelligence in den Bereichen Fertigung und Logistik, aber auch im Einzelhandel. Kunden fragen zum Beispiel, wie sie über den Einsatz von KI in schwer zugänglichen Umgebungen Prozesse automatisieren können. Andere Anwender aus dem Bereich Logistik möchten die Auslastung ihrer Lager schneller überblicken, um automatisch eine Inventarisierung vornehmen zu können. Und im Einzelhandel sehen wir einen wachsenden Bedarf an automatischer Erkennung leerer Regale und automatisierten Check-out-Systemen.
com! professional: Welche Hauptvorteile bringt die Verlagerung von KI- und Machine-Learning-Funktionen in den Edge-Bereich?
Grois: KI in Verbindung mit Edge-Computing setzt voraus, dass Daten lokal gesammelt und analysiert werden, um Aktionen direkt lokal ausführen zu können. Diese minimale Latenz verkürzt die Zeit zwischen Aktion und Reaktion enorm, zumal in vielen Gegenden der Umweg zum Beispiel über Cloud-Rechenzentren physisch gar nicht oder aufgrund fehlender Bandbreite nur sehr eingeschränkt möglich wäre. KI am Edge kann dieses Problem lösen, weil die Modelle vor Ort arbeiten, etwa im Rahmen der Qualitätskontrolle von Bauteilen. KI kann lokal viele Teile pro Minute analysieren, wohingegen eine Übertragung in die Cloud viel zu lange dauern würde oder in verminderter Qualität erfolgen müsste.
com! professional: Welche Herausforderungen müssen Anbieter und Anwender von Edge-KI-Lösungen bewältigen, damit die­ser Ansatz den bestmöglichen Nutzen bringt?
Grois: Sie müssen die neue Infrastruktur in bestehende, isolierte Systeme integrieren, die oft einer starken Segmentierung nach dem ISA-95-Modell (Standard für die Integration von Geschäftsanwendungen wie ERP und Betriebsleitsystemen, Anm. der Redaktion) unterliegen. So ist ein einfacher Zugriff nicht immer möglich. Zudem sind oft starke Sicherheitsrichtlinien im Einsatz. Diese sind beispielsweise nicht in jedem Fall dafür ausgelegt, Edge-Systeme wie Kameras in das Netzwerk zu integrieren.
com! professional: Sind Edge-Systeme und Edge-KI-Lösungen überhaupt in der Lage, die vielen Daten zu verarbeiten?
Grois: Die großen Datenmengen, die verarbeitet werden, stellen in der Tat eine weitere Herausforderung dar. Dafür müssen am Edge Kapazitäten und Schutzmechanismen vorhanden sein. Und wenn die Daten doch in die Cloud gehen sollen, um sie dort beispielsweise in einem Blob Storage zu sammeln, taucht wieder die Herausforderung der Bandbreiten auf. Jede Edge-KI-Lösung muss außerdem gepflegt und mit neuen Daten aktualisiert werden. Dafür müssen zum Beispiel Telemetrie- und Videodaten in die Cloud geschickt werden, da nur dort die für das Training nötige Rechenkraft verfügbar ist. Die Pflege und Aktualisierung übernimmt im Normalfall der Lösungsanbieter, weil Anwenderunternehmen dafür meist nicht die nötige Expertise haben.
com! professional: Etliche Fachleute betrachten KI, Machine Learning und Edge-KI mit Skepsis, etwa aus Furcht vor einem Kon­trollverlust. Wie sieht Microsoft dies?
Grois: Die beliebtesten Einsatzbeispiele von Edge-KI reichen von der Anomalie-Erkennung für effizientere vorausschauende Wartungsarbeiten über das selbstständige Ausführen von Aktionen bis zur direkten Interaktion mit Umgebungen. Als Faustregel gilt: Je autonomer KI komplexe Entscheidungen trifft, desto größer sind die Vorbehalte der Unternehmen. Wir müssen deshalb sicherstellen, dass jede KI hohen Standards genügt und das Vertrauen in sie rechtfertigt. Über unseren ‚Responsible AI‘-Ansatz begegnen wir solchen Vorbehalten.
com! professional: Das heißt, am Einsatz von KI und Edge-KI führt letztlich kein Weg vorbei?
Grois: Ja. Edge-KI wird bei der Analyse großer Datenmengen in komplexen Umgebungen eine wichtige Rolle spielen, weil menschliche Fähigkeiten hier bei der Verarbeitungsgeschwindigkeit und -genauigkeit nicht mithalten können. Bis eine Edge-KI selbstständig und dynamisch komplexere Entscheidungen trifft, wird es aber noch dauern.
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