Der Weg zum cyber-physischen Produkt

Am Anfang stehen die Anforderungen

von - 17.11.2021
Startpunkt einer jeden Entwicklung ist die Klärung und Erfassung der Anforderungen, die möglichst systematisch in Form von Anforderungsobjekten definiert werden sollten. Ausgehend von Produktanforderungen auf übergeordneter Geschäfts- und Marketing-Ebene sowie aus Sicht der Produktnutzung, werden Anforderungen – je nach angewendeter Methodik – in präziser formulierte Anforderungen der Technik heruntergebrochen und der Input mehrerer Teams zusammengetragen. Als Ergebnis entsteht so eine Anforderungsstruktur über eventuell mehrere Ebenen. Daraus können Einzelanforderungen mit Lösungselementen verlinkt werden. Und über einen Report lässt sich auch die klassische Anforderungsliste für ein Produkt als Dokument generieren.
Der nächste Schritt ist eine Funktionsanalyse für das zu entwickelnde Produkt, wofür zunächst die Gesamtfunktion bestimmt werden muss (zum Beispiel «Drehmoment wandeln» für ein Getriebe). Danach wird die Gesamtfunktion in einem konstruktionsmethodischen Top-down-Vorgehen stufenweise zerlegt, um die einzelnen Soll-Funktio­nen des Produkts zu erhalten. Diese sind lösungsneutral formuliert, damit noch offenbleibt, welche Ingenieursdisziplin zur Lösung ausgewählt wird (die Elektronik, die Mechanik etc.).

Vom virtuellen ins physikalische

Danach erfolgt der Einstieg in den Lösungsfindungsprozess, wofür auf logischer Ebene Wirkprinzipien betrachtet werden, um den Funktionselementen eine Lösung zuordnen zu können (gegebenenfalls mithilfe des morphologischen Kastens). Anfangs ist das zwar noch wenig detailliert, aber es lässt sich schon erkennen, welche Disziplin angedacht ist (z. B. Elektromotor). Diese logische Abstraktionsebene ist notwendig, um für die Soll-Funktionen optimale Lösungen zu finden. Im Allgemeinen ist das nicht direkt auf Teileebene möglich, da eine Funktion nicht durch ein Einzelteil gelöst werden kann, sondern ein Wirkflächenpaar von mehreren Teilen benötigt wird. Auf dieser logischen Abstraktionsebene sind auch die sogenannten 1D-Simulationen anzuordnen, um Eigenschaften möglichst früh durch virtuelle Tests abzusichern. Abschließend kann der Übergang auf die physikalische Teileebene erfolgen, wobei den logischen Lösungselementen eine konkrete Lösung in Form von Einzelteilen oder Baugruppen zugeordnet wird. Auf dieser Konkretisierungsebene befinden sich die bekannten CAD-Modelle, kontinuierliche 3D-Simulationen (FEM: Finite-Elemente-Methode, CFD: Computational Fluid Dynamics, MKS: Mehrkörpersimulation) sowie die Produktstruktur­definition als Engineering BOM (Konstruktionsstückliste), die im weiteren Downstream-Prozess benötigt wird.
Die oben beschriebene Vorgehensmethodik über diese vier Ebenen wird im Englischen mit der Abkürzung RFLP (Requirements, Functional, Logical, Physical) bezeichnet und gehört zur Domäne des sogenannten Model Based Systems Engineerings (MBSE). Die Anwendung einer solchen Methodik empfiehlt sich immer dann, wenn eine komplexe Problemstellung bewältigt werden muss oder wenn für eine Aufgabenstellung ein komplett neuer Lösungsansatz erforderlich ist. In der IT-Landschaft haben sich dafür spezielle System-Modeling-Applikationen etabliert, deren Einbindung in die Enterprise-IT aufgrund ihres interdisziplinären Charakters eine besondere Herausforderung darstellt.
Abbildung 2: intelligente cyberphysische Produkte, illustriert am Fünf-Ebenen-Modell der IoT-Technologie
(Quelle: Fernfachhochschule Schweiz)
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