Digitalverband Bitkom

Föderalismus ist eine Bremse für die Digitalisierung

von - 07.05.2021
Bernhard Rohleder
Foto: Bitkom
Bernhard Rohleder vom Digitalverband Bitkom über die Digitalisierung in Deutschland: Wo stehen wir, wo hakt es und wie können wir international bestehen?
Öffentliche Verwaltung
Öffentliche Verwaltung: Sie ist von einer digitalen Transformation oft noch meilenweit entfernt.
(Quelle: Piyapong Wongkam / shutterstock.com )
Die Corona-Pandemie nutzen viele Unternehmen Verwaltung besonders stolz ist, ist der Status quo der Digimehr oder weniger freiwillig - für massive strukturelle Veränderungen. Wenig überraschend zeigt sich, dass diejenigen Organisationen mit einem fortgeschrittenen digitalen Reifegrad meist besser durch die Krise kommen, als solche, die als digitale Nachzügler noch ganz am Anfang stehen. Diese sehen sich in der Situation, schnell Lösungen bereitstellen zu müssen - die dann häufig genug mit heißer Nadel gestrickt sind.
Doch wie ist der Status quo in Deutschland tatsächlich? Bernhard Rohleder, Mitgründer und Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom, zeigt auf, wo wir stehen und welche Rolle die Politik in Sachen Digitalisierung spielt.
com! professional: Herr Rohleder, Digitalisierung ist seit Jahren ein Hauptschlagwort in der wirtschaftspolitischen Diskussion. Wie weit ist die deutsche Wirtschaft?
Bernhard Rohleder: Wir sind heute weiter als wir gestern waren - aber bei Weitem nicht dort, wo wir eigentlich hinwollten. Und das lässt sich sehr schön am Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) der EU ablesen, wo uns im Gesamt-Ranking im Mittelfeld befinden. In einigen Bereichen, die politisch besonders gut gestaltbar wären, wie die Verwaltung, rangieren wir unter ferner liefen. Für eine Technologienation, die auf ihr Bildungswesen und ihre Verwaltung besonders stolz ist, ist der Status quo der Digitalisierung nicht so, wie wir uns das wünschen.
com! professional: Das Corona-Virus hat die Wirtschaft durcheinandergewirbelt - ein Weckruf für Deutschland aber auch ein Brennglas für die Digitalisierung. Häufig handelt es sich nur um Strohfeuer ...
Rohleder: Das gilt speziell dort, wo im Moment in einem Not-Modus geschaltet wurde. In der Verwaltung kann vielerorts außerhalb der Verwaltungsräume nicht gearbeitet werden, auch nicht im Homeoffice. Dort fürchten die Mehrheit der Bundesbürger, dass nach der Pandemie alles wieder zurückgedreht wird und man weitermacht wie zuvor. Und das ist eine Sorge, die ich teile: Die Nachhaltigkeit der Digitalisierung, die in Privathaushalten und der Wirtschaft durchaus vorhanden ist, ist in der Verwaltung derzeit überhaupt nicht absehbar.
com! professional: Gibt es Bereiche, denen die Krise einen regelrechten Digitalisierungsschub versetzt hat?
Rohleder: Wir sehen das im Gesundheitsbereich, wo es einen enormen Schub gibt bei den Ärzten, die auch Videosprechstunden anbieten. Auch sehen wir das im Schulbereich, allerdings sehr stark abhängig von dem Engagement der jeweiligen Schulleiter und Lehrkörper. Da tut sich gerade eine unglaubliche Schere auf in Deutschland - Schulen, die sich jetzt extrem schnell und erfolgreich digitalisieren und auch in Zukunft Unterrichtsangebote in hybrider Form anbieten werden. Aber es gibt auch Schulen, da werden kopierte Blätter in den Sekretariaten und die Eltern müssen die abholen - und eine Woche später die ausgefüllten Arbeitsblätter wieder abgeben.
com! professional: Vertieft die Pandemie also die digitale Spaltung in unserem Land noch mehr? Auf der einen Seite diejenigen, die erfolgreich und engagiert digitalisieren, auf der anderen Seite die, die mehr oder weniger digitalisieren, weil es halt sein muss, die aber letztendlich hinten runterfallen?
Rohleder: Es fällt ja niemand hinten runter, weil er geschubst wird, sondern manche lassen sich hinten runterfallen - weil sie einfach zu träge oder entscheidungsunwillig sind. Die Corona-Krise sorgt dafür, dass sich die ohnehin vorhandene Schere noch weiter öffnet. Auf der einen Seite diejenigen, die schon gut aufgestellt waren und sich jetzt noch besser aufstellen. Und auf der anderen Seite diejenigen, die schlecht aufgestellt sind und jetzt noch weniger Schritt halten können.
com! professional: Die Krise hätte sich in vielen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sicher leichter handhaben lassen, wenn wir hierzulande bei der Digitalisierung schon weiter wären, oder?
Rohleder: Wenn wir Vieles bereits vor fünf oder gar zehn Jahren gemacht hätten, dann hätten wir zum Beispiel durchgängig unsere Schülerinnen und Schüler mit digitalen Bildungsangeboten erreicht. Und wir hätten auch an anderen Stellen bereits mehr Fortschritte gemacht, etwa wo es darum geht, Verwaltungsdienstleistungen online zur Verfügung zu stellen.
Es liegen zum Beispiel viele Baugenehmigungen brach. Das führt auch dazu, dass Mobilfunkbetreiber Anlagen nicht bauen können, weil Genehmigungen länger dauern. Das liegt nur daran, dass die Digitalisierung an vielen Stellen verschlafen wurde.

com! professional: Wenn wir mal auf die Wirtschaft schauen - deutsche Mittelständler tun sich hinsichtlich der Digitalisierung weiterhin schwer. Ist sie für den Mittelstand noch ein Schreckgespenst?
Rohleder: Vor der Digitalisierung hat in der Wirtschaft niemand wirklich Angst. Ich glaube, gerade unsere mittelständischen Unternehmen sind extrem innovationsstark.
com! professional: Erkennen die Unternehmen dann die Chancen einer Digitalisierung nicht oder ging es ihnen zuletzt einfach nur zu gut?
Rohleder: Sie haben in der Vergangenheit vor allem ein Luxusproblem gehabt - und zwar volle Auftragsbücher. Und mehr Aufträge als sie abarbeiten konnten. Deshalb haben sie alle Management- und operativen Ressourcen auf ihre aktuellen Kunden gelenkt. Und damit hat die Zeit für die Auseinandersetzung mit der Frage, welches Geschäft machen wir denn morgen und übermorgen, nicht gereicht. Die Unternehmen hatten - und haben auch derzeit - keinen Zwang, zusätzlich zu digitalisieren. Aber irgendwann, das sehen wir sehr schön im Einzelhandel, kommt der große Disruptor und nimmt das alte Geschäftsmodell komplett auseinander und stellt ein neues, für die Kunden attraktives Geschäftsmodell daneben - und dann ist es für viele Unternehmen fast schon zu spät. Durch Corona bleiben aber in vielen Unternehmen Aufträge aus. Und wir sehen, dass man sich dann wieder sehr viel mehr mit den Fragen der strategischen Ausrichtung beschäftigt.
Zur Person
Dr. Bernhard Rohleder hat 1999 den Digitalverband Bitkom mit aus der Taufe gehoben und ist seitdem dessen Hauptgeschäftsführer. Der Politikwissenschaftler ist darüber hinaus Mitglied der Jury des Gründerpreises „Made in.de“. Er vertritt die Branche unter anderem in den einschlägigen Gremien des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). In der 17. Legislaturperiode der Deutschen Bundestags war Rohleder Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.

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