Ad Fraud verursacht Millionenschäden

Gutartige Bots

von - 07.02.2020
Human Mouse Pattern
Click Fraud: Links eine menschliche Mausbewegung, rechts eine verdächtige Mausbewegung.
(Quelle: Integral Ad Science )
Richtig kompliziert wird das Ganze durch die Tatsache, dass es auch „gut­artige“ Bots gibt, die ebenfalls für Traffic sorgen, aber keine betrügerischen Absichten hegen. Sie werden etwa für Forschung, Preisvergleiche oder Suchmaschinen-Listings ein­gesetzt. Auch diese Bots können Werbeauslieferungen auslösen.
Der BVDW setzt sich deshalb dafür ein, nicht alles als Ad Fraud, also als Betrug, zu bezeichnen. Betrügerische Maßnahmen fallen für ihn unter „Sophisticated ­Invalid Traffic (SIVT). Die Werbekon­takte, die von „gutartigen“ Bots aus­gelöst werden, bezeichnet der BVDW als „General Invalid Traffic (GIVT).
Wehren müssen sich die werbenden ­Unternehmen vor allem gegen den SIVT. Möglich ist dies durch „Ad Fraud Detection“-Tools oder Protection-Tools, die in der Auslieferungskette zwischengeschaltet werden. Viele dieser Tools sind in der ­Lage, Betrüger zu identifizieren, indem sie beispielsweise das Klickverhalten auf Webseiten analysieren und erkennen, wenn dieses nicht von einer von ­einem Menschen betätigten Maus stammt, und dann Alarm schlagen. Und dennoch können die Tech-Anbieter ihren Kunden keine hundertprozentige Sicherheit versprechen. „Eine Dunkelziffer wird es immer geben“, räumt Oliver Hülse ein. Aber man könne Ad Fraud mit geeigneten Maßnahmen auf 1 oder 0,5 Prozent drücken. 
Es bleibt also ein Katz-und-Maus-Spiel, ähnlich wie bei Virenscannern. Während die eine Seite ihre Schutzmaßnahmen verfeinert, arbeitet die andere Seite intensiv daran, diese umgehen zu können. „Kaum ist ein Betrugsmuster enttarnt und eliminiert, entsteht an anderer Stelle ein neues“, weiß Christine Diener.
„Die technischen Möglichkeiten werden raffinierter – aber auf beiden Seiten“, betont auch Hülse. „Wenn ein Betrüger gerade eine neue Ad-Fraud-Mechanik erfunden hat, jagt er diese durchs Netz. Die neue Betrugsart muss zunächst als solche erkannt werden, um wirkungsvolle Maßnahmen anzuwenden zu können. Ein Unternehmen, das in dieser kurzen Zeitspanne gerade Werbung schaltet, ist dann ein mögliches Opfer.“
Ad Fraud müsse daher so erschwert werden, dass es sich für die Hacker wirtschaftlich nicht mehr trägt, fordert Philipp von Hilgers. „Man muss dafür sorgen, dass sie auf ­ihrem Inventar sitzenbleiben. Der Aufwand muss so hoch sein, dass sie auch ­eine echte Website betreiben und deren Inventar vermarkten könnten.“
Dieses Szenario liegt allerdings noch in weiter Ferne, zumal mit der Zunahme von Programmatic Advertising der Werbehandel auch immer anfälliger für Betrug wird. „Früher arbeitete der Advertiser mit einer Handvoll Publishern zusammen, die er kannte“, erklärt Christine Diener. Mit der Verlagerung der digitalen Spendings in den automatisierten Werbehandel eröffneten sich Möglichkeiten zum Betrug. Diener: „Konkret ist in dem unübersichtlich gewordenen Inventarsystem und der Intransparenz im automatischen Inventarhandel Betrug sehr viel einfacher möglich als im klassischen Face-to-Face Business.“

Dreierlei Geschädigte

Geschädigte gibt es in dieser Gemengelage gleich mehrere: erstens den Werbungtreibenden, der für Werbung bezahlt, die keiner zu ­sehen bekommt, zweitens den Vermarkter, der das Problem gern beseitigen würde, aber nicht wirklich dazu in der Lage ist, und drittens die User. „Diese wissen oft nicht, dass ihre Browser infiziert sind und im Hintergrund Webseiten laden, die für sie unsichtbar bleiben“, berichtet der auf Internetrecht spezialisierte Anwalt Michael Voltz.
Dennoch sehen die Werbungtreibenden vor allem die Anbieter von Werbeplätzen in der Pflicht. „Jeder Inventar-Anbieter ist aufgefordert, mit allen Mitteln konsequent gegen Ad Fraud vorzugehen und eine Null-Prozent-Ad-Fraud-Rate zumindest anzustreben“, fordert Christine Diener. Es könne schließlich nicht die Aufgabe der Werbungtreibenden sein, zu überprüfen, ob ihre Werbung auch an echte Menschen ausgespielt werde.
Allerdings gibt es auch Kampagnen, für die sich dieser Aufwand schlicht nicht lohnt: etwa wenn sie strikt Performance-orientiert ausgerichtet sind, im automatisierten Verfahren günstig Restplätze im großen Stil einkaufen oder einfach ein­kalkulieren, dass ein gewisser Prozentsatz ihres Etats irgendwo versickert. Ad Fraud wird hier gewissermaßen als Kollateralschaden einer aggressiven Werbestrategie toleriert.
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