Führungskräfte als digitale Vorreiter

Digitale Anführer

von - 07.08.2020
Claudia Crummenerl, Leiterin des globalen Beratungbereichs People & Organization bei der Managementberatung Capgemini Invent, ist davon überzeugt, dass neue Technologien und Kundenbedürfnisse die Treiber digitaler Disruption sind. „Dennoch sind es am Ende die Menschen dahinter, die die digitale Transformation leiten und umsetzen müssen.“ Ihr Verständnis von Digital Leadership deckt daher zwei Dimensionen von Führungskompetenzen ab: digitale Fähigkeiten und Transformationsfähigkeiten.
Die digitalen Fähigkeiten beziehen sich auf den Einsatz von Technologien zur Optimierung von Kundeninteraktion, internen Prozessabläufen oder ganzen Geschäftsmodellen. „Auch umfassen sie eine Talent- und Organisationssäule, die die zunehmende Notwendigkeit widerspiegeln, dass Unternehmen in Employee Experience investieren und ihre Struktur an die Anforderungen anpassen“, so Crummenerl weiter.
Claudia Crummenerl
Claudia Crummenerl
Leiterin des globalen Beratungbereichs
People & Organization bei Capgemini Invent
www.capgemini.com
Foto: Capgemini
„Führungskräfte, die die Dringlichkeit der Digitalisierung unterschätzten oder glaubten, einige isolierte digitale Initiativen seien genug, sind hoffentlich spätestens seit der Covid-19-Krise wachgerüttelt.“
Bei den Transformationsfähigkeiten geht es darum, die Voraussetzungen zu schaffen, um den Wandel vo­ranzutreiben. Dazu gehören das Entwickeln einer Transformationsvision, ein Governance-Modell zur Führung der Veränderung, die notwendige Informationstechnologie sowie die Strategien zur Erzielung der Ergebnisse und die Einbindung der eigenen Mitarbeiter.
„Ich persönlich glaube, wir sind im Zeitalter der Empathie angekommen“, so Claudia Crummenerl. Eines der elementaren Kennzeichen sei das Thema Emotionale Intelligenz (EI). Bei der digitalen Transformation verwischten Künstliche Intelligenz und Automatisierung die Grenzen zwischen den Aufgaben, die Maschinen und Menschen erledigen können. Im Zuge dieser Disruption komme der Emotionalen Intelligenz der Führung eine besondere Rolle zu. 
„Angesichts der digitalen Transformation steigt der Innovationsdruck für Unternehmen exponentiell“, erklärt Ilga Vossen, Senior Manager Digital Leadership beim Beratungsunternehmen Deloitte. Um dem gerecht zu werden und langfristig erfolgreich zu sein, müssten Entscheider die Strukturen und Arbeitsweisen in ihrer Organisation anpassen. Das gelinge nur, wenn sie selbst über umfassende digitale Kompetenzen verfügen und ihr Unternehmen als organisatorische Vordenker zielgerichtet vorantreiben.
Volker Rosenbach, Partner Workforce Transformation Offering Leader bei Deloitte, ergänzt: „Für Führungskräfte bedeutet das, dass sie ihr technologisches Wissen entwickeln und ausbauen müssen.“ Ein intuitiver und umfassender Umgang mit digitalen Technologien sei zwingend erforderlich. Den Faktor Mensch als wesentliche Voraussetzung für den Siegeszug der Daten und Algorithmen sollte man dabei auch laut Rosenbach nicht außer Acht lassen. „In Zeiten permanenter Umwälzung sind neue digitale Skills und agile Arbeitsmodelle gefragt. Erfolgreiche Führungskräfte fördern digitale Kompetenzen, ermutigen zu kreativer Risikobereitschaft und schaffen kollaborative Strukturen. Und gehen mit gutem Beispiel voran.“
Volker Rosenbach
Volker Rosenbach
Partner Workforce Transformation Offering Leader bei Deloitte
www.deloitte.com/de
Foto: Deloitte
„Erfolgreiche Führungskräfte fördern digitale Kompetenzen, ermutigen zu kreativer Risikobereitschaft und schaffen kollaborative Strukturen.“
Den Deloitte-Experten zufolge erfordert die Digitalisierung eine Transformation im Verhalten und im emotionalen Profil der Führungskraft. Deloitte unterscheidet hier drei Rollen:
Digital Investors: Führungskräfte, die über Investitionen entscheiden, müssen ein Stück weit zu einer Art Venture Capitalists mutieren, die nach attraktiven Start-ups suchen. Das setzt eine intensive Beschäftigung mit der neuen digitalen Kultur und Arbeitsweise voraus und erfordert eine langfristige, strategische Sichtweise.
Digital Pioneers: Sie sind die eigentlichen Treiber - Führungskräfte mit mutigen Visionen und transformativen Entwürfen. Digital Pioneers verfügen über beste Digital-Skills, sind mit externen Ökosystemen vertraut und glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Ära. Mit diesem Drive veredeln sie Ideen zu funktionsfähigen Geschäftsmodellen.
Digital Transformers: Diese charismatischen Leader können ihre Organisation begeistern. Der Wandel ist derart radikal, dass er ohne Vertrauen in die Spitze nicht gelingen kann. Transformers schaffen es, noch konservativ ausgerichtete  Unternehmensbereiche einzubinden und die Transformation so zum Erfolg für das gesamte Unternehmen zu machen.
Im Idealfall vereint eine Führungspersönlichkeit alle drei Rollen in einer Person. „Da dieser Typus ausgesprochen rar ist, kommt es in der Praxis umso mehr auf ein kollaboratives Zusammenspiel aller Mitglieder der Führungsmannschaft an“, resümiert Ilga Vossen.
Digital Leadership versus traditionelle Führung

Traditionelle Führung

Digital Leadership

Verantwortung

Position - dauerhaft und hierarchieorientiert: Führungskräfte sorgen in ihrem Bereich für die Abgrenzung von Verantwortung durch Definition von Zuständigkeiten und Befugnissen. Aufgaben jenseits der
Hierarchie und gegensätzliche Aktivitäten führen zu Konflikten

Rolle – temporär und integrativ: Führungskräfte besitzen ein breites Spektrum an Rollen: Je nach Situation und Kontext werden Aufgaben dauerhaft oder temporär übernommen, vor allem aber werden Kompetenzen der Führungskräfte und Mitarbeiter vernetzt

Entscheidung

Position und Hierarchie prägen: Die Position verleiht formelle Macht und individuellen Entscheidungsrahmen, auch um in letzter Instanz zu ent-scheiden, gegebenenfalls auch, um die Fachentscheider zu überstimmen

Prinzipien und Prozess treiben an: Führungskräfte agieren innerhalb verbindlicher Prinzipien und Prozesse, die überprüft werden können. Es gibt nur in klar definierten und transparenten Ausnahmefällen Sonderrechte

Ergebnis

Delegation und Kontrolle im Fokus: Führungskräfte steuern Aufträge und planen die Ressourcen, übertragen Aufgaben und bewerten Ergebnisse

Abstimmung und Reflexion zum Bewerten: Führungskräfte priorisieren und bewerten mit Mitarbeitern die Aufgaben und Ergebnisse. Sie steuern die entsprechenden Abstimmungsprozesse

Information

In Stufen und selektiv: Informationen werden regelmäßig über die Hierarchieebenen verteilt. Die Entscheidung über die Relevanz, die „Bringschuld“ für Inhalt liegt in der Hierarchie oder bei einzelnen Führungskräften

In Echtzeit und Vollständigkeit: Führung schafft den Rahmen für hohe Transparenz und Verfügbarkeit von Informationen. Mitarbeiter haben „Holschuld“, sich auf den aktuellen Informationsstand zu bringen

Zielsetzung und Beurteilung

Einzeln und periodisch: Der Fokus liegt auf der Einzelleistung, individuellen Zielen und persönlichen Leistungsbeurteilungen, die in festen Zyklen erfolgen. Kontrolle und Feedback erfolgen von direkten Vorgesetzten, meist in Zweiergesprächen

Kollektiv und kontinuierlich: Der Fokus liegt gleichrangig auf Mitarbeitern und Team. Kontinuierlicher Austausch und Feedback, auch über gemeinsame Ziele und einzelne Beiträge. Dabei zählen auch die Zusammenarbeit und das Verhalten der Person sowie die Ergebnisqualität der Prozesse

Fehler und Konflikte

Regelwerke und Konsequenzen: Regeln sollen Fehler und Konflikte möglichst vermeiden. Einhaltung wird kontrolliert und bei Verstößen werden die Konsequenzen verfolgt

Lernfortschritt und Unterstützung: Führungskräfte sorgen für verbindliche Prozesse zum Lernen aus Fehlern und zur produktiven Klärung von Konflikten. Sie unterstützen, moderieren und schaffen den Rahmen, dass die Ergebnisse verfügbar sind

Veränderung

Effizienz und Optimierung: Führung wird letztlich von aktuellen Kosten, stabiler Qualität und minimierten Risiken dominiert. Spielraum für Kreativität und Originalität ist eher knapp. Die Optimierung von bestehenden Strukturen und Prozessen soll schnell erreichbar sein

Innovation und Wachstum: Führung richtet sich auf hohe Wirksamkeit für künftige Anforderungen und entsprechende Spielräume für ein schnelles Erreichen von Vorteilen. Eine nachhaltig hohe Bereitschaft und Fähigkeit zum Wandel fördert eigenverantwortliches Handeln – und umgekehrt

Quelle: CLBO/Goethe-Universität Frankfurt, DGFP, Groß & Cie und Personalwirtschaft – Studie „Digital Leadership – Die Zukunft der Führung in Unternehmen“
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