Kommentar

Die Zeit der Naivität gegenüber China muss auch im E-Commerce enden

von - 09.10.2023
Alibaba
Foto: Shutterstock/Robert Way
Alibaba steht in Belgien unter dem Verdacht der Spionage für China, chinesische Milliardäre verschwinden, während Player wie Temu brutal in die Märkte drängen. Es wird Zeit, Chinas Rolle im Handel neu zu bewerten, kommentiert IW-Redakteur Jochen G. Fuchs.
Die chinesischen Player Temu, Shein, Alibaba oder Tiktok sind ständig Gegenstand von Analysen, Meldungen oder auch Vorträgen auf E-Commerce-Konferenzen. In der Regel behandeln Medien und Experten typische Handelsthemen wie Umsatz, Marketingstrategien, Vertriebsmechanismen und ähnliches. Kurzum, wir behandeln die Unternehmen wie extrem innovative und aggressive, aber trotzdem "normale" Marktteilnehmer.
Das ist naiv.

Temu, Shein, Alibaba oder Tiktok sind keine "normalen Marktteilnehmer"

Unternehmen wie Temu, Shein, Alibaba oder Tiktok sind keine "normalen" Marktteilnehmer. Dazu müssten sie aus einer "normalen Marktwirtschaft" heraus agieren. Sie agieren aber aus einem staatlich gesteuerten Pseudo-Kapitalismus heraus, den China-Experte Dexter Roberts sogar als Mythos bezeichnet.

Dexter sagt, dass die chinesische Regierung ihren Griff um die Wirtschaft und Gesellschaft in den vergangenen Jahren noch verstärkt hat. Passend dazu verschwinden chinesische Milliardäre wie Alibaba-Gründer Jack Ma am Zenith ihrer Karriere von der Bildoberfläche.

Der belgische Staatsschutz ermittelt gegen Alibaba, und erklärt, die chinesische Regierung verpflichte chinesische Unternehmen dazu, gesammelte Daten weiterzugeben. Das belgische Außenministerium erklärt, die Zeit der Naivität sei vorbei und auch die deutsche Regierung spricht von einer Strategie des De-Riskings gegenüber China.

Das De-Risking sollte aber mehr beinhalten als nur Risikoeinschätzungen und Schutz für kritische Infrastruktur. Auch der Handel muss geschützt werden.

Strategie des politischen De-Riskings muss den Handel stärker berücksichtigen

Das aggressive Auftreten der Shops von Temu, Shein und TikTok in westlichen Ländern hat Folgen. The Guardian führt die Ausnutzung von Schlupflöchern in den Zollbestimmungen an, erklärt, dass die Kosten für digitale Werbung durch die enormen Budgets der chinesischen Unternehmen stark gestiegen sind. Ebenso die Luftfrachtkosten, weil Temu & Co. die Kapazitäten großflächig belegen.

Die lächerlich niedrigen Preise von Temu und Shein können offensichtlich nur durch Subventionen gehalten werden. Und schaden der lokalen Wirtschaft, die nicht mithalten kann. Da es sich ebenso offensichtlich um eine dauerhafte Preisgestaltung unterhalb des Einstandspreises handelt, sollten kartellrechtliche Prüfungen und Maßnahmen erfolgen.

Wie groß ist der Einfluss der chinesischen Regierung auf Strategien von Temu und Co.?

Die Entwicklung von Strategien und das Agieren der chinesischen Player geschieht nicht ohne Wissen und Billigung der chinesischen Regierung, davon ist klar auszugehen. Deshalb sollte auch im Gesamtkontext von Politik und Wirtschaft die Möglichkeit bedacht werden, dass mit dem Agieren der chinesischen Player auch politische Zwecke verfolgt werden.

Gehe ich gedanklich noch einen Schritt weiter, dann stelle ich die Strategien und das Agieren der chinesischen Player in den Kontext zu den Zielen der neuen Seidenstraße. Und dann stellt sich mir die Frage, ob es sich nicht nur um ein Agieren mit Wissen und Billigung der chinesischen Regierung handelt, sondern um eine vorgegebene Zielsetzung der chinesischen Regierung. Träfe diese Spekulation zu, dann wäre die Strategie der chinesischen Player eine moderne und verdeckte Form eines Handelskriegs.

Hersteller, Marken oder Händlerinnen müssen sich auf jeden Fall gut überlegen, ob die Relevanz, Reichweite und Marktstellung der chinesischen Unternehmen durch ein Handeln auf deren Plattformen gestärkt werden sollte.
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