Mittelmäßigkeit ist nicht mehr gefragt

Digitalisierung fördert und fordert Freelancer

von - 15.02.2019
com! professional: Wenn sich die Arbeitswelt so radikal verändert – welche Folgen hat das für unsere Lebensmodelle?
Jörs: Die Arbeit geht nicht aus, aber weniger Menschen mit allerdings einschlägig hohen Qualifikationen erhalten anspruchsvolle Tätigkeiten, also keine Bullshit-Jobs, während der andere Erwerbstätigenteil eher einfachere Arbeiten erledigen muss, die zudem schlechter bezahlt werden. Wissen, das das akademische und nicht akademisch gebildete Mittelmanagement mitbringt, ist nicht wertlos an sich, wird aber auf dem Arbeitsmarkt so nicht mehr benötigt.
Die Zahl der Zeitarbeiter, Teilzeitangestellten und Honorarkräfte sowie insbesondere der Freelancer wird die Zahl der Angestellten in vielen Branchen übersteigen.
com! professional: Die gut bezahlte Festanstellung stirbt also mittelfristig aus?
Jörs: Gut bezahlte Festanstellungen mit vorgegebenen, planbaren Karrierewegen und langen Firmenzugehörigkeiten sowie unbefristete Anstellungen werden selten. Der unternehmerisch denkende Freelancer wird zum Normalfall. Selbst-Entrepreneurship ist angesagt.
Zum Beispiel wird in den Vereinigten Staaten der Prozentsatz der Freelancer von jetzt 33 Prozent der Erwerbstätigen auf über 50 Prozent im Jahr 2020 zunehmen. Auch in Deutschland wird es hier mit 5 bis 10 Prozent an Freelancern eine radikale Umstellung geben.
Diese Freelancertätigkeit wird mit Selbstständigkeit und oft prekären Arbeitsverhältnissen verbunden sein. Arbeit 4.0 wird die Arbeit noch mehr internationalisieren, etwa durch Programmierleistungen aus Indien.
Die dauernde Bereitschaft zum Lernen beziehungsweise zur Weiter- und Fortbildung wird existenziell sein. Zertifikate verlieren grundsätzlich an Wert und Haltbarkeit, das heißt, Formalqualifikationen laufen auf eine zunehmend rasche Entwertung zu.
com! professional: Und welche Veränderung bringt diese dauerhafte Bereitschaft zum Lernen für den Unternehmensalltag?
Jörs: In den normalen Arbeitsalltag eingebundene, immer größere skalierbare Zeitanteile für die Weiterbildung der Mitarbeiter und Freelancer werden zum Normalfall werden für die Unternehmen, die überleben wollen. Der Vorstandsvorsitzende des US-Konzerns AT&T, Randall Stephenson, hat es bereits 2016 in der „New York Times“ wie folgt formuliert: „Menschen, die nicht fünf bis zehn Stunden pro Woche mit Online-Lernen verbringen, werden mit der Technologie veralten.“
com! professional: Sie erwähnten eingangs, dass die Digitalisierung auch neue Jobs mit sich bringt. Welche sind das?
Jörs: Natürlich kann man Jobbezeichnungen der Zukunft erfinden: Personal Digital Curator, Bitcoin Curreny Speculator oder Blockchain Engineer. Aufgrund meiner Lehr- und Qualifikationstätigkeit stellt sich für mich die Frage nach der Zukunft neuer Jobs nur indirekt, denn bekanntlich ist es so wie immer, dass man zwei Drittel der Zukunftsjobs noch nicht titulieren kann.
Besser ist die Frage, welche Qualifikationen für die Arbeitswelt der Zukunft relevant sind und welche bestehenden Jobs und damit Qualifikationen nicht überleben.
Es bleibt aber jetzt schon eines der Hauptprobleme der Personalrekrutierung in Unternehmen, dass bei fast 19.000 Studiengangsangeboten und über 340 dualen Ausbildungsberufen nicht klar ist, was an wirklich nachweisbaren Skills bei den Absolventinnen und Absolventen realistisch erwartet werden kann beziehungsweise vorhanden ist. Vollmundig und von Unklarheit geprägt sind dann häufig Stellenausschreibungen zu finden wie Category Manager, Big Data Analyst oder Digital Product Manager.
com! professional: … das klingt erst einmal nach ganz guten Zeiten für alle ITler?
Jörs: Die nachgefragtesten Jobs im Zeitalter der Digitalisierung werden Datenanalysten, Software- und Anwendungsentwickler sowie Experten für E-Commerce und Social-Media-Kommunikation sein. Software- und Anwendungsentwickler zählen trotz oder wegen Cloud-Lösungen zu den gefragtesten Berufen – noch. Natürlich droht auch hier die ernste Gefahr, dass ausgereifte KI-Programme eigenständig lernende Systeme hervorbringen, die ganze Codier- und Programmierarbeiten lernen und übernehmen können. Und selbstverständlich wird auch durch die Globalisierung die Programmierarbeit dorthin verlagert, wo bei gleicher Qualität die kostengünstigere Programmierleistung abgerufen wird: Indien, Osteuropa, Vietnam, Afrika.
com! professional: Was kann man tun, damit nicht auch die Informatiker arbeitslos werden, die eigentlich die Digitalisierung vorantreiben sollen?
Jörs: Bei der Qualifikation im Informatiksegment sollte zum Beispiel stärker darauf geachtet werden, dass die handwerklichen Skills des Codens und Programmierens auch wirklich nachweisbar vermittelt werden: Wo Java oder C++ draufsteht, muss auch Java oder C++ drin sein. Hinzu kommt: Ein Teil der gängigen IT-Qualifikationen ist wertvoll, wird aber in Zukunft nicht mehr gebraucht. Schon jetzt kann eine nicht unbeträchtliche Zahl von Software-Entwicklungsarbeiten effektiver und effizienter mittels KI-Software selbstständig erledigt werden, ohne dass es menschlicher Eingriffe bedarf. Die Produktivitätsfortschritte im IT-Bereich werden durch noch mehr erweiterte und höherwertige Qualifikationsanforderungen erreicht.
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