Predictive Analytics schlagen das Bauchgefühl

„Unternehmen profi­tieren von Predictive Analytics“

von - 05.02.2016
Carsten Bange
Carsten Bange
Geschäftsführer des Analystenhauses BARC
www.barc.de

Interview

Carsten Bange erklärt im Gespräch mit com! professional, was er unter fortgeschrittenen Analysen versteht und wo Unternehmen die neuen Prognoseverfahren einsetzen können.
com! professional: Lassen Sie uns zunächst die Begriffe klären: Was verstehen Sie unter Predictive Analytics? Wie unterscheiden Sie den Begriff zum Beispiel von Data Mining oder auch Prescriptive Analytics?
Carsten Bange: Wir bei BARC bezeichnen diese Verfahren insgesamt als fortgeschrittene Analysen, um sie von einfachen Analysen, z. B. durch Berechnung neuer Kennzahlen über die Grundrechenarten abzugrenzen. Data-Mining-Verfahren haben darin eine beschreibende Funktion. Man nimmt die vorhandenen Daten und versucht in ihnen Strukturen zu erkennen, etwa durch Segmentierung oder Assoziationsverfahren. Ein typisches Beispiel dafür ist die Warenkorbanalyse. Predictive Analytics im engeren Sinn sind vorhersagende Verfahren. Ich möchte eine Prognose treffen. Entweder möchte ich vorhersagen, in welche Klasse ein Objekt fällt. Typisches Beispiel ist die Risikoabschätzung bei der Kreditvergabe. Die zweite Variante ist eine Zeitpunkt- und Wertprognose. Ich sage etwa voraus, dass ich morgen in Filiale X 100 Stück von Produkt Y verkaufen werde.
Prescriptive Analytics schließlich ist ein recht neuer Begriff. Ähnliche Ansätze sind aber schon länger als Optimierungsverfahren oder Operations Research bekannt. Diese Verfahren berücksichtigen zusätzliche Umgebungsbedingungen wie Kosten oder Lieferfähigkeit und versuchen Entscheidungen so zu optimieren, dass beispielsweise der Umsatz maximiert und die Kosten minimiert werden. So kann es etwa besser sein, um bei unserem Beispiel zu bleiben, von den 100 verfügbaren Stück nur 90 von Produkt Y in Filiale X vorzuhalten, weil ich vielleicht in Filiale Z für die restlichen zehn einen besseren Preis erziele oder durch Zusatzgeschäfte insgesamt einen höheren Deckungsbeitrag erreiche. 
com! professional: Wie funktionieren diese Analysen?
Bange: Generell versucht man entweder Strukturen in Daten zu identifizieren, typischerweise Gruppen oder das zusammenhängende Auftreten von Attributen, oder man versucht durch sogenanntes überwachtes Lernen die Zusammenhänge zu finden, die zu einem bestimmten Ergebnis führen – in Zeitreihenanalysen oder der Vorhersage von Klassenzugehörigkeit. Hier kommen statistische Verfahren wie die Cluster-Analyse oder Regression zum Einsatz.  Zu den spezielleren Methoden gehören neuronale Netze und im Bereich Klassifikationsanalysen sind Entscheidungsbäume traditionell sehr beliebt. Für das Thema Assoziierung gibt es eigene Algorithmen.
com! professional: Welche Unternehmen profitieren am meisten von den neuen Methoden?
Bange: Im Grunde können alle Unternehmen aller Branchen daraus einen Nutzen ziehen. Ein Schwerpunkt liegt aber sicherlich im Handel. Dort profitiert man enorm von besseren Absatzprognosen und kann zum Beispiel die Sortimentsgestaltung, aber auch Lagerhaltung und Logistik besser steuern.
In produzierenden Unternehmen ist Predictive Maintenance das heißeste Thema, also die Möglichkeit, Wartung und Service von festen Zyklen auf ein datenbasiertes Modell umzustellen, das anhand der Maschinendaten die reale Abnutzung feststellen und bevorstehende Störungen prognostizieren kann.
com! professional: Welche Fachabteilungen setzen fortgeschrittene Verfahren vor allem ein?
Bange: Vorreiter sind häufig die Marketing-Abteilungen. Sie nutzen Data Mining schon seit Längerem für die Kampagnenplanung. Wem schicke ich wann eine E-Mail? Wem mache ich welches Angebot? Als Zweites profitiert der Vertrieb von fortgeschrittenen Analysen, die beispielsweise bessere Absatzprognosen ermöglichen, aber auch der Einkauf – und hier schließt sich der Kreis: Wenn ich bessere Vorhersagen aus der Produktion oder dem Vertrieb bekomme, kann ich genauer einkaufen. Interessant für den Einkauf sind auch Handelsthemen, etwa die Vorhersage von Rohstoffpreisen an Börsen.
com! professional: Nutzen Unternehmen dafür nur interne Daten oder greifen sie auch auf öffentlich verfügbare Informationen zu?
Bange: Wir sehen generell den Trend, mehr externe Daten einzubeziehen, denn die Ergebnisgüte lässt sich dadurch häufig deutlich verbessern. Das Wetter hat zum Beispiel einen enormen Einfluss auf ganz viele Themen, weil es das Verhalten der Menschen stärker beeinflusst, als meist angenommen wird. Social-Media-Daten werden im Marketing gern analysiert, wobei der Nutzen eher im Consumer-Umfeld als im B2B-Bereich zu finden ist.
com! professional: Die Aggregation und Auswertung vieler Datenquellen erlaubt es, sehr genaue Profile von Kunden oder Anwendern zu erstellen. Ist der Datenschutz da gewährleistet?
Bange: Das ist durchaus ein Problem, auch für diejenigen, die die Analysen durchführen. Unternehmen möchten sich ja in aller Regel rechtskonform verhalten, aber dennoch die Vorteile der fortgeschrittenen Analysemethoden nutzen. Da die rechtliche Situation teilweise unklar ist, ist das ein großes Problem, wenn es um personenbezogene Daten geht. Bei Maschinendaten ist die Lage natürlich deutlich entspannter.
com! professional: Muss ein Unternehmen in neue Hard- und Software investieren, um die Analysen nutzen zu können?
Bange: Wahrscheinlich ja. Die klassischen Business-Intelligence-Lösungen decken die Anforderungen meist nicht ab. Wir sehen aber durchaus die Tendenz, dass die Anbieter zusätzliche Tools für fortgeschrittene Analysen mit ins Portfolio aufnehmen oder auch den Funktionsumfang bestehender BI-Werkzeuge erweitern.
Weitere Punkte sind Datenverfügbarkeit und Datenhaltung. Jede Vorhersage benötigt Daten aus der Vergangenheit. Manche Verfahren lassen sich überhaupt nur durchführen, wenn ich mindestens 50 Datenpunkte zur Verfügung habe. Deshalb kann es durchaus sein, dass ich in die Bereiche Datensammlung und Datenspeicherung noch einmal investieren muss. Predictive Analytics ist zum Beispiel einer der Hauptgründe, weshalb Unternehmen Hadoop-Cluster aufbauen.
com! professional: Benötige ich zwingend ein Hadoop-Cluster, um fortgeschrittenen Analysen betreiben zu können?
Bange: Nein, man kann mit herkömmlichen relationalen Datenbanken viel erreichen, vor allem wenn man strukturierte Daten in nicht allzu großer Menge hat. Hadoop ist das Mittel der Wahl, wenn es um semistrukturierte oder unstrukturierte Daten geht oder eben um riesige Menge von Daten, so ab einem zwei- bis dreistelligen Terabyte-Bereich.
com! professional: Welche Anforderungen gibt es bei der Datenhaltung? Sollte ich ein Data Warehouse haben oder aufbauen?
Bange: Beim Data Warehouse geht es eher um die Aggregation von Daten, das ist mehr ein klassisches BI-Thema. Aber auch hier helfen fortgeschrittene Analysen, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Viele fortschrittliche Analysen werden zudem mit Roh- oder Detaildaten durchgeführt, weil man so mehr Daten für die Modellbildung hat. Dafür hat sich die Datenhaltung in sogenannten Data Lakes etabliert.
com! professional: Welche Predictive-Analytics-Lösungen sind Ihren Untersuchungen nach besonders empfehlenswert?
Bange: Dazu führen wir gerade eine Studie durch und evaluieren die Anbieter nach unserem neuen Score-Modell. Die Ergebnisse werden wir zur diesjährigen CeBIT veröffentlichen.
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