Wo andere Coder aufhören, geben unsere richtig Gas

Hochtalentierte Menschen im autistischen Spektrum

von - 05.03.2019
com! professional: Wie entstand die Firmenidee zu Auticon?
Weber: Unser Gründer Dirk Müller-Remus ist ein ehema­liger IT-Manager. Als bei einem seiner Kinder Autismus diagnostiziert worden war, setzte er sich mit dem Thema intensiv auseinander. Er stellte fest, dass es hochtalentierte Menschen im autistischen Spektrum gibt, die oft herausragende Qualitäten und Fähigkeiten mitbringen, aber trotz ihrer Skills arbeitslos sind. Müller-Remus gründete daraufhin ein Unternehmen für Autisten.
com! professional: Inwieweit sehen Sie Auticon als klassisches Consulting-Unternehmen? Wo grenzen Sie sich gegenüber sozialen Einrichtungen ab?
Weber: Wir sind wirtschaftlich orientiert und erhalten auch keine Zuschüsse. Wir wollen zeigen, dass unser Konzept am Markt funktioniert. Man könnte uns daher als Social Enterprise bezeichnen, da wir das Ziel verfolgen, möglichst viele Jobs für Autisten zu schaffen. Im Moment fokussieren wir auf Menschen, die kognitiv sehr begabt sind und einen Hintergrund oder zumindest starkes Interesse an IT mitbringen. Mitarbeitende müssen zudem mathematisch und statistisch arbeiten können. Damit decken wir im Autismusspektrum nur einen kleinen Teilbereich ab.
com! professional: Wie viele autistische Mitarbeiter beschäftigt Ihr Unternehmen?
Weber: In Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den USA beschäftigen wir aktuell fast 200 autistische Kolleginnen und Kollegen. Seit knapp einem Jahr sind wir auch in der Schweiz vertreten und beschäftigen 10 autistische Mitarbeitende, dieses Jahr wollen wir 25 weitere einstellen.
com! professional: In der ICT herrscht Fachkräftemangel und Ihre Mitarbeiter weisen zudem noch besondere Merkmale auf. Wie wollen Sie da an Mitarbeitende gelangen?
Weber: Man muss hier natürlich differenzieren, denn die Spanne ist breit und jeder ist anders betroffen. Es gibt Personen, die sind vom Autismus sehr stark betroffen und tun sich in ihrem Alltag sowie am Arbeitsmarkt sehr schwer und diesen können wir mit unserem Modell aktuell leider nicht helfen. Am oberen Ende des Spektrums finden sich intelligente, teils hochbegabte Menschen mit herausragenden Fähigkeiten. Unter diesen suchen wir potenzielle Fachkräfte, die wir über verschiedene Kanäle erreichen. Neben der Medienarbeit gehen wir aktiv auf Interessenverbände und andere einschlägige Gruppen zu. Kürzlich hielten wir an der ETH in Zürich einen Vortrag vor Studierenden aus dem autistischen Spektrum. Diese müssen aber Strategien für die Stressbewältigung ent­wickeln, damit sie in ihrem Studien- und Arbeitsalltag klarkommen. Sie haben zum Teil Schwierigkeiten, ihr Studium durchzustehen. Nicht weil sie fachlich nicht mitkämen, sondern wegen des anstrengenden Alltags. Es gibt daher unter Autisten viele Studienabbrecher, die ohne Abschluss wiederum schlechte Karten am Arbeitsmarkt haben.
com! professional: Wie rekrutierten Sie mögliche Mitarbeiter?
Weber: Wir haben eine Vorgehensweise entwickelt, die ohne klassische Methoden für die Ermittlung von Stärken und Schwächen der Mitarbeiter auskommt. Hierfür erarbei­teten wir ein Verfahren mithilfe der Universitäten Berlin und Cambridge, um die Fähigkeiten autistischer Bewerber zu messen, sowohl online als auch klassisch mit Papier und Stift. Wir wollen herausfinden, wie akkurat jemand arbeitet, wie stark sich die Person konzentrieren kann oder wie ausgeprägt die Fähigkeit ist, Muster in Datensätzen zu erkennen. Also Skills, die insbesondere in der IT wertvoll sind. Am Ende erhalten wir ein objektives Bild des Bewerbers. Unwichtig ist hingegen, wie gut sich jemand präsentieren kann. Klassischerweise ist es ja um­gekehrt. Jemand kriegt einen Job, weil er sich gut verkauft. Fachliche und kognitive Qualifikationen sind hingegen eher zweit- und drittrangig.
Autismus per Definition
Laut dem Verband Autismus Schweiz stammt der Begriff "Autismus" aus dem Griechischen und bedeutet "sehr auf sich bezogen sein". Menschen mit einer autistischen Störung nehmen ihre Umwelt "anders" wahr als Nicht-Autisten.
Autismus gibt es in verschiedenen Ausprägungen, die unterschiedlich bezeichnet werden:

  •     Frühkindlicher Autismus
  •     High-functioning Autismus
  •     Atypischer Autismus
  •     Asperger Syndrom

Oftmals können die einzelnen Formen aber nicht scharf voneinander abgegrenzt werden.  Es sind viele Mischformen und fließende Übergänge zu beobachten, die sich in folgenden Punkten unterscheiden:

  •     Schweregrad der autistischen Symptome
  •     Allgemeine Entwicklung und Selbstständigkeit im Alltag
  •     Das Alter beim Auftreten der ersten Symptome

Daher spricht man vom Autismus-Spektrum, das verdeutlichen soll, dass es sich beim Autismus um ein Kontinuum vom Symptomen und Schweregraden handelt.

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