Agile Organisation als neues Betriebssystem

Im Gespräch mit Fabrizio Giaquinto von Cam­pana & Schott Schweiz

von - 09.03.2020
Fabrizio Giaquinto
Fabrizio Giaquinto: Sales Manager bei Cam­pana & Schott Schweiz
(Quelle: Cam­pana & Schott )
Schnellere Betriebsabläufe, mehr Flexibilität, transparente Entscheidungswege: Agile Me­thoden sind beliebt, aber nicht für alle Unternehmensbereiche geeignet. Warum sich der Aufbau agiler Organisa­tionen dennoch lohnt, erläutert Fabrizio Giaquinto, Sales Manager beim Beratungsunternehmen Campana & Schott Schweiz.
com! professional:  Müssen in Zukunft alle Unternehmen agile Organisationen werden?
Fabrizio Giaquinto: Nein, selbst agile Organisationen sind dies meistens nicht in allen Bereichen, sondern nur in bestimmten. Zum Beispiel ist die Rechtsabteilung häufig so stark reguliert, dass sie gar nicht agil werden kann. Produktentwicklung und Marketing profitieren dagegen oft von agilen Prozessen. Wichtig ist es, einen konkreten Nutzen aus der Agilität zu ziehen.
Unternehmen sollten aber in allen Bereichen ein agiles Mindset, Zusammenarbeit, Innovationsbereitschaft und Kundenorientierung fördern.
com! professional: Können Sie Beispiele von Unternehmen nennen, die zwar agil arbeiten, aber keine klassischen IT-Unternehmen sind?
Giaquinto: Ja, auch wenn hier ebenfalls gilt, dass meist nicht das gesamte Unternehmen, sondern nur ein Teil davon wirklich agil ist. In der Schweiz nutzen zum Beispiel Swisscom, PostFinance oder Novartis nicht nur agile Methoden, sondern fördern auch ein agiles Mindset.
com! professional: Viele agile Methoden kommen aus der IT, inwieweit sind Führungskräfte aus Fachabteilungen und dem Top-Level-Management überhaupt fit auf diesem Gebiet?
Giaquinto: Das ist stark vom Unternehmen abhängig. Führungskräften kommt eine Hauptrolle für den Erfolg der agilen Transformation zu. Doch sie fürchten häufig Macht­verlust, wenn sie die Mitarbeiter empowern. Sie müssen aber Vorbilder sein und die Mitarbeiter nicht nur am Anfang, sondern kontinuierlich auf die Reise mitnehmen. Hier sollte die Unternehmensleitung Ängste nehmen und konkrete, nachvollziehbare Ziele ausgeben. Wichtig ist jedoch auch zu beachten, dass Agilität mehr bedeutet, als nur Methoden und Tools einzuführen. Agilität ist im Wesentlichen eine Einstellungssache.
com! professional: Benötigen wir dafür neue Führungsmodelle und wie müssten diese konkret aussehen?
Giaquinto: Ja, neue Führungsmodelle sind nötig, aber der Wandel wird wohl schrittweise erfolgen. So sollten Führungskräfte stärker Ziele vorgeben und nicht einfach Aufgaben delegieren: den Mitarbeitern mehr Freiraum geben. Neben Führungskräften kann Agilität durch weitere Kompetenzträger im Unternehmen eta­bliert werden. Über die gesammelten Erfahrungen sollte man sich in Communities austauschen, um auch so den bereichsübergreifenden Austausch zu fördern.
com! professional: Laut Ihren Ergebnissen ist nur ein Drittel der Mitarbeiter von den Vorteilen der Teamarbeit überzeugt. Was müssten CEOs diesbezüglich unternehmen?
Giaquinto: Viele Mitarbeiter haben aufgrund der bestehenden Strukturen und Kultur noch gar keine Erfahrung mit offener, sich gegenseitig bestärkender Teamarbeit. Bei der genannten Zahl ist großes Potenzial. Die CxOs sollten Agilität vorleben, um die Mitarbeiter mitzunehmen. Abstimmung im Team, Transparenz über aktuelle Tätigkeiten, Austauschmöglichkeiten schaffen, das sind wichtige Punkte. Es darf beispielsweise keine Angst vor „blöden Fragen“ oder Fehlern geben.
com! professional: Insbesondere die mangelhafte Fehlerkultur ist einer der größten Bremsklötze auf dem Weg zu einer agilen Organisation. Welchen Ansatz empfehlen Sie?
Giaquinto: Statt Aufgaben vorzugeben, sollte eine Kultur des Ausprobierens entstehen. Auch frühzeitig erkennen und einräumen, wenn eine Maßnahme nicht das gewünschte Resultat bringt. Führungskräfte müssen diese Kultur zunächst selbst verinnerlichen, um die Mitarbeiter dazu zu ermutigen, Neues auszuprobieren - ohne Angst vor Schuldzuweisungen oder persönlichen Konsequenzen.
com! professional: Mit welchen „low hanging fruits“ kann man starten, um sein Unternehmen auf Agilität zu trimmen?
Giaquinto: Im ersten Schritt muss man ein agiles Mindset fördern. Offene Kommunikation und Austausch sind etwa schon mit regelmäßigen Kurzmeetings möglich. Lieber öfter und dafür kürzer. Hier berichten verschiedene Abteilungen über ihre aktuellen Projekte. So erhalten Mitarbeiter Impulse aus anderen Bereichen und die Hemmschwelle zur Zusammenarbeit sinkt. Erst müssen Unternehmen diese Grundstimmung schaffen, bevor sie weitere Schritte und Methoden wie Gamification oder Scrum einsetzen.
com! professional: Wie können dann die nächsten Schritte aussehen?
Giaquinto: Darüber hinaus gilt es, in allen Bereichen kundenzentrierte Denkmuster zu festigen. Jeder Mitarbeiter sollte die Empfänger der Leistung, die er erbringt, kennen und seine Aktivitäten mehrwertorientiert daran ausrichten. Dies hat zugleich einen direkten wirtschaftlichen Impact. Zudem sind Erfolge offen zu kommunizieren: Wo wurde eine besonders kundenfokussierte Lösung entwickelt oder die Time-to-Market reduziert? So erhöht sich die Akzeptanz der Mitarbeiter für agile Prozesse.
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