Mittelmäßigkeit ist nicht mehr gefragt

ITler mit Fachbezug sind gefragt

von - 15.02.2019
com! professional: … der reine Programmierer wird also früher oder später nicht mehr gebraucht?
Jörs: Es werden nicht primär reine Coder gesucht, sondern ITler mit einschlägigem Fachbezug wie Wirtschaft oder Recht, wobei viele Unternehmen gerne über Trainee-Programme Vertiefungsqualifikationen wie IT-Architekt, IT-Cybersecurity, IT-Cloud-Specialist, IT-Data-Scientists/Business Analytics oder IT-Product-Management anbieten.
com! professional: Wenn man Ihnen so zuhört, dann gewinnt man den Eindruck, dass die Arbeitswelt in Deutschland noch ganz weit entfernt ist von dem, was Sie vorschlagen …
Jörs: Alle wissen, dass die Entwicklung zum Algorithm Business unaufhaltsam ist. Doch die Deutschen im Sinne der bekannten German Angst nehmen vor allem die KI-Möglichkeiten eher als Bedrohung wahr statt als Chance.
Aus der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungsforschung ist bekannt: Die Nichtwahrnehmung von Chancen durch tatkräftige Entscheidungen und damit verbundenen möglicherweise entgangenen Gewinnen werden als schmerzloser empfunden als der durch mutige Entscheidungen erlittene Verlust. Lediglich Firmen, die mit dem Überleben kämpfen, sind aktiv und gezwungen, die mit der Digitalisierung der Arbeit verbundenen Herausforderungen anzugehen.
com! professional: Das bedeutet, wir verschlafen notwendige Veränderungen und geraten ins Hintertreffen?
Jörs: Die Bereitschaft zum Paradigmenwechsel sieht anders aus. Ja, es ist schmerzlich, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt den Zwang zur Kannibalisierung bestehender, bequemer Zustände erfordert. Dieses ständige Alles-infrage-Stellen ist für viele zu anstrengend.
com! professional: Auch viele traditionelle Unternehmen erkennen aber doch die Notwendigkeit zu Veränderungen und greifen für ihre Digitalisierung zum Beispiel auf Start-ups zurück.
Jörs: Ja, da greift man gerne auf externe Hoffnungsträger wie junge, dynamische Start-up-Gründungen zurück, die dem ermüdeten und an den Ruhestand denkenden Management neue Impulse geben sollen. Abgesehen von der Tatsache, dass häufig blind und unreflektiert Start-up-Gründungen mit positiven und frischen, qualitativ ausgereiften Digitalisierungshoffnungen verbunden werden – auch wenn häufig die fachliche Qualität mehr als zu wünschen übrig lässt –, eine Ernsthaftigkeit in der konsequenten Umsetzung von Digitalisierungserfordernissen sehe ich dabei nicht wirklich.
Gerade die Furcht vor der disruptiven Kraft von Technologien zur Digitalisierung der Arbeits- und Wertschöpfungsprozesse zeigt mir im Kontakt mit vielen Unternehmensverantwortlichen, dass Ausreden gesucht werden, diese Innovationen zuzulassen. Dazu erfolgen lapidare Hinweise auf den Fachkräftemangel, die fehlenden personellen, finanziellen und maschinellen Ressourcen und die gesetzlichen Vorschriften, die angeblich keine Innovationsumsetzungen erlauben.
com! professional: Wie könnten deutsche Unternehmen hier aufholen?
Jörs: Den Herausforderungen der Arbeit der Zukunft können wir nur durch eine radikale Anpassung des trägen Bildungssystems mit seinem Zertifizierungswahn gerecht werden. Es geht um eine Anpassung der Aus- und Weiterbildungsangebote. Nur das stellt die Wettbewerbs- und Beschäftigungs­fähigkeit der folgenden Generationen und erfahrenen Erwerbstätigen im algorithmisch-datenbasierten Digital Business sicher.
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