Führungskräfte als digitale Vorreiter

Im Gespräch mit Prof. Dr. Claudia Peus von der TU München

von - 07.08.2020
Prof. Dr. Claudia Peus
Prof. Dr. Claudia Peus: Academic Director am Center für Digital Leadership Development an der TU München
(Quelle: TU München )
Claudia Peus ist Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der TU München und Academic Director am dortigen Center für Digital Leadership Development. Zudem ist sie geschäftsführende Vizepräsidentin für Talentmanagement und Diversity der TU München und Gründungsdirektorin des departmentübergreifenden TUM Institute for Life Long Learning. In ihrer Forschung beschäftigt sich Peus schwerpunktmäßig mit den Themen Führung und Führungskräfteentwicklung im digitalen Zeitalter. Im Interview erklärt sie, was moderne Führungskräfte auszeichnet.
com! professional: Frau Peus, inwiefern unterscheidet sich Digital Leadership von einer Führung, wie wir sie bisher kannten?
Claudia Peus: Das hängt natürlich davon ab, was genau mit dem Begriff gemeint ist. Die Führung von virtuellen Teams wird darunter häufig subsumiert, denn sie stellt noch höhere Anforderungen an die Führungskraft als Führung vor Ort. Weiterhin hat sich der Informations- und Wissensvorsprung, den Führungskräfte in der Vergangenheit hatten, drastisch reduziert. Die sogenannten sozialen Medien haben einen großen Einfluss auf Führung, denn alle Aussagen und Handlungen von Führungskräften sind viel transparenter und Mitarbeiter können diese sowie jegliche Informationen über das Unternehmen in Sekundenschnelle an die Öffentlichkeit in der ganzen Welt kommunizieren. 
Schließlich ermöglichen digitale Tools es zunehmend, wichtige Entscheidungen, wie die Selektion von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, an Algorithmen zu delegieren. Führungskräfte sollten sich aber gut überlegen, ob sie dies tun und welche Konsequenzen das für sie, das Unternehmen, die Mitarbeiter und die Gesellschaft als Ganzes jetzt und in der Zukunft haben wird.
com! professional: Welche Anforderungen stellt Digital Leadership an Führungskräfte? Was für Schlüsselfähigkeiten zeichnen sie aus?
Peus: Im digitalen Zeitalter sind Führungskräfte mehr denn je gefordert, einerseits eine klare Zielrichtung zu kommunizieren und andererseits ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vertrauen. In Zeiten des Lockdowns waren viele Führungskräfte über Nacht gefordert, aus dem Homeoffice zu führen, was sich besonders schwierig gestaltete, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorher engmaschig kontrolliert wurden. Nun braucht es mehr denn je Vertrauen in die Fähigkeit und Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
com! professional: Vertrauen heißt aber nicht „anything goes“, oder?
Peus: Wichtig sind klare Spielregeln, wie zusammengearbeitet wird. Sie sind noch wichtiger als in Zeiten der Zusammenarbeit vor Ort, wo sich schnell nachsteuern lässt und Unklarheiten auf dem Flur beseitigt werden können. Es ist essenziell, dass die Führungskraft klar kommuniziert, was sie von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwartet, aber auch versteht, was diese von ihr erwarten - um gegebenenfalls unrealistische Erwartungen ausräumen zu können.
com! professional: Aber auch in Sachen Technikverständnis ändert sie so einiges …
Peus: Führungskräfte sind mehr denn je gefordert, über die aktuellen technologischen Entwicklungen informiert zu sein. Sie müssen bewerten können, welche Implikationen die Technologien für ihr Unternehmen haben - ob sie neue Geschäftsmodelle bedingen, neue Methoden der Kommunikation mit Kunden oder Mitarbeitern, neue Fertigungs- oder Wartungsmethoden und ob vielleicht ganze Geschäftszweige in Kürze wegfallen, weil sie etwa von der Künstlichen Intelligenz übernommen werden.
com! professional: Bei Digital Leadership geht es aber vor allem um die Menschen …
Peus: … deren Grundbedürfnisse sich nicht geändert haben. Führungskräfte brauchen daher ein Verständnis davon, wie Menschen „funktionieren“.
Die Digitalisierung bietet ein überwältigendes Potenzial an Möglichkeiten. Wie Führungskräfte dieses nutzen, hängt von ihren Werten ab. Sie sind daher auch mehr denn je gefordert, einen klaren Wertekompass zu entwickeln und ihr Handeln auch und gerade in schwierigen Zeiten daran auszurichten, denn: If you don’t stand for something, you will fall for anything.
com! professional: Bleiben wir noch kurz bei den Mitarbeitern. Für sie spielt immer häufiger der Sinn und Zweck ihrer Arbeit eine Rolle. Wie sollten Führungskräfte darauf reagieren?
Peus: Je mehr Veränderungen es gibt, je mehr alte Gewissheiten infrage gestellt werden, desto mehr suchen Menschen nach Orientierung und Sinn. Bezogen auf Organisationen zeigt sich dementsprechend, dass „mission-driven organizations“ besonderen Zulauf erfahren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es wichtiger als früher, eine Tätigkeit zu verrichten, die einem übergeordneten Sinn dient.
Dies wird oft viel stärker in Bewerbungsgesprächen erfragt als das noch vor wenigen Jahren der Fall war. Das stellt neue Anforderungen an Organisationen, aber auch an individuelle Führungskräfte, die mehr als je zuvor gefragt sind, als Sinnstifter zu agieren. Das wird vom Bedürfnis nach Kontrolle, das Menschen haben, noch verstärkt. Dabei ist Kontrolle nicht nur Beeinflussbarkeit. Wenn diese fehlt, etwa in der Corona-Krise, müssen Führungskräfte versuchen, zumindest die weiteren Aspekte psychologischer Kontrolle herzustellen, nämlich Erklärbarkeit und Vorhersehbarkeit, um Vertrauen und Wohlergehen der Mitarbeiter zu fördern. Führungskräfte sind gerade im Wandel aufgerufen, das Warum der Veränderungen zu transportieren.
com! professional: Was kann ich als Mitarbeiter eigentlich tun, wenn mein Chef nur wenig an Veränderungen interessiert ist und eine digitale Transformation nicht oder nur halbherzig unterstützt?
Peus: Zum einen kann es hilfreich sein, mit Zahlen, Daten, Fakten zu versuchen, den Vorgesetzten oder die Vorgesetzte von der Bedeutung neuer Methoden und Herangehensweisen zu überzeugen und dabei die Potenziale für das eigene Unternehmen oder den eigenen Bereich aufzuzeigen. Zum anderen ist es oft gut, aufzuzeigen, was passiert, wenn man sich hier nicht engagiert, und Beispiele von Unternehmen parat zu haben, die in einer führenden Position waren, neue Technologien aber „verschlafen“ haben, etwa Kodak oder Nokia. Weiterhin ist es wichtig, sich Verbündete zu suchen, also Kollegen, die das Anliegen teilen und ebenfalls beim Chef beziehungsweise der Chefin vorbringen. Schließlich zeigen uns die Forschungsergebnisse zu Minoritäten, dass diese dann erfolgreich sind, wenn sie konsistent immer wieder ihr Anliegen und die Begründungen dafür vorbringen, ihre Argumentation aber flexibel an das Gegenüber anpassen. Der eine lässt sich eher von einer Zukunftsvision begeistern, der andere von nüchternen Zahlen bewegen.
com! professional: Bei aller Theorie: Wo stehen Unternehmen in Deutschland Ihrer Erfahrung nach in Sachen digitaler Führungskultur?
Peus: Das ist natürlich nicht so leicht zu beantworten. Einblicke gibt aber zum Beispiel eine Befragung von Führungskräften aus Deutschland, die wir an der TU München seit 2016 jedes Jahr gemeinsam mit der Wertekommission durchführen. Seit 2017 fragen wir, wie gut Deutschland auf die Digitalisierung vorbereitet ist.
Dabei zeigt sich, dass die Frage sehr unterschiedlich beantwortet wird, je nachdem auf welche Ebene Bezug genommen wird: Während beispielsweise knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent) ihrem Unternehmen eine ausreichende Vorbereitung attestiert, fällt die Bewertung der übergeordneten Ebenen - also Gesellschaft, Wirtschaftsstandort, Arbeitswelt - deutlich skeptischer aus. So steigt der Anteil jener, die die Gesellschaft in Deutschland insgesamt als un­zureichend vorbereitet sehen, erstmals seit 2017 über die 50-Prozent-Marke. Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland setzt sich die Tendenz zu mehr Skepsis aus der Befragung 2018 fort.
com! professional: Vielleicht ist Deutschland auch schlicht noch nicht ausreichend vorbereitet.
Peus: Etwa 35 Prozent der befragten Führungskräfte geben an, Deutschland sei hier unzureichend vorbereitet. Also kurz gefasst: Es gibt zwar viele Unternehmen, die Vorreiter sind, und Führungskräfte, die hervorragende Digital Leader“ sind, aber insgesamt gibt es noch Luft nach oben.
Verwandte Themen