Wie sich Frauen an der Spitze von Start-ups behaupten

Auszeit von den Sextoys

von - 18.12.2019
"Sieben Jahre trag ich jeden Tag, jede Nacht und jede Sekunde meines Daseins die Verantwortung für diese Firma - das ist Teil des Gründer-Daseins. Ich habe mich auch in meinem Mutterschutz weiter mit der Firma beschäftigt." Cramer hat zwei Kinder, vier und zwei.
Bei einer Frauenkonferenz in Berlin, dem Female Future Force Day, hatte sie im Herbst erzählt, dass sie es liebe, Dingen einen Perspektivwechsel zu geben. Am Verkauf von Sextoys habe sie gereizt, diese Artikel chic und für mehr Frauen attraktiv zu machen.
Lea-Sophie-Cramer
Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer verlässt den Online-Händler für Erotik-Produkte zum Ende des Jahres.
(Quelle: Amorelie )
Beim Gründen selbst mag sie die Geschlechterfrage nicht zu sehr in den Fokus stellen. "Ob Frauen gründen, das ist aus meiner Sicht eher eine Frage der Persönlichkeit: Ich bin zum Beispiel sehr risikofreudig und habe wahrscheinlich Führungsambitionen, sonst würde ich den Chef-Job nicht machen."
Bei den alten Strukturen in Betrieben und in den Köpfen liege dennoch ein zentrales Problem: "Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt eine riesige Rolle", sagt Lea-Sophie Cramer. "Bei Amorelie haben wir versucht, uns um Kitaplätze für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu kümmern." Es gebe Gleitzeiten und eine flexible Homeoffice-Regelung. "Wir haben einen Service: Wenn Kinder krank werden, kommen innerhalb von zwei Stunden ausgebildete Babysitter, auch hier ins Büro. Und wir haben einen Raum, der wird sofort geblockt für Mitarbeiter, die mit Kindern kommen", zählt sie auf.
Und ihr weiterer Weg? "Ich gebe mir ein Jahr des Lernens. Ich versuche, ein Jahr so viel zu lernen, wie es nur geht." Sie wolle dabei einen Monat mit den Kindern reisen und auch andere CEOs und Gründer befragen, wie die ihre Bestimmung, ihren "Purpose", gefunden hätten. "Und ich werde dann wahrscheinlich ab 2021 wieder gründen."

Mit wenig zufrieden

Drei Frauen, drei Vorbilder - trotzdem stockt die Zahl der Nachahmerinnen. Für Henrike von Platen, 48, liegt es auch an der Motivation. "Möchte ich durch meine Arbeit nur einigermaßen gut leben? Oder möchte ich etwas schaffen, was größer ist als ich selbst?" Viele Frauen seien mit einem kleinen Rahmen zufrieden. "Auf die Idee, ich bin so toll, ich denke mein Geschäft noch größer, deutschlandweit, weltweit, mit viel mehr Mitarbeitenden - dieser Impuls fehlt häufig."
Die Gründerin des Fair Pay Innovation Lab in Berlin, das sich für gleiche Bezahlung einsetzt, glaubt, dass viele Kandidatinnen zudem nicht heiß genug auf Geld sind: "Frauen sind oft sogar besonders stolz darauf, wenn sie etwas komplett ohne Geld hingekriegt haben." Und bezogen auf die Gründerszene: Als Firmenchefin fragten sie bei Banken und Investoren nach weniger Finanzspritzen als viele Männer.

Die Soziologie-Professorin Hilke Brockmann, 54, sieht die Chance auf Wandel sogar noch skeptischer: "Im Start-up-Bereich muss man oft schuften ohne Ende. Die Arbeitszeiten sind endlos. Und die Wahrscheinlichkeit zu scheitern, ist hoch. Das erscheint den meisten Frauen oft nicht attraktiv", sagt die Wissenschaftlerin von der Jacobs Universität in Bremen. Ein paar mehr Vorbilder, ein paar Änderungen im Joballtag und die Aufforderung, öfter Informatik zu studieren - das locke weder mehr noch andere Frauentypen an.

Frauen suchen Glück anders

Hilke Brockmann weiß durch ihre Forschung - etwa in Top-Etagen beim Autobauer VW: "Frauen fühlen sich oft in einer anderen Arbeitswelt glücklich als Männer. Da muss sich grundsätzlich etwas bewegen, wenn die Zahlen nachhaltig steigen sollen", sagt die Forscherin. Frauen wollten mehrheitlich zeitlich flexibel sein, setzen auf Zusammenarbeit und Zusammenhalt. Und viele suchten "Betätigungen, die den Anspruch haben, die Welt ein Stück besser zu machen". Sie folgert: "Wenn Frauen in der alten Arbeitswelt einfach nur männliche Chef-Jobs übernehmen, ändert sich herzlich wenig."
Zwei Gründerinnen, die das wollen, ein Start-up führen und das Jobbild umkrempeln, sind Tanya Neufeldt, 47, und Camilla Rando, 36. Sie leiten Social Moms. So heißt die Berliner Marketingagentur, die seit 2019 Kunden Beratung und Online-Kanäle bietet, um Mütter zu erreichen. Eine Ratgeber-Seite für die Zielgruppe gibt's auch. Hinter der Firma steht die Social Chain Group.
Neufeldt, Schauspielerin, Autorin, alleinerziehend mit Sohn, und die Bloggerin Rando, Mutter zweier Kinder, teilen sich den Chefinnen-Posten je zur Hälfte. "Ich glaube, dass man im Job-Tandem sehr viel stärker ist und besser arbeitet", sagt Neufeldt. Ihr Unternehmen mit rund zehn Mitarbeiterinnen vermittelt mehrere hundert Influencer aus der Szene der bloggenden Mütter.
"Unser Ziel ist es, zur größten Plattform für Mütter im deutschsprachigen Raum zu werden, und zu ihrem starken Sprachrohr", sagt Neufeldt. Und Rando beschreibt die Idee eines Glück versprechenden Start-up-Umfelds: "Wir teilen uns nicht dogmatisch auf. Es gibt Nachmittage, da können wir beide nicht, weil wir uns um die Kinder kümmern müssen."
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