Privacy-Enhancing Computation

Weniger Risiken, mehr Chancen durch Datenschutz

von - 19.07.2022
Foto: Shutterstock / PLMT
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Es ist 1995. Die Europäische Union schafft mit der Richtlinie 95/46/EG eine gesetzliche Grundlage, die EU-weit den Schutz der Privatsphäre sicherstellen und die Verarbeitung personenbezogener Daten regeln soll. Im selben Jahr veröffentlichen die Datenschutz­experten Ronald Hes und John Borking ein Werk, das die technischen Voraussetzungen dafür beschreibt: „Privacy-enhancing technologies – The path to anonymity“. Der Zweck von Privacy-Enhancing-Technologien (PET) ist es, Daten von sensiblen Informationen zu reinigen oder sie zu verschlüsseln, sodass keine Rückschlüsse auf eine natürliche Person möglich sind.
Bis vor Kurzem interessierte sich allerdings kaum jemand für deren Einsatz. „Privacy-Enhancing-Technologien sind technisch ausgereift, werden aber nur sehr vereinzelt angewendet“, berichtet David Harborth, Lehrstuhl Mobile Business & Multilateral Security an der Goethe-Universität Frankfurt. Doch das ändert sich nun drastisch, wenn das Analystenhaus Gartner recht hat. Seit zwei Jahren listet es in seinen jährlichen Top-Trends unter dem Begriff „Privacy-Enhancing Computation“ (PEC) Techniken und Technologien, die den Datenschutz und die Privatsphäre fördern. Bis 2025, so die Gartner-Prognose, werden 60 Prozent aller großen Unternehmen eine oder mehrere PEC-Techniken für Analytik, Business Intelligence oder Cloud-Computing einsetzen, 40 Prozent der Befragten, die am „Gartner Global Security and Risk Management Survey 2021“ teilnahmen, zählten PEC zu den Top-Drei-Investitionen für die nächsten zwölf Monate.
Diesen Trend spiegeln auch die Investitionen wider. Laut der Datenbank Crunchbase stiegen die Investitionen in Privacy-Tech-Start-ups in den vergangenen zwei Jahren fast exponentiell auf 4,6 Milliarden Dollar. „Datensparsame und datenschutzfreundliche Lösungen werden nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich in den kommenden Jahren eine große Rolle spielen“, sagt Marian Gläser, CEO und Co-Founder von Brighter AI und Sprecher der Arbeitsgruppe Datenschutz im KI Bundesverband.

Was PEC so wichtig macht

Die Renaissance datenschutzfreundlicher Technologien und Konzepte hat auch mit der DSGVO zu tun. Bei allen Unzulänglichkeiten setzte das Regelwerk, das 2016 in Kraft trat und 2018 wirksam wurde, einen Standard für den Datenschutz. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört das Marktortprinzip. Es bedeutet, dass alle Unternehmen, die im EU-Markt Geschäfte machen, an die Regelungen gebunden sind, egal ob sich ihr Firmensitz innerhalb oder außerhalb der EU befindet. Bei Verstößen gegen die DSGVO drohen zudem hohe Bußgelder, die bis zu 4 Prozent eines Jahresumsatzes betragen können. Auch das stellt einen wichtigen Unterschied zu den bislang sehr moderaten Sanktionsmöglichkeiten im Datenschutzrecht dar.
Marian Gläser
CEO und Co-Founder von Brighter AI und Sprecher der Arbeitsgruppe Datenschutz im KI Bundesverband
Foto: Brighter.ai
„Die DSGVO hat eine regulatorische Trendwelle ausgelöst.“
Viele Staaten haben Regelwerke nach dem Vorbild der DSGVO erlassen oder ihre Gesetze angepasst, darunter Brasilien, Japan, die Schweiz und der US-Bundesstaat Kalifornien. „Die DSGVO hat eine regulatorische Trendwelle ausgelöst“, konstatiert Marian Gläser von Brighter AI.
Die Privatsphäre hat einen hohen Stellenwert.
(Quelle: Cisco )
Die hohen Bußgeldandrohungen bei Verstößen und die universale Gültigkeit der Datenschutzgesetze in immer mehr Märkten macht Investitionen in datenschutzfreundliche Technologien attraktiv. Gleichzeitig steigen die Gefahren für die Privatsphäre durch KI, Big Data und die Allgegenwart von Sensoren im öffentlichen und privaten Raum. „Durch die Digitalisierung entstehen immer mehr Daten“, erklärt Gläser, „die vor allem für das Training tiefer neuronaler Netze gebraucht und auch genutzt werden.“
Die Industrie sucht daher nach Wegen, wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre und Datenschutz sicherzustellen, um so noch schärfere Regulierungen zu verhindern, die neue, vielversprechende Geschäftsmodelle gefährden könnten. Datenschutzfreundliche Techniken und Technologien bieten darüber hinaus die Möglichkeit, sensible Daten in unsicheren Umgebungen wie der Public Cloud bearbeiten zu können. Dieses Confidential Computing genannte Konzept eröffnet neue Wege nicht nur für die Analyse von personenbezogenen Daten, sondern auch von Patenten, Finanzzahlen und anderen Geschäftsgeheimnissen.
Wenig Druck kommt dagegen von den Nutzern. Der Wissenschaftler David Harborth forschte im Projekt AN.ON-Next mit Partnern über datenschutzfreundlichere Möglichkeiten der Internetnutzung wie VPN oder Onion-Router wie TOR. Seine Erfahrung: „Nutzer wollen für ihre Privatsphäre kein Geld ausgeben, selbst Cent-Beträge sind schon zu viel.“
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