Darum muss jede Führungskraft Digital Leader werden

Corona und die Kanditatensuche

von - 02.09.2020
com! professional: Beeinflusst Corona die Kandidatensuche?
Naef: Ja. Genau wie die Unternehmen sind auch die Kandidaten sehr viel zurückhaltender. Bei internationalen Rekrutierungen hören wir schon ein ums andere Mal den Zweifel der Führungskräfte, ob sie ihren aktuell sicheren Job für eine neue Herausforderung in der Schweiz aufgeben sollen. Erst jüngst wollten wir einen Manager aus den Beneluxländern für einen Schweizer Kunden gewinnen. Die Verträge lagen im März schon zur Unterschrift bereit. Dann hat uns der Kandidat aber abgesagt aufgrund der unsicheren Lage bei der Rückreise zu seiner Familie am Wochenende. Mit geschlossenen Grenzen wie zuletzt wäre es für ihn nicht möglich gewesen, regelmäßig ins Ausland zu reisen.
Auf der anderen Seite bekommen wir mittlerweile Hunderte Zuschriften von Kandidaten, die sich beruflich „verändern“ wollen. Diese Führungskräfte haben jetzt häufig ihren Job schon verloren oder fürchten, ihn bald zu verlieren, und sind auf der Suche nach einer neuen Stelle.
com! professional: Sie besitzen Expertise in der Luftfahrt und der IT. Welche Rollen suchen Sie persönlich?
Naef: Alles im Digitalumfeld: vom IT-Leiter über den Head of Digital bis hin zum Verwaltungsrat und CEO. Denn mittlerweile registrieren die Unternehmen, dass Technologiekompetenz in allen Führungsgremien erforderlich ist. Digital wird zum strategischen Thema auch für den Verwaltungsrat. Beispielsweise konnten wir für einen Kunden aus dem Hospitality-Sektor einen Verwaltungsratspräsidenten gewinnen, der bei einer der großen US-Technologiefirmen angestellt ist. Er hilft dem Unternehmen nun bei der Transformation in die Sharing Economy - à la Airbnb und Uber.
com! professional: Sitzen Sie deshalb im Verwaltungsrat der Franke Gruppe?
Naef: Ja, auch. Der Inhaber wollte den Verwaltungsrat neu besetzen und ist auf mich zugekommen mit dem Ansinnen, für den Posten eine technologieerfahrene Person zu gewinnen. Denn auch in den Kaffeemaschinen und Küchen von Franke hält die Computertechnologie mittlerweile Einzug. Die Geräte werden mit Sensoren ausgestattet sowie mit dem Service vernetzt. Außerdem werden die mechanischen Teile immer mehr durch Elektronik und Software ersetzt. Der Besitzer von Franke hatte erkannt, dass die IT zum strategischen Baustein des künftigen Geschäftserfolgs werden kann. So weit sind noch längst nicht alle Unternehmen in der Schweiz.
com! professional: Wie sind die Verwaltungsräte heute typischerweise zusammengesetzt?
Naef: Oftmals bestehen die Leitungsgremien aus Experten in dem jeweiligen Industriezweig, meist einem Anwalt und einem Personalspezialisten sowie teilweise einem Investmentbanker respektive Finanzspezialisten. Das Technologie-Know-how fehlt in den Verwaltungsräten vielerorts noch.
com! professional: Erkennen die Schweizer Firmen, dass sie ein Defizit im Digitalbereich haben?
Naef: In den meisten Unternehmen erarbeitet die Geschäftsleitung die Strategie, die dann der Verwaltungsrat geneh­-migt - und die Umsetzung überwacht. Damit ist der Verwaltungsrat aber auch in der Verantwortung. Wenn hier die Technologiekompetenz fehlt, kann die Digitalstrategie der Geschäftsleitung noch so gut sein. Sie wird selten in dem heute erforderlichen Umfang umgesetzt.
So wird es in Zukunft nicht mehr genügen, Verantwortlichkeiten zu delegieren. Wenn sich bis jetzt die Fach­bereiche aus der Verantwortung gestohlen haben, indem sie die Technologie dem CIO überlassen haben, wird das in einem digitalisierten Unternehmen nicht mehr funktionieren. Dafür ist die Technologie mittlerweile zu kritisch für alle Dienstleistungen und Produkte. Mein Lieblingsbeispiel ist die Rekrutierung eines Chief Digital Officers.
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