Die Blockchain schafft digital Vertrauen

Die Blockchain in Europa

von - 12.10.2018
com! professional: Apropos große Internetfirmen: Die sitzen fast alle in den USA – Europa hat es verschlafen, mit dem Internet das große Geld zu verdienen. Wie sieht’s mit der Blockchain aus?
Euler: In der Tat haben wir in Europa – und insbesondere in Deutschland – das Web 1.0 und 2.0 verschlafen. Keine der relevanten Internetplattformen kommt aus Europa. Doch was Blockchain und die nächste Generation des Internets anbelangt, gibt es durchaus Grund zum Optimismus.
Zum einen wäre da Berlin, das inzwischen mit Fug und Recht als Crypto-Hauptstadt Europas gelten darf. Der Kanton Zug und die Schweiz haben sich vielleicht anfangs etwas geschickter vermarktet, aber das Ökosystem in Berlin ist exzellent und steht dem Schweizer Crypto Valley in nichts nach.
Die Teams diverser Top-Projekte sind ebenso in Berlin ansässig wie kompetente Investoren und junge Talente. Hinzu kommen eine aktive Szene und ein attraktiver Standort.
Aus europäischer Perspektive heißt das: Wir haben Crypto Valley in der Schweiz, Berlin als Crypto Capital und auch andernorts ist man alles andere als untätig.
com! professional: Welche Rolle spielen hier die Regierungen?
Euler: Sie sind ein wichtiger Faktor in der Blockchain-Wirtschaft. Und hier haben die führenden Web-2.0-Nationen – die USA und China – einen klaren Wettbewerbsnachteil, da die regulatorischen Bedingungen relativ restriktiv sind. Mit Malta, Gibraltar und Liechtenstein haben wir im Gegensatz dazu ziemlich liberale und progressive Jurisdiktionen in der EU. Und selbst im tendenziell konservativen Deutschland sind sowohl Politik als auch Regulatoren, allen voran die BaFin, verhältnismäßig offen und unterstützend. Nicht zuletzt vermutlich, weil mit dem Bundesverband Blockchain, dem BundesBlock, schon sehr früh eine gut vernetzte und effektive Lobbyorganisation aktiv wurde.
Somit habe ich insgeheim die Hoffnung, dass Blockchain und die Web3-Bewegung sogar eine echte Chance für Europa darstellen könnten. Ich bin optimistisch, dass Europa hier in Zukunft mehr Gewicht bekommen könnte als im heutigen Internet.
com! professional: Kommen wir zurück zur Blockchain. In Zusammenhang mit ihr werden häufig Smart Contracts genannt. Wie ordnen Sie diese ein?
Euler: Smart Contracts sind vielleicht die meist missverstandene Technologie im Blockchain- beziehungsweise Distributed-Consensus-Feld. Hauptverursacher der Verwirrung ist vermutlich der Name. Denn was wir heute im Blockchain-Kontext als Smart Contract bezeichnen, ist weder smart noch ein Vertrag. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Namen deterministischer Computer-Code, der auf einer Blockchain ausgeführt wird und der sich gemäß zuvor festgelegter Regeln verhält.
com! professional: Das klingt wenig begeistert …
Euler: Missverstehen Sie mich bitte nicht. Dies ist höchst spannende Technologie. Plötzlich können Sie Code schreiben, der Vorgänge zwischen zwei Parteien regelt. Und dank der Eigenschaften der Blockchain können beide Parteien dem Smart Contract und seiner Ausführung vertrauen, ohne dass sie sich gegenseitig vertrauen müssten. Damit können Sie theoretisch allerhand Szenarien umsetzen, von Versicherungen bis zu Mikrofinanzierung, und dabei Transaktions- und Koordinationskosten drastisch minimieren. Sprich: Smart Contracts können Effizienz und Automatisierung unterstützen. Gleichzeitig sind wir jedoch weit davon entfernt, ein funktionierendes Rechtssystem auf die Blockchain bringen zu können, wie manche Techno-Utopisten gern beschwören. Deren Wahlspruch „code is law“ ist faktisch inkorrekt – Code ist Code und Gesetz ist Gesetz – und ferner nicht erstrebenswert. Denn die Zukunft hält stets unvorhergesehene Ereignisse für uns bereit.
Weil wir diese im Moment der Vertrags- oder Software­Erstellung nicht antizipieren können, sind Code und Gesetze stets zwingend inkomplett. Im Rechtssystem haben wir für diese Grenzfälle Richter. Und die können, zumindest Stand heute und auf absehbare Zeit, deutlich flexibler auf Unvorhergesehenes reagieren als Computer.
com! professional: Der Bitcoin, der auf der Blockchain aufsetzt, ist ein wenig aus der anarchischen Szene heraus entstanden – eine Währung gegen etablierte Institutionen und den Staat gerichtet. Lässt sich die Blockchain überhaupt demokratisch kontrollieren?
Euler: Ich bin ziemlich sicher, dass Krypto-Anarchisten oder Cypherpunks ungefähr entlang folgender Linie argumentieren würden: Demokratie ist die Herrschaft des Volkes. Das Volk sollte demnach den Staatsapparat kontrollieren, nicht andersherum. Doch moderne Technologie macht es Staaten verlockend einfach, Bürger zu überwachen, permanent auszuspähen und schleichend autoritäre Strukturen zu schaffen. Als Folge gehören kryptografische Verfahren und Technologien zum Schutz von Freiheit und Privatsphäre zum Handwerkszeug von Bürgern einer gesunden Demokratie.
Mit der „demokratischen Kontrolle“ ist es so eine Sache. Stark dezentralisierte Technologie wie Bitcoin ist bewusst so angelegt, dass sie sich der Kontrolle von Nationalstaaten und generell einzelner Institutionen entzieht. In der Fachterminologie nennt sich dies dann Censorship Resistance. Und diese macht erst einmal keinen Unterschied zwischen demokratisch legitimierten und anderen Institutionen. Stattdessen haben die Netzwerke eine jeweils eigene Governance-Struktur. Die sieht von Fall zu Fall unterschiedlich aus. Im Fall Bitcoin etwa hat jeder die Möglichkeit, sich an der Governance zu beteiligen und die Entwicklung des Netzwerks zu beeinflussen. Das ist wiederum schon fast basisdemokratisch. Ob es also problematisch ist, wenn Staaten und Institutionen keinen systemimmanenten Vorteil haben, kann man trefflich diskutieren.
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