Reportage

Hongkong wird digital

von - 15.04.2016
Charles K. Kao Auditorium in Hong Kong
Foto: Frank Kemper
Hongkong will Dreh- und Angelpunkt der digitalen Welt in Südost-Asien werden. Die Regierung lockt Investoren und Start-ups - und muss darauf achten, gegenüber China nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Unterschriften-Zeremonie über Smart Cities
Förmlich: Hongkong und China vereinbaren Zusammenarbeit bei der digitalen Stadtentwicklung
(Quelle: Hong Kong Information and Services Dept.)
Die Szene hat etwas von einem Volksparteikongress. Eric Yeung vom Smart City Consortium und Fang Fahe, Vorsitzender der Smart City Development Alliance sitzen auf dem Podium im großen Saal des Hong Kong Exhibition and Conference Center und unterzeichnen ein Memorandum of Understanding. Hinter ihnen vier Zeugen, darunter Leung Chun-Ying, der Regierungschef des Stadtstaates, den hier jeder nur C E nennt: Chief Executive. Die Stimmung ist feierlich, nach vollbrachter Signatur folgt die ausgiebige Foto-Session für die anwesende Presse. 

"Hongkong fällt zurück"

Die Besiegelung der Zusammenarbeit zwischen dem Smart City Consortium von Hongkong und der Development Alliance aus der Volksrepublik China ist der Höhepunkt des Internet Economy Summit 2016, welcher nach Aussage der Organisatoren wiederum den Höhepunkt des IT Fest 2016 markiert.
Warum die Unterschriften unter der Absichtserklärung so wichtig sind, verrät Joanne Cheung. Sie arbeitet für den Think Tank Hong Kong United Foundation, der Chief Executive schätzt ihren Rat. "In Sachen Digitalisierung droht Hongkong hinter China zurückzufallen." Vor zehn Jahren, so die Einschätzung der Expertin, sei Hongkong dem "Mutterland " (Mainland) technologisch noch weit voraus gewesen, doch heute sei etwa Mobile Payment in Shanghai eine ganz normale Sache, während man in Hongkong den Automaten der städtischen U-Bahn MTR noch brav mit Münzen und Scheinen füttern müsse, damit er ein Ticket ausspuckt. Das hat dann zwar einen eingebauten Chip, aber "unser System ist nicht internet-fähig."
Joanne Cheung and C Y Leung
Joanne Cheung (l.) mit dem Hongkonger Verwaltungschef C Y Leung (Mitte) auf dem Internet Economy Summit 2016 in Hong Kong
(Quelle: Foto: Kemper)
Dabei wirkt der extrem dicht besiedelte Stadtstaat auf den Besucher aus Deutschland überaus fortschrittlich. Die Breitband-Abdeckung der Haushalte liegt bei über 80 Prozent, durchschnittlich gibt es zwei Smartphones pro Kopf der Bevölkerung. Die Beziehung der Hongkonger zu ihrem Smartphone hat etwas Obsessives - gefühlt jeder zweite Passant läuft mit gesenktem Kopf durch die Stadt, in sein mobiles Device vertieft. Das fällt nicht nur Touristen auf, sondern gilt inzwischen auch schon als Problem: In den U-Bahnstationen warnen Lehrvideos davor, auf den Rolltreppen ins Stolpern zu geraten und Schäden an Mensch und Handy zu verursachen.

Die Hälfte der Menschheit in der Nähe

Dieser Fortschritt ist Charles Ng nicht genug. Der Chef der von der Verwaltung ins Leben gerufenen Agentur Invest HK möchte die digitale Industrie in den Stadtstaat locken. Bislang basiert der Reichtum der Stadt auf den Säulen Banking, Logistik und Tourismus. Technische Berufe wie Informatik und Entwicklung haben traditionell wenig Gewicht. Doch Ng lässt keine Gelegenheit aus, die Vorteile der 7,5-Millionen-Metropole zu preisen: Verglichen mit dem Mutterland hat Hong Kong ein verlässliches, westlich orientiertes Rechtssystem, eine liberale Wirtschaftspolitik und offene Grenzen - sowohl für Menschen als auch für Kapitalströme. Englisch ist eine Amtssprache und der Schutz geistigen Eigentums ist gewährleistet. Zudem ist die chinesische Sonderwirtschaftszone Zhenzhen nur eine Dreiviertelstunde entfernt - die "Hardware-Hauptstadt der Welt", wie Ng Zhenzhen nennt. Und die Hälfte der Weltbevölkerung, rund 3,5 Milliarden Menschen, lebt in einem Umkreis von nur fünf Flugstunden von Hongkong.  Ideale Voraussetzungen für Start-ups, findet der energiegeladene Mittvierziger.
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