KI treibt neue Geschäftsmodelle
Technologische Basis
von Klaus Manhart - 18.10.2021
Die aktuell reifsten KI-Technologien, die sich für die ökonomische Verwertung eignen, sind maschinelles Lernen, Natural Language Processing und Bilderkennung. Machine Learning lernt aus Beispielen und kann eigenständig Lösungen für neue und unbekannte Probleme finden. Natural Language Processing versucht, menschliche Sprache zu erkennen und zu verstehen. Und Bilderkennung befasst sich mit der automatischen Erfassung von Fotos, Bildern und Gesichtern.
Diese Technologien lassen sich in unterschiedlichsten Branchen und für verschiedenste Produkte und Services nutzen. Mit Methoden des maschinellen Lernens können etwa Muster in Daten identifiziert und Vorhersagen getroffen werden, beispielsweise für die vorausschauende Wartung eines Maschinenparks. Technologien zum Natural Language Processing ermöglichen es, dass Chatbots mit Kunden interagieren oder fremdsprachliche Texte automatisch übersetzt werden. Mit Verfahren der Bilderkennung wiederum können defekte Teile in der Fertigung automatisch aussortiert oder Menschen identifiziert werden.
Die Umsetzung von KI-Projekten erfolgt heute in der Regel über KI-Tools und KI-Dienste, die sehr oft cloudbasiert sind. Mit Cloud-Machine-Learning-Plattformen wie Azure Machine Learning oder AWS Machine Learning können Unternehmen Machine-Learning-Anwendungen aufbauen. KI-Cloud-Services wie Microsoft Cognitive Services, Google Cloud Vision oder Natural Language APIs erlauben es Unternehmen, komplexe KI- oder Cognitive-Computing-Fähigkeiten anhand einer einfachen API zu nutzen.
KI in Business-Modellen
Ein „AI-driven business model“ ist einer gängigen Definition zufolge eine Geschäftsstrategie, die Künstliche Intelligenz verwendet, um mindestens einen von drei zentralen Bereichen zu verbessern: Wertschöpfung (Value Creation), Erbringung des Kundennutzens (Value Delivery) oder Ertragsmechanismus (Value Capture).
Dabei kann Künstliche Intelligenz verschiedene Rollen oder Schwerpunkte einnehmen. Von einer eher peripheren, unterstützenden Bedeutung bis hin zum Kern des Business beziehungsweise einer ganz neuen, auf KI basierenden Geschäftsidee.
Im ersten Fall kann die KI beispielsweise ein bereits bestehendes Geschäftsmodell unterstützen und Prozesse optimieren, sodass die Wertschöpfung oder der Kundennutzen größer wird. Prozessinnovationen dieser Art stellen die unterste Stufe eines KI-basierten Geschäftsmodells dar. Dem stehen im zweiten Fall reine KI-getriebene Modelle gegenüber, die im Kern auf KI basieren und ohne KI gar nicht möglich wären. Im Extremfall kann ein Unternehmen oder Start-up sein Business-Modell zur Gänze auf KI aufbauen. Oft führt dies zur Entwicklung eines Geschäftsmodells in Form eines reinen Datendienstes oder eines digital aufgeladenen physischen Produkts.
Nizar Abdelkafi und Marija Radić vom Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie (IMW) differenzieren KI-basierte Geschäftsmodellinnovationen in vier Kategorien: Im ersten Fall bringt KI eine nur marginale Veränderung des Geschäftsmodells durch Prozessoptimierung. Im zweiten Fall erfolgt eine wesentliche Veränderung des Geschäftsmodells durch die Anwendung von KI. Der dritte Fall ist eine Erweiterung des Geschäftsmodells durch komplementäre KI-Dienstleistungen. Und der vierte und letzte Fall umfasst die KI-bedingte Evolution zu einem komplett neuen digitalen Geschäftsmodell.
Die Entwicklung dorthin ist eher inkrementell. Während in den ersten beiden Fällen nur eine Verbesserung des aktuellen Geschäftsmodells durch die Anwendung von KI erfolgt, führen die dritten und vierten Fälle zu einer für das Unternehmen neuen Geschäftslogik.
KI als Business-Unterstützer
Die ersten beiden Fälle von Innovationen werden vor allem von etablierten Unternehmen abgedeckt. Sie nutzen KI, um Wertversprechen und Ertragsmechanismen zu verbessern und integrieren KI mehr oder weniger in ihr Kerngeschäftsmodell. Populäre Beispiele dafür sind Streaming-Anbieter wie Netflix oder Spotify.
Bei Musik-Streaming-Diensten wie Spotify ist der Kundennutzen eine breite Auswahl von Musik, die via Internet-Streaming personalisiert ausgeliefert wird. Mittels KI wertet Spotify die Hörgewohnheiten der Kunden aus und stellt jedem Nutzer einen eigenen, persönlichen Mix zusammen. Der Service lernt mit Machine-Learning Verfahren, welcher Mix dem Hörer vorzuschlagen ist. Ähnlich verfährt Netflix und bietet seinen Kunden ein personalisiertes Erlebnis an Filmen. Solche Personalisierungsfunktionen sind nicht zentral für das Wertversprechen, sie sind aber geeignet, um die Kundenbindung und Produktnutzung zu erhöhen.
Chatbots sind ein anderes Beispiel, wie KI dazu beitragen kann, Dienstleistungen zu unterstützen oder zu erweitern. Ein KI-basierter Chatbot kann Unternehmen beispielsweise helfen, ein kundenorientiertes Dienstleistungsangebot zu geringen Kosten rund um die Uhr zur Verfügung zu stellen. Viele Dienstleister wie TK-Unternehmen gestalten ihre Kunden-Channels heute hybrid. Simple Anfragen werden von einem Chatbot beantwortet, komplexe Probleme weiterhin durch Menschen. Hier hilft KI vor allem, die Ertragsmechanismen zu verbessern.
Andererseits kann KI auch tiefer in die Unternehmensstruktur eingreifen und mehrere Aspekte gleichzeitig verbessern. Der E-Commerce-Händler Zalando nutzt KI, um viele Kernprozesse zu optimieren. Dazu gehören unter anderem demografische Prognosen, Preis- und Umsatzprognosen sowie eine erweiterte Betrugserkennung. In Zukunft sollen Algorithmen auch neue Modedesigns entwickeln.
KI als Enabler
Am anderen Ende des Spektrums stehen Geschäftsmodelle, die ausschließlich auf KI basieren oder ihre Kernidee KI verdanken. Beispielsweise kann eine von einem klassischen Kreditinstitut ausgelagerte oder ganz neu gegründete Direktbank ihr Kerngeschäft, die Vergabe-Entscheidung über Kredite, komplett mit KI-Technik automatisieren. Die KI wäre für das Unternehmen damit eine Schlüsselressource, mit der der Erfolg des Instituts steht und fällt und mit der neue Kundensegmente erschlossen werden.
Solche disruptiven Innovationen, die mit dem Althergebrachten brechen, sind vor allem bei KI-Start-ups zu finden. Sie gründen ihre Geschäftsidee komplett auf KI-Technologien und sind wichtige Treiber für Veränderungen. Im Vergleich zu den eher evolutionär ausgerichteten Etablierten gelten die Start-ups als Revolutionäre, die wichtige KI-Neuerungen in die Tat umsetzen.
Dutzende von Beispielen zeugen von der Innovationskraft der kleinen Betriebe. Predictive Maintenance etwa gehört zu denjenigen Use-Cases, wo es besonders viele Geschäftsideen gibt. Laut mehrerer Studien weist KI in der Fertigung ein besonders hohes Potenzial auf, die Wertschöpfung zu erhöhen. Das Start-up Tvarit beispielsweise hat eine industrielle KI-Plattform mit über 100 algorithmischen Modulen für Anwendungsfälle wie Prozessoptimierung oder Predictive Analytics in der Fertigungsindustrie entwickelt.
Viele Start-ups beschäftigen sich mit fortgeschrittener Bild- und Gesichtserkennung. IDNow zum Beispiel hat ein kommerziell recht erfolgreiches KI-gestütztes Videoident-System auf den Markt gebracht. Mit dem technischen Verfahren, das 2016 durch die EU patentiert wurde, können Banken ihre Kunden identifizieren und Verträge rechtssicher am Bildschirm abschließen.