Software AG

„A und O ist der Erfolg der Projekte beim Kunden“

von - 09.11.2021
Foto: Software AG
Stefan Sigg, CPO der Software AG, über Strategien, Technologien und Züge, die (noch nicht) abgefahren sind.
Die Software AG bezeichnet sich selbst als Software-Pionier der vernetzten Welt. Denn schon seit 1969 arbeite sie von Darmstadt aus daran, Menschen, Unternehmen, Systeme und Geräte durch Software zu verbinden. Ihre Produkte sollen der Schlüssel sein für einen ungehinderten Datenfluss und eine reibungslose Zusammenarbeit. Stefan Sigg ist als Chief Product Officer der Software AG für das gesamte Produktportfolio verantwortlich, einschließlich Global Support, Cloud Operations und Forschung und Entwicklung. Im Interview mit com! professional spricht er über die Produktstrategie der Software AG und die Digitalisierung in Deutschland.
com! professional: Herr Sigg, Sie verantworten seit 2017 das Produktportfolio der Software AG und haben kürzlich Ihren Vertrag vorzeitig verlängert. Wie würden Sie die Produktstrategie Ihres Unternehmens beschreiben?
Stefan Sigg: Bevor wie über Produktstrategie reden, ein kurzer Exkurs. Strategie ist für mich immer eine Methode, um ein Ziel zu erreichen. Man kann nicht über Strategie reden, ohne dass man Ziele hat. Das ist wie Golfspielen ohne Loch. Unser Ziel ist zu allererst die Kundenzufriedenheit. Das mag sich ein bisschen platt anhören, ist es aber wirklich nicht. Ich bin seit knapp 30 Jahren im Software-Business, und eines ist mit klar geworden: Der Erfolg der Projekte beim Kunden ist das A und O. Auf dieser Basis wollen wir als Firma wachsen. Die Firma ist hochprofitabel, sehr erfolgreich mit einer großen Installed Base an Kunden, aber vielleicht nicht in einem Wachstumsschub, wie man es von anderen, jüngeren Unternehmen kennt, und einer Kapitalmarktbewertung, die vielleicht nicht den echten Wert der Firma widerspiegelt. Das ist das zweite Ziel. Wir wollen profitabel wachsen und mit unserer Innovativkraft dieses Ziel erreichen.
com! professional: Kommen wir auf die Strategie zurück …
Sigg: Die Hauptidee der Strategie ist, dass wir anderen Unternehmen dabei helfen wollen, selbst zu einem Software-Unternehmen zu werden. Das ist die große Geschichte der Software AG. Vor 50 Jahren haben wir mit der Datenbank Adabas und einer Programmiersprache die Technologie geliefert und die Unternehmen in die Lage versetzt, selbst anzufangen, Software-Applikationen zu bauen. Hauptsächlich für die eigene Nutzung und teilweise auch für Kunden. Damals war es so, dass es keine Applikationen von der Stange gab. Die Unternehmen hatten eigene Software-Entwickler, die dann mit der Technologie, die wir geliefert haben, eigene Anwendungen gebaut haben. Mit der Zeit kam dann die große Standardisierungswelle im Business-Software-Bereich durch SAP und andere. Das hat dazu geführt, dass die IT-Abteilungen in den Unternehmen mehr und mehr zu Anwendern wurden, zu Implementierern, Konfigurierern, und weniger selbst Software entwickelten. Man brauchte dann also Software, um die verschiedenen Applikationen zu integrieren. Das war unsere Motivation, die Firma WebMethods zu übernehmen und ein neues Geschäftsfeld aufzumachen im Bereich Integrations-Middleware. Im Zuge dessen kam das ganze Thema der Prozesse und für uns die Übernahme von IDS Scheer und dem ARIS-Produktportfolio (zum Entwerfen, Pflegen und Optimieren von Geschäftsprozessen, Anm. der Red.)
com! professional: Wie passt das Thema IoT in diese Strategie?
Sigg: In der jüngeren Vergangenheit haben wir überlegt, welches Thema auf natürliche Weise eine Erweiterung dieses Spektrums ist. Das war das Thema IoT, was wir im Sinn von Integration of Things interpretieren. Unser Kerngeschäft ist die Integration von Applikationen, die Integration von Systemen verschiedener Hersteller, damit das Konzert der IT funktioniert, erweitert um die Integration von Geräten.
Das ist wieder Technologie, mit der Unternehmen nun wieder anfangen, ihre eigene Software zu bauen – eine Renaissance der Inhouse-Entwicklung.
Damit kommen wir zum großen Thema der Digitalisierung, einer Art Wettrennen zwischen etablierten Industrie-Unternehmen, die jetzt selbst Software entwickeln, und auf der anderen Seite Software-Unternehmen, die lernen, wie Industrien funktionieren.
„Man kann nicht über Strategie reden, ohne dass man Ziele hat. Das ist wie Golfspielen ohne Loch.“
Wir sind in der Mitte und liefern Technologie, damit unsere Kunden nicht bei null anfangen müssen. Der Kunde will möglichst wenig selbst in eigene Software investieren, um am Ende seine Daten in neue softwarebasierte Produkte und Services zu verwandeln. Das ist die Strategie, den Bogen zu spannen von technologienahen Integrationen und API-Management bis hin zu den Geschäftsprozessen, die wir mit ARIS abdecken.
com! professional: Welche Schwerpunkte haben Sie sich in der vergangenen „Amtszeit“ gesetzt, und was hat sich im Produktportfolio geändert?
Sigg: Ein ganz großer Schwerpunkt war und ist die Cloud, also die Transformation aller relevanten Produkte in die Cloud, und zwar nicht nur technisch, sondern einschließlich ihrer Software-DNA. Dazu gehört auch das Thema Multi-Tenancy, das Betreiben von Software in der Cloud und die Erfahrung, die ein Kunde damit macht, einen Cloud-Service von uns zu bekommen. Konkret bedeutet das für ein Unternehmen wie uns, das über lange Jahre hinweg klassisches On-Premise-Geschäft gemacht hat, eine fundamentale Änderung. Früher haben wir Software zum Download bereitgestellt und der Kunde oder dessen Partner hat dann die Implementierung und den Betrieb übernommen. Das machen jetzt wir – in der Cloud.
com! professional: Gab es noch weitere Schwerpunkte?
Sigg: Genauso wichtig war das Thema User Experience, also die Erfahrungen, die verschiedene Typen von Nutzern mit unserer Software machen. Nie war es einfacher, sich ein Bild von einer Software zu machen, als heute. Eine fehlende Verfügbarkeit von Free Trials ist fast schon ein Ausschluss­kriterium.
Cumulocity ist die zentrale IoT-Plattform der Software AG.
(Quelle: Software AG )
Dazu kommt der Fokus auf das Thema IoT. 2017 haben wir die Firma Cumulocity aus Düsseldorf übernommen, die ursprünglich ein internes Start-up von Nokia war. Wir fanden, dass Cumulocity nicht nur von der Chemie her perfekt zu uns passt, sondern auch zu unserem Portfolio: diese Erweiterung des Gedankens Integration auf Geräte. IoT ist ein transformatorisches Thema für die Industrie, weil es auf realen Daten basiert.
com! professional: Gibt es ARIS auch in der Cloud?
Sigg: Wir haben ARIS komplett in der Cloud in verschiedenen Ausprägungen. Eine leichtgewichtige Version für ARIS-Einsteiger bis hin zur Version ARIS Enterprise, mit der man ein komplettes Unternehmen prozessmäßig abbilden kann. In jüngerer Vergangenheit haben wir im ARIS-Kontext das Thema Process-Mining komplett neu aufgesetzt.
IDS Scheer hat vor vielen Jahren mit diesem Thema angefangen. Wir haben ein neues Process-Mining gebaut für die Cloud. Wir haben nun die Sicht der Planung der Prozesse, der Beschreibung der Prozesse, den Planzustand und das Process-Mining, das aus echten Bewegungsdaten einen Prozess rekonstruieren kann. Diese beiden Welten zusammenzubringen ist ein großer Schritt nach vorn, mit dem wir uns auch differenzieren.
ARIS steht für Architektur integrierter Informationssysteme. Sie läuft inzwischen in der Cloud und kann nicht nur Prozesse modellieren, sondern auch Process-Mining betreiben.
(Quelle: Software AG )
Wo wir noch ganz am Anfang stehen, ist die Anwendung von Process-Mining auf Produktionsprozesse, also nicht nur auf Finanzen, HR oder Kundenprozesse. Die ­Produktionsprozesse sind viel wichtiger als die ERP-artigen Prozesse.
com! professional: Gab es in Ihrer Amtszeit auch Aspekte, die Sie nicht abschließen konnten und die Sie in die neue Amtszeit übernehmen?
Sigg: Wir haben gesehen, dass wir vielleicht mit unserem Portfolio zu breit aufgestellt waren. Wir haben versucht, auf zu vielen Hochzeiten zu tanzen. Ich wollte, dass wir uns mehr fokussieren und Business-Units etablieren, die einen klar definierten Markt haben.
Wir haben jetzt vier Geschäftsbereiche: zunächst mal das klassische Thema Adabas, also Datenbanken und Programmiersprachen. Dann als größtes Geschäftsfeld den Bereich WebMethods, also Applikationsintegration zusammen mit API-Management. Das dritte Thema ist ARIS für Prozesse und Alfabet für das IT-Management, und das jüngste Kind ist IoT und Analytics.
com! professional: Welche technischen Entwicklungen waren für Sie die größte Überraschung in den vergangenen Jahren?
Sigg: Der Technologie-Schub, den das Cloud-Thema mit sich bringt, ist extrem relevant. Es ist überraschend für jemanden, der am Anfang die große Skepsis gegenüber der Cloud gesehen hat. Wie vergleichsweise schnell dann selbst superkonservative Unternehmen dieses Angebot angenommen haben, erstaunt. Das zweite sind KI-Methoden, die nicht mehr nur Einzelprojekte sind mit einem Anfang und einem Ende, sondern in Produkte integriert sind. Und APIs sind in einer Schnelligkeit wichtig geworden, die ebenfalls überraschend war. APIs lassen sich mittlerweile monetarisieren und werden als Assets betrachtet.
com! professional: Auf welche Techniken legt die Software AG den Fokus bei ihren Aktivitäten in Forschung und Entwicklung?
Sigg: Wir haben unsere eigene Forschungsabteilung und zusätzlich seit vier Jahren einen wissenschaftlichen Beirat. Vorsitzender ist Professor Wahlster, der jahrzehntelang Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intel­ligenz (DFKI) in Saarbrücken war. Mit dabei ist auch der Leiter des Fraunhofer Instituts für industrielle Sicherheit, Michael Waidner. Dort diskutieren wir alle möglichen neuen Trendthemen – von Blockchain bis 5G, von Low-Code bis IoT für Retail – oder über bekannte Themen wie Industrie 4.0, die neu zu überdenken sind, etwa wie Industrie im Zeitalter von Daten und Software funktionieren kann. Dazu kommt das Thema Automatisierung.
com! professional: Was unterscheidet Ihre IoT-Plattform Cumulocity von den Lösungen anderer Anbieter?
Sigg: Das Besondere daran ist, dass wir drei wichtige Themen, die vermeintlich in Parallelwelten leben, zusammenbringen. Einmal die IoT-Plattform selbst, aber als zweites auch das Thema Integration. Alle IoT-Lösungen, die Kunden auf einer IoT-Plattform bauen, haben irgendwann Integrationsaspekte, zum Beispiel in ein SAP-System, in ein Ticket-System für Problemmeldungen, in ein HR-System oder in ein CRM-System für die Kundenbeziehungen. Das dritte ist die Prozess-Sicht. Das ist einzigartig im Markt, dass diese drei Themen bei einem Software-Anbieter zusammenkommen.
com! professional: Wenn Sie drei Techniken nennen müssten, die in den kommenden Jahren den größten Einfluss haben, wären das Cloud, KI und IoT?
Sigg: Ja, und ich würde noch Automatisierung dazunehmen. Beim Thema Analytics wird leicht unterschätzt, was man alles damit machen kann. Unter Analytics verstehe ich das Zusammenbringen von relevanten Daten auf eine kohärente Art und Weise, um aus den Daten analytische Einsichten zu gewinnen. Ein Beispiel aus unserem Portfolio sind Zeitreihenanalysen. In der Produktion ist alles eine Zeitreihe. Deswegen sind Analyse und Monitoring zeitreihenspezifisch. Die hohe Kunst ist dann das Vorhersagen.
com! professional: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz ein? Sind die Erwartungen zu hoch?
Sigg: Wir schauen auf KI als ein neues Instrument, um Probleme zu lösen, und vermeiden den Ansatz „Hier ist die Lösung, wo ist dein Problem?“. Man braucht eine Herausforderung, ein Problem, eine Ambition, und dann braucht man eine Lösung dafür. Wenn es mit KI besser klappt als ohne KI, dann ist man auf dem richtigen Weg.
Ein CEO sagte mir kürzlich, es wäre doch schön, wenn es eine sprechende Maschine gäbe – wenn also nicht ein Mensch vor einem Computer sitzen muss, um herauszufinden, wo das Problem ist, sondern eine KI in der Maschine drin ist, die schon das Ergebnis der Suche kommuniziert. Das ist eine gute Vision, die mit den großen Fortschritten im Bereich natürlichsprachliche Prozesse (NLP) zusammengeht. Damit hätten wir eine anwendungsorientierte Problemstellung, die mit Künstlicher Intelligenz zu lösen ist.
com! professional: Wie viel KI steckt denn schon in den Produkten der Software AG?
Sigg: Wir haben im Bereich IoT Korrelationsanalysen in die Tools eingebaut, und wir haben eine Machine-Learning-Workbench. Wenn man Data Scientists fragt, was das größte Problem ist, nennen die meisten das Zurverfügungstellen der Daten. Die Anwendung der KI-Methoden im Sinn von Algorithmen ist dagegen nicht das Problem. Was wir in der Machine-Learning-Workbench machen, ist eine Lösung für die Datenbereitstellung. Wir haben eine Pipeline von den Geräten bis zu einem Data Lake in der Cloud, der den Data Scientists alles mundgerecht vorbereitet.
com! professional: Können Sie veranschaulichen, welche Nutzen IoT den Unternehmen bringen kann?
Sigg: Das Thema IoT wurde in den vergangenen Jahren vielleicht etwas überschätzt, besonders hinsichtlich eines kurzfristigen finanziellen Impacts. Die Unternehmen stehen noch ganz am Anfang und finden erst noch heraus, was sie mit IoT erzielen wollen. Ich nenne Ihnen vier Beispiele von Kunden, die in großem Stil IoT verwenden. Erstens: Nordex betreibt Windkraftanlagen. Zurzeit sind ungefähr 10.000 Turbinen auf der Plattform. Nordex betreibt, überwacht und optimiert diese Farm von Windkraftanlegen mit unserer Software, alles natürlich remote. Das ist ein Paradebeispiel für Condition-Monitoring. Zweitens: Die Firma Dürr ist Weltmarktführer für Lackieranlagen. Die Herausforderung war: Am Ende des Lackierprozesses stand ein Mensch, der mit einem geschulten Auge die Sichtkontrolle gemacht hat. Aber selbst das geschulte Auge sieht nicht alles, und wenn es einen Fehler bemerkt hat, waren bereits mehrere Karosserien fehllackiert worden. Wir haben mit Dürr eine Anwendung gebaut, sodass dem Betreiber der Lackieranlage ein Frühwarnsystem bereitgestellt wird. Aus dem Frühwarnsystem soll ein Vorhersagesystem werden. Drittens: Autosen aus Essen bietet Sensorik in der Cloud as a Service. Man benötigt nur noch Gateway, Stromversorgung und Internetverbindung, schon sieht man die Daten in der Cloud, etwa eine Füllstandsanzeige für Siloanlagen in der Landwirtschaft. Viertens: Die Firma Eppendorf in Hamburg stellt Laborgeräte her, die über unsere Plattform vernetzt sind.
com! professional: Wie beurteilen Sie den Stand der Digitalisierung in deutschen Unternehmen?
Sigg: Wir kennen alle die prominenten Beispiele, in denen Software die Industrie revolutioniert hat. Der Händler Amazon etwa war ursprünglich kein Händler, sondern bestand aus Software-Entwicklern, die sich beigebracht haben, wie man Bücher über das Internet verkauft. Das Amazon-Team hat vorhergesehen, dass das Internet eine Verkaufsplattform sein wird, und überlegt, welche Technik für ein E-Commerce-System gebraucht wird und es dann gebaut. Der Verkauf von Büchern war ein einfacher Einstieg. So hat Amazon als Software-Experte den herkömmlichen Handel revolutioniert.
Und Tesla ist eigentlich auch ein Software-Unternehmen, das ein Auto um einen Computer herumgebaut hat. Wie kann es sein, dass Tesla so hoch bewertet wird, obwohl das Unternehmen nur relativ wenige Autos verkauft? Eine mögliche Erklärung der Finanzanalysten ist, dass Tesla nicht nur Autos baut, sondern ein Software-Unternehmen ist, das über das Auto Software auf Subskriptionsbasis verkauft. Mit dem Software-Geschäft ist die Profitabilität perspektivisch eine ganz andere, mit einer ganz anderen Skalierung.
Der Hauptsitz der Software AG befindet sich im hessischen Darmstadt, doch ist der Konzern sehr international aufgestellt.
(Quelle: Software AG)
Sie sehen das auch beim Smartphone. Das Smartphone als Hardware ist schön und gut, aber die eigentliche Musik sind die Apps, die darauf laufen. Sie bekommen für einen Euro Ihr Handy, wenn Sie einen Vertrag mit dem Provider abschließen. Irgendwann kostet ein Auto vielleicht auch nur noch einen Euro, die Musik spielt auf dem großen Display zwischen den Sitzen. Wichtig wäre, dass die Unternehmen in Deutschland diesen Trend sehen und mehr aus ihren Daten machen.
com! professional: In welchen Bereichen ist der Zug für deutsche Unternehmen längst abgefahren?
Sigg: Der für ein skalierendes Cloud-Infrastruktur-Angebot im Sinn einer globalen Bereitstellung von Cloud-Rechenzentren ist abgefahren. Das Investment dafür ist astronomisch hoch, wer soll das erbringen? Zum anderen sagen Experten, selbst wenn das Geld da wäre, dann wäre der Faktor Mensch limitierend. Wir müssten alle Entwickler aus dem Silicon Valley abwerben und nach Europa holen.
Was wir aber auch sehen, ist eine Gegenbewegung zu Amazon. Viele Hersteller sind mit ihren Online-Shops durchaus erfolgreich. Ich kaufe immer häufiger nicht bei Amazon. Wenn ich etwas von Adidas haben will, dann ist meine Nutzer-Erfahrung im Adidas-Shop viel besser. Ich glaube, dass beim Thema E-Commerce der Zug für deutsche Unternehmen nicht abgefahren ist, und der Zug im Bereich Industrie 4.0 ist überhaupt noch gar nicht losgefahren. Aber Tesla ist ein Warnsignal.
com! professional: Wie schwer wiegt der Fachkräfte­mangel in der IT? Leidet die Software AG auch darunter?
Sigg: Die Software AG ist für viele Außenstehende überraschenderweise viel internationaler, als es vielleicht von außen aussieht. Wir haben unseren Hauptsitz in Darmstadt, aber wir haben, gerade was meinen Vorstandsbereich angeht, allein drei Engineering Labs in Indien – in Bangalore, in Chennai und in Hyderabad. Wir haben ein großes Lab in Sofia in Bulgarien. Wir haben einen recht großen Standort in Cambridge, UK. Wir haben unsere Niederlassungen in West Virginia und an vielen weiteren Stellen weltweit. Wir diversifizieren das Recruitment von Software-Ingenieuren weltweit und das funktioniert.
Wenn man nach Deutschland schaut, muss man sagen, bitte liebe Universitäten, steigert das Ansehen des Software-Entwicklers. Es ist in Mode gekommen, etwas herablassend auf Software-Entwicklung zu schauen. Das ist aber fatal. Software-Entwicklung ist ein hochkreativer Akt. Eines meiner Idole der Software-Entwicklung und Informatik, Donald Knuth, hat das mehrbändige Werk geschrieben „The Art of Computer Programming“, und genau das ist es, eine Kunst. Ich würde mir wünschen, dass wir mehr junge Menschen für dieses Thema begeistern.
„Tesla ist eigentlich ein Software-Unternehmen.“
com! professional: Wenn ich durch die Straßen ginge und fragen würde, kennen Sie SAP, dann würden die meisten sagen: Ja, habe ich schon gehört. Wenn ich fragen würde, kennen Sie die Software AG, würden das vermutlich die wenigsten bejahen. Woran liegt das?
Sigg: Als ich 1995 bei SAP angefangen habe, war das genauso. Obwohl SAP zu der Zeit schon Marktführer für ERP-Systeme war, wussten die Leute auf der Straße nicht, was SAP ist. Das hat sich erst so richtig geändert, als unter Bill McDermott eine große Marketing-Maschinerie angeworfen wurde. Das hat funktioniert. Bei der Software AG haben wir nicht versucht, einen solchen Kraftakt durchzuführen. Wir könnten aber durchaus etwas mehr Aufmerksamkeit gebrauchen – und daran arbeiten wir auch.
com! professional: Der Name Software AG klingt gut, aber in Börsenberichten zum Beispiel steht deswegen nur „Software“ als Firmenname. Ist der Name wirklich gut?
Sigg: Der Name stammt aus einer Zeit, in der es Software noch gar nicht so richtig gab, in der es immer nur eine Bündelung von Software und Hardware gab. Wir gehörten zu den ersten Unternehmen, die nur Software entwickelt haben, keine Hardware. Von daher ist der Name Programm, und es ist eine Ehre, dass wir diesen Namen tragen dürfen.
com! professional: Und wie alt ist die Software AG inzwischen?
Sigg: 52 Jahre. Wir hatten 2019 unser 50-jähriges FirmenJubiläum.
Zur Person und Firma
Dr. Stefan Sigg (Jahrgang 1965) ist seit April 2017 Mitglied des Vorstands der Software AG und als Chief Product Offi­cer verantwortlich für das gesamte Produktportfolio. Nach dem Studium der Mathematik und Physik startete er seine Karriere in der Produktentwicklung von SAP. Er hat einen Lehrauftrag an der TU Darmstadt zu den Themen Analytics und Big-Data-Technologien und IoT.
Software AG in Zahlen
Gegründet: 1969
Sitz: Darmstadt
Mitarbeiter weltweit: 4700
Mitarbeiter Deutschland: 1300
Umsatz: über 800 Mio. Euro in 2020
www.softwareag.com
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