Process Mining

„Der Schlüssel, um Daten nutzbar zu machen“

von - 02.08.2022
Foto: Celonis
Remy Lazarovici, Senior Vice President bei Celonis, über die zunehmende Bedeutung von Process Mining und warum Deutschland als Start-up-Standort gar nicht so schlecht dasteht.
Fast ein Mann der ersten Stunde: Remy Lazarovici bringt seine Fähigkeiten, komplexe Probleme analytisch zu lösen, heute im Vertrieb ein.
com! professional: Schildern Sie zu Beginn doch mal in drei Sätzen, was Celonis macht.
Remy Lazarovici: Celonis ist Marktführer in den Bereichen Process Mining und Execution Management. Wir helfen Unternehmen dabei, mit unserer Technologie die Geschäftsprozesse zu durchleuchten, Optimierungspoten­ziale und Maßnahmen zur Verbesserung von Prozessen in Echtzeit zu identifizieren und diese dann intelligent umzusetzen und kontinuierlich zu überwachen. Das verbessert nachhaltig die Unternehmens-Performance.
com! professional: Process Mining ist ja nicht neu. Die Theorie von Will van der Aalst stammt aus dem Jahr 2003. Celonis wurde 2011 gegründet.
Lazarovici: Das stimmt. Professor van der Aalst ist inzwischen Chief Scientist bei Celonis. Wir waren die ersten, die diese akademische Disziplin für Unternehmen nutzbar gemacht haben. Manchmal braucht es einen Pionier, der ein neues Thema angeht. Wir haben auch nicht das Thema Prozessoptimierung oder Prozessverbesserung geschaffen, sondern eine akademische Disziplin genommen, die dies dann besser, schlauer und effektiver umsetzt.
com! professional: Warum gewinnt Process Mining heute mehr und mehr an Bedeutung?
Lazarovici: Wir haben diese neue Software-Kategorie inzwischen etabliert. Unternehmen sind heute einem stetigen Druck ausgesetzt, zu wachsen, profitabler zu werden, Kundenbedürfnisse schneller und besser zu erfüllen, nachhaltiger zu werden. Die Komplexität wächst, und mit der Komplexität steigen auch die Datenmengen in den Unternehmen enorm an. Process Mining ist der Schlüssel dazu, diese Daten nutzbar zu machen, die Komplexität besser in den Griff zu bekommen und am Ende des Tages die Unternehmensziele besser zu erreichen. Process Mining und Execution Management erfreuen sich deshalb einer immer stärkeren Beliebtheit. Man bekommt zur Analyse auch gleich Werkzeuge für die Therapie mitgeliefert.
com! professional: Gibt es bezüglich der Datenmengen und Process Mining einen Corona-Effekt?
Lazarovici: In diesem Zusammenhang spielen die Geschäftsprozesse eine entscheidende Rolle. Mit Komplexität umzugehen, auf veränderte Anforderungen zu reagieren, dieses Thema hat in den letzten zwei Jahren deutlich an Relevanz gewonnen. Ein ganz anderes Thema ist Liquiditätsmanagement. Es ist besser, in den eigenen Systemen Liquidität zu entdecken als zur Bank zu laufen. Hier war der Druck bei vielen Unternehmen ziemlich stark. Dazu kommen die Lieferketten, die durch die Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Beides lässt sich aber mit Process Mining lindern und optimieren.
„Um Prozesse sinnvoll zu automatisieren, brauchen Sie eine gewisse Prozessreife und Prozessstandardisierung. Dabei kann Process Mining helfen.“
com! professional: Bevor man Prozesse verbessert, muss man sich anschauen, wie sie in der Praxis ablaufen …
Lazarovici: Ja, um Prozesse sinnvoll zu automatisieren, brauchen Sie eine gewisse Prozessreife und Prozessstandardisierung. Dabei kann Process Mining helfen. Die Execution-Management-Plattform von Celonis hilft Unternehmen dabei, ihre Prozesse zu verstehen und zu verbessern und dann sinnvoll zu automatisieren. Execution Management ist eine weitere neue Software-Kategorie. Process Mining ist ein zentraler Bestandteil davon, der zur Prozessanalyse und Prozessvisualisierung befähigt. Wir haben mehrere Instrumente hinzugefügt, die es auf Basis dieser Erkenntnisse den Unternehmen ermöglichen, Prozesse zu verbessern, zu automatisieren und intelligenter zu steuern.
Process Mining: Flaschenhälse und zeitraubende Prozessvarianten lassen sich in Echtzeit erkennen.
(Quelle: Celonis )
com! professional: Was ist der Mehrwert von Process Mining gegenüber Prozess-Modellierung mit ARIS?
Lazarovici: Prozess-Modellierung hat natürlich nach wie vor eine Daseinsberechtigung. Wenn es allerdings darum geht, Prozesse zu optimieren und intelligent zu steuern, dann ist Prozess-Modellierung einfach das falsche Werkzeug. Process Mining setzt auf den tatsächlichen Prozessen, auf den Ist-Daten auf und zeichnet nicht nur eine Soll-Welt.
Wir haben lange Zeit scherzhaft gesagt, dass unser größter Mitbewerber Post-it-Notes sind. Die wurden oftmals in Workshops verwendet, um die Prozesslandschaft zu visualisieren, um dann zu verstehen, wo man ansetzen kann. Das haben wir digitalisiert.
Prozess-Modellierung ist wichtig, wenn es darum geht, neue Prozesse in das Unternehmen einzubringen, aber nicht so sehr, wenn es darum geht, mit der Komplexität umzugehen und Prozesse zu verbessern. Ich sehe Process Mining nicht in Konkurrenz zur Prozess-Modellierung.
com! professional: Wie unterscheidet sich Celonis von anderen Anbietern, abgesehen von Post-its?
Lazarovici: Wir unterscheiden uns stark, was die Reife und die Fülle an Funktionalität angeht. Ein paar Beispiele: die Leistungsfähigkeit, mit der wir Daten aus IT-Systemen extrahieren und dann in großen Mengen verarbeiten können. Die Bedienoberfläche ermöglicht es nicht nur Spezialisten, Process Mining zu betreiben, sondern auch Business-Anwendern. Vordefinierte Execution-Apps beschleunigen und vereinfachen die Bereitstellung mit vordefinierten Konnektoren und Analysen.
Was auch sehr wichtig ist: die Fülle unseres Partner-Netzwerks, weil die Technologie immer komplementiert werden muss mit dem passenden Industrie- und Prozess-Know-how. Dazu kommt die Erfahrung aus Tausenden Kundenprojekten, wie man Process-Mining-Projekte erfolgreich in großen Unternehmen umsetzt.
com! professional: Sind also in erster Linie große Unternehmen die Zielgruppe?
Lazarovici: Wir bieten auch Lösungen für kleinere Unternehmen, haben aber im Go-to-Market einen klaren Fokus auf Unternehmen, die eine gewisse Größe, Komplexität und damit Datenmengen haben, weil das mit dem Nutzen korreliert. Für den Bäcker ist Process Mining eher uninteressant, weil ein Großteil seiner Prozesse nicht digitalisiert ist. Aber für kleine, stark wachsende Technologie-Unternehmen und den Mittelstand ist das durchaus relevant.
com! professional: Mit der Intelligent Business Cloud ist Process Mining 2018 von On-Premise in die Cloud gewandert. Wie hat sich das ausgewirkt?
Lazarovici: Das war ein sehr wichtiger Schritt in der Evolution von Celonis. Zunächst ergeben sich die Vorteile, die mit einer SaaS-Lösung verbunden sind: schnellere Bereitstellung, Innovationen rascher an alle Kunden verteilen zu können, eine bessere Integration in die bestehende Systemlandschaft. Als SaaS-Provider können wir noch mehr Mehrwerte für die Unternehmen liefern.
„Es geht bei Process Mining zunächst nicht darum, neue Probleme zu entdecken, sondern existierende Probleme besser zu erkennen und zu lösen.“
com! professional: Wo fängt ein Unternehmen mit Process Mining an?
Lazarovici: Das Wichtigste ist die Bereitschaft zur Veränderung. Das bedeutet, Geschäftsprozesse neu zu denken und anders zu steuern. Das zweite Thema ist eine Fokussierung. Es geht bei Process Mining zunächst nicht darum, neue Probleme zu entdecken, sondern existierende Pro­bleme besser zu erkennen und zu lösen. Die muss man entsprechend priorisieren und fokussieren.
Es ist mit der Implementierung von Process Mining nicht getan, sondern die Lösung muss im Unternehmen genutzt werden. Das erfordert, die richtigen Menschen zusammenzubringen, seitens der Kunden, seitens unserer Implementierungspartner und auch seitens Celonis. Die rein technische Implementierung der Lösung ist die kleinste Hürde.
Es geht bei Process Mining nicht darum, Prozessschwachstellen zu identifizieren, um Mitarbeiter zu enttarnen oder bloßzustellen, die dafür verantwortlich sind. Es geht darum, die Potenziale nutzbar zu machen, die in den Prozessen schlummern, Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen, Effizienzen zu steigern und nicht zuletzt auch für die Mitarbeiter ein besseres Erlebnis zu schaffen.
com! professional: Ist Process Mining eine notwendige Grundlage für eine effektive Automatisierung?
Lazarovici: Wenn die Prozesse nicht die nötige Reife und Standardisierung haben, dann ist deren Automatisierung kaum sinnvoll. Unser Credo ist: zunächst die Ist-Prozesse verstehen, die Prozessstandardisierung und damit die Prozessreife steigern und dann gezielt dort automatisieren, wo man die größten Mehrwerte identifiziert.
com! professional: Wo ist Robotic Process Automation (RPA) in diesem Szenario?
Lazarovici: RPA beschränkt sich auf die Automatisierung von repetitiven manuellen Tätigkeiten. Wir begreifen Prozess-Exzellenz hingegen als ganzheitlichen Ansatz.
com! professional: Celonis ist eines der wenigen Start-ups in Deutschland, die global Erfolg haben. Warum ist Deutschland kein Gründerland wie die USA?
Lazarovici: Das sehe ich nicht so. Wir haben in Deutschland sehr erfolgreiche Gründungen. Im Dax 40 befinden sich mittlerweile drei Unternehmen, die in den letzten 15 Jahren gegründet worden sind.
com! professional: Welche sind das?
Lazarovici: Zalando, Hello Fresh und Delivery Hero. Deutschland braucht sich nicht zu verstecken als Gründerland. Wir haben eine exzellente universitäre Ausbildung, schlaue Leute, eine starke Wirtschaft, die Grundvoraussetzungen sind damit sehr gut. Dazu kommt: Die Rahmenbedingungen für Gründungen haben sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert. Die TU München etwa fördert Gründertum sehr stark. Deren UnternehmerTUM – das größte Zentrum für Gründung und Innovation in Europa – begleitet ungefähr 80 Start-ups jedes Jahr, die auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor sie Unterstützung erhalten. Wenn man eine starke Vision und ein gutes Gründerteam hat, dann klappt das in der Regel auch.
Im 86. Stock des One World Trade Center in New York hat Celonis sein zweites Headquarter neben
München eröffnet
(Quelle: Celonis )
com! professional: Was machen Mathematiker wie Sie bei Celonis?
Lazarovici: Es geht nicht so sehr um die Mathematik, sondern eher um die Fähigkeit, komplexe Probleme analytisch zu lösen. Das spielt an vielen Stellen bei Celonis eine große Rolle. Das kann im Produktmanagement und in der Entwicklung sein, aber auch im Bereich Solution-Engineering, wenn es darum geht, spezifische Kundenanforderungen in konkrete Angebote zu übersetzen. Das kann aber auch, wie in meinem Fall, im Vertrieb sein.
com! professional: Wie viele Mitarbeiter hat Celonis?
Lazarovici: Die Zahl der Mitarbeiter verdoppelt sich fast jedes Jahr, wir sind jetzt bei ungefähr 2500 und haben zurzeit mehr als 100 Einstellungen pro Monat.
com! professional: Wie geht ein Software-Haus wie Celonis mit dem viel zitierten Fachkräftemangel um?
Lazarovici: Es ist eine kontinuierliche Herausforderung, die richtigen Talente für Celonis zu begeistern. Diese Herausforderung teilen wir mit vielen anderen Unternehmen. Neben attraktiven Arbeitsbedingungen bieten wir als rasant wachsende Firma sehr gute Möglichkeiten für die persönliche Weiterentwicklung und den Reiz, bei der Entwicklung einer neuen Technologie von Anfang an dabei zu sein. Celonis kooperiert auch sehr eng mit Hochschulen. Im Rahmen unserer „Academic Alliance“ arbeiten wir mit mehr als 450 Bildungseinrichtungen weltweit zusammen.
com! professional: Welche Process-Mining-Trends erwarten Sie für die kommenden Jahre?
Lazarovici: Ein zentrales Thema ist die Nachhaltigkeit. Ich würde das aber nicht nur als Trend bezeichnen, weil Trends immer vergänglich sind. In Bezug auf Nachhaltigkeit kann Process Mining sehr viel leisten für Unternehmen und zusätzlich zu den gängigen wirtschaftlichen KPIs auch die Themen Nachhaltigkeit und CO2-Reduktion datengestützt vorantreiben.
Wir haben zusammen mit unseren Kunden bereits sehr interessante Anwendungsfelder erschlossen. Das ist ein starker Fokus bei unseren Innovationen.
Zur Person und Firma
Remy Lazarovici ist Senior Vice President bei Celonis. Er ist seit 2012 im Unternehmen und war der erste Vollzeitmitarbeiter. Heute ist er für das europäische Geschäft verantwortlich. Remy Lazarovici kennt alle drei Gründer aus Studentenzeiten an der TU München, wo er Mathematik studiert hat.
Celonis in Zahlen
Das Unternehmen ent­wickelt Software, die es ermöglicht, Process Mining zu betreiben. Dabei werden Geschäftsprozesse digital abgebildet und auf verborgenes Prozesswissen analysiert. Celonis wurde 2011 von den drei Kom­militonen Martin Klenk, Bastian Nominacher und Alexander Rinke gegründet. 2018 hat Celonis den Einhorn-Status erlangt. Dieser gebührt Firmen, die eine Unternehmensbewertung von mehr als einer Milliarde Dollar erhalten. Benannt ist das Unter­nehmen nach Zelos, dem Gott des eifrigen Strebens.
Gegründet: 2011
Hauptsitze: München und New York
Mitarbeiter: 2500
Umsatz: über 200 Mio. Dollar im Jahr 2020
Unternehmenswert: 11 Mrd. Dollar
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