Ausprobiert

Apples Cyberbrille im Schnellcheck

von - 07.06.2023
Apple Vision Pro
Foto: Apple
Bis die neue Computerbrille Vision Pro von Apple auf den Markt kommt, werden noch viele Monate ins Land ziehen. Ein erster kurzer Test zeigt, worauf Apple-Fans sich freuen können und was noch besser geht.
Für Apple-Chef Tim Cook bricht mit der neuen Computerbrille Vision Pro ein neues Zeitalter an: "Wir glauben, dass die Apple Vision Pro ein revolutionäres Produkt ist", sagte er zur Premiere des Headsets auf der Entwicklerkonferenz WWDC. Das Gerät werde die Art und Weise verändern, wie Menschen kommunizieren und zusammenarbeiten. Ob die Brille tatsächlich wie das iPhone vor gut 15 Jahren die Welt verändern kann, wird sich allerdings erst in etlichen Monaten herausstellen, zumal die Vision Pro erst Anfang 2024 auf den Markt kommen wird - und zunächst auch nur in den USA.
Dpa-Mitarbeiter Christoph Dernbach konnte die futuristische Brille aber auf der WWDC bereits eine Stunde lang ausprobieren. Hier ist sein Bericht:

Gescannt und vermessen

Vor der eigentlichen Demo standen zwei Vorbereitungen an. Zum einen wurde mithilfe einer App der Kopf vermessen, ähnlich wie beim Einrichten von FaceID zum Entsperren des iPhones: Ein Scan erfasst meinen Kopf von vorne, ein zweiter meine Ohren, damit die Brille selbst und das Audiosystem an meine Kopfform angepasst werden können.
Als Brillenträger musste ich noch kurz meine Sehhilfe analysieren lassen, damit während der Demo die richtigen Korrekturlinsen von Zeiss in der Vision Pro meine Kurzsichtigkeit ausgleichen können. Dieses Setup dauerte rund 15 Minuten.
Die Apple Vision Pro ist wie jede herkömmliche VR-Brille undurchsichtig, denn vor jedem Auge befindet sich ein hoch auflösender Bildschirm, durch den man nicht hindurchschauen kann.

Bedienung wie in "Minority Report"

Durch die Kameras in der Brille wird aber der Raum, in dem ich mich befinde, dennoch für mich sichtbar gemacht. Und im Gegensatz zum "Passthrough-Modus" der Quest 2 aus dem Facebook-Konzern Meta erscheint das Bild meiner Umgebung nicht getrübt, sondern hell und scharf. Wenn man den Kopf schnell hin und her bewegt, entstehen allerdings auch bei der Vision Pro Bewegungsunschärfen.
Die Bedienoberfläche erinnert mich sofort an den Science-Fiction-Film "Minority Report" aus dem Jahr 2002, der im Jahr 2054 spielt. In dem Thriller von Steven Spielberg steht Hauptdarsteller Tom Cruise oft vor virtuellen holographischen Bildschirmen im Raum, um die Jagd auf potenzielle Verbrecher von dort aus zu steuern.
In dem Film kommen auch wirklich autonom fahrende Autos vor, auf die wir bislang immer noch warten müssen. Doch in Sachen Computertechnik kommt die Brille von Apple der Vision auf dem Hollywood-Streifen schon sehr nahe: Mit einem längeren Druck auf den Drehknopf an der rechten Gehäuseseite der Brille kann man sich solche virtuellen Bildschirmfenster vor die Augen zaubern.

Steuern mit Augen und Gesten

Ausgangspunkt ist eine Icon-Übersicht der verfügbaren Apps, ähnlich wie auf der Startseite eines iPads. Um eine App auszuwählen, muss man sie nur mit den Augen ins Visier nehmen und sie mit einer Fingergeste wie mit einem Mausklick starten. Es dauerte nicht mal eine halbe Minute, bis die Bedienung mit ihrer Mischung aus dem Anvisieren von Menüpunkten und der Auswahl durch Finger- und Handbewegungen rund lief.
Um die exzellente Qualität der Bildschirme unmittelbar zu erfahren, reichte es dann schon aus, in der Foto-App ein Panorama-Bild auszuwählen, das mit einem iPhone aufgenommen wurde. Man steht quasi mitten in der Aufnahme und kann sich sämtliche Details anschauen, die man auf einem herkömmlichen Bildschirm oder gar auf dem iPhone-Display kaum erkennen würde.
Das Eintauchen in die virtuelle Realität funktioniert auch deshalb so überzeugend, weil das Gesichtsfeld kaum eingeschränkt wird und nur ein schmaler schwarzer Bildschirmrand zu sehen ist. Eine Demo der TV+-App mit der 3D-Version ist überzeugender als jeder 3D-Film in einem Kino oder auf einem 3D-Fernseher. Nur der Sound könnte besser sein: Es fehlen satte Bässe, der Raumklang ist insgesamt zu leise.

In Deckung vor dem Nashorn

Noch eindrucksvoller kommen spezielle 3D-Filme rüber, die eigens für die Vision Pro produziert wurden. Wenn ein kleines Nashorn auf einen zugerannt kommt, sucht man intuitiv nach einer Deckung, obwohl es sich nur um ein virtuelles Abenteuer handelt.
Richtig spannend wird es, wenn die Filminhalte interaktiv werden. So kommt bei einer Demo aus einer Steinwüste ein bunter Schmetterling geflogen, der sich scheinbar auf meiner ausgestreckten Hand niederlässt. Ich könnte schwören, dass da tatsächlich ein Schmetterling sekundenlang auf meinem Daumen gesessen hat.
Unterbrochen wird die Serie von Unterhaltungsanwendungen von einem Facetime-Videokonferenzanruf. Der Apple-Mitarbeiter auf der Gegenseite trägt ebenfalls eine Vision Pro, erscheint im Bild aber ohne Cyberbrille auf dem Kopf. Möglich macht das ein digitales 3D-Abbild, von Apple auch Persona genannt, das durch die Kameras der Brille erstellt wird. Das Abbild wirkt natürlich, auch weil die Mimik lebensecht simuliert wird.

Browsen und 3D-Videos drehen

Auch die Nutzung des Webbrowsers Safari mit der Vision Pro kann überzeugen. Beim Scrollen ruckelte nichts. Die Schrift erschien scharf und war gut zu lesen. Mit der Vision Pro kann man aber nicht nur Inhalte konsumieren, sondern auch Fotos und Videos aufnehmen. In der Demo wurde eine 3D-Videoaufnahme eines Kindergeburtstages gezeigt, die man mit einer herkömmlichen Kamera gar nicht erstellen könnte.
Es gibt aber auch Dinge, die mir in der Hands-on-Sitzung eher negativ aufgefallen sind. Die Brille ist mit schätzungsweise 500 Gramm kein Federgewicht, auch wenn andere populäre VR-Brillen wie die Oculus Quest 2 von Meta, die Index von Valve oder die Vive Pro 2 von HTC allesamt noch ein wenig schwerer sind. Etwas gewöhnungsbedürftig ist auch das Stromversorgungskonzept: Die Vision Pro wird mit einem externen Akku betrieben, der an einem langen Kabel hängt. Dieser Akku ist auch notwendig, wenn man die Brille direkt ans Stromnetz anschließen will, quasi wie ein Zwischenpuffer.

Office-Anwendungen noch mit Fragezeichen

Wie sehr sich die Vision Pro als mobiles Büro eignen wird, kann ich nach der Hand-on-Sitzung noch nicht beurteilen, auch weil Produktivitätsanwendungen nicht Teil der Demo waren.
Fest steht: Die erste Generation der Vision Pro richtet sich an Technik-Enthusiasten, die vermutlich ohne großes Aufheben 3500 US-Dollar (rund 3270 Euro) auf den Tisch legen, um vom ersten Tag an zu den Nutzerinnen und Nutzern der neuen Apple-Technologie zählen zu können.

Kommt eine Vision ohne Pro?

Außerdem gehören Software-Entwickler zur Zielgruppe, die mit Apps für die Vision Pro neue Umsätze erzielen wollen. Technikinteressierte mit einem kleineren Budget müssen darauf hoffen, dass Apple auch eine Version der Vision ohne Pro auf den Markt bringen wird - zu einem niedrigeren Preis, um auch eine größere Kundengruppe anzusprechen.
Ein gutes halbes Jahr vor ihrem Marktstart wirkt die Vision Pro schon ziemlich ausgereift. Spannend dürfte noch werden, welche Beiträge unabhängige Softwarefirmen und Unterhaltungsstudios liefern werden, um das gesamte Öko-System der Apple Vision Pro zu bereichern.
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