Künstliche Intelligenz im täglichen Einsatz

Macht KI den Menschen ersetzbar?

von - 28.03.2017
com! professional: Sie selber sagen, wenn Maschinen intelligenter werden als Menschen, könne man sie nicht mehr kontrollieren. Ihr Forschungsbereich wird daher mit viel Skepsis betrachtet. Zweifeln Sie nie am Kosten-Nutzen-Verhältnis Ihrer Arbeit?
Schmidhuber: Kaum. Vor Hunderttausenden von Jahren wurden nach der Erfindung des kontrollierten Feuers ähnliche Fragen gestellt. Es fiel damals auf, dass das Feuer sehr nützlich sein kann, denn es hält einen warm und man kann damit kochen. Aber es lassen sich damit auch Menschen verbrennen und Waldbrände verursachen. Daher wurde seinerzeit eine Ethikkommission eingesetzt, um die Pros und Kontras des Feuers abzuwägen. In ihrem Abschluss-Communiqué kam die Kommission zu dem Schluss, dass die Gefahren der neuen Technik zwar im Auge zu behalten seien, dass man aber dennoch mit der Weiterentwicklung des Feuers voranschreiten sollte, nicht zuletzt deswegen, weil der Fortschritt sowieso unaufhaltsam schien. So geschah es und deswegen sind wir heute hier und stellen uns wieder derartige Fragen.
com! professional: Mit KI werden heute schon Menschen getötet …
Schmidhuber: Das klingt schlimm. Mir wurde gesagt, dass auch unser LSTM (Long short-term memory) da eine Rolle spielt. Armeen nutzen natürlich Roboter. Viel mehr Angst muss man aber vor den alten Wasserstoffbomben haben. Eine einzige hat mehr Zerstörungskraft als alle konventionellen Waffen zusammen. Viele haben vergessen, dass es trotz dramatischer Abrüstung seit den 1980ern immer noch genug davon gibt, um die Zivilisation in wenigen Stunden auszulöschen, ganz ohne KI.
Allgemein gesprochen sind 95 Prozent KI-Forschung höchst menschenfreundlich. Man bemüht sich sehr, Menschen damit glücklicher oder gesünder zu machen – und abhängiger von ihren Smartphones.
com! professional: Wechseln wir zum Positiven. Was ist Ihr Lieblingsbeispiel für den Nutzen einer KI?
Schmidhuber: Unser preisgekröntes neuronales Netz lernte schon 2012, auf Mikroskopbildern von Brustgewebe Vorstufen von Krebszellen fast so gut zu erkennen wie sonst nur ein erfahrener Histologe. Viele, die bisher überhaupt keinen Zugang zu vernünftiger medizinischer Diagnostik hatten, werden wohl bald per Handy Bilder ihrer Krankheitssymptome an einen automatischen Arzt senden können, der nur bei Bedarf menschliche Experten hinzuzieht, die auf diese Weise viel mehr und auch weit entfernte Patienten werden betreuen können. KI kann heute schon Leben retten und verlängern.
com! professional: „Die Entwicklung wahrer künstlicher Intelligenz ist das letzte Bedeutsame, was man als Mensch noch leisten kann“, haben Sie mal gesagt. Warum so fatalistisch?
Schmidhuber: Das ist alles andere als fatalistisch – das ist vielmehr erhebend! Es eröffnen sich für das gesamte Universum neue, weit über den Menschen hinausweisende Perspektiven. KI werden das Sonnensystem und die Milchstraße in einer Weise kolonisieren und umgestalten, bei der Menschen nicht mal ansatzweise folgen können. Das Universum erklimmt nun bald seine nächste Stufe auf dem Weg zu höherer Komplexität. Es will intelligent werden und ohne uns als stolze Steigbügelhalter ginge das nicht.
com! professional: Wie sieht es mit Empathie aus – können Ihre KI auch (mit)fühlen oder werden sie das jemals können?
Schmidhuber: Sie haben alle Voraussetzungen. Sie verfügen über Schmerz- sowie Hungersensoren und versuchen, stets neue Wege zu finden, die Summe der Qualen bis ans Lebensende zu minimieren und die Summe der positiven Belohnungen zu maximieren. Das ist zwar leichter gesagt als getan – Kinder brauchen viele Jahre, bis sie gelernt haben, das in Eigenregie zu versuchen. Aber auch unsere KI verbessern sich kontinuierlich. Sie leben oft in Gesellschaft mit anderen KI, mit denen sie kollaborieren oder in Wettstreit treten können. Sie bekommen Angst vor denen, die sie bedrohen, und suchen die Gesellschaft derer, die gut zu ihnen sind. Dabei bilden sie sich auch prädiktive Weltmodelle, die Vorher­sagen über die anderen erlauben und damit Empathie ermöglichen, die sich zum Beispiel in Hilfestellung für andere ausdrückt. 
com! professional: Wie wirken sich KI auf die Arbeitswelt aus?
Schmidhuber: Sie meinen, was dann dem Menschen noch zu tun bleibt? Er wird wie bisher auch neue Wege finden, seinem Leben Sinn zu geben. Viele Tätigkeiten sind schon heute Luxusberufe. Länder mit vielen Robotern pro Einwohner wie Japan, Südkorea, Deutschland oder die Schweiz haben erstaunlich niedrige Arbeitslosenquoten. Es gilt mein alter Spruch aus den 80ern: Es ist leicht vorherzusagen, welche Jobs verloren gehen, aber schwer zu prognostizieren, welche neuen entstehen.
Wie viel kann man überhaupt rechnen?
Ein Menschenhirn vermag wohl nicht mehr als 1020 (eine 1 mit 20 Nullen) elementare nützliche Rechenoperationen pro Sekunde (op/s) auszuführen. Vermutlich viel weniger, sonst würden unsere Köpfe überhitzen. Alle bald 1010 Menschenhirne zusammen schaffen also höchstens 1030 op/s. Bremermanns physikalisches Rechenlimit (1982) liegt nun aber bei der vergleichsweise gigantischen Zahl von etwa 1045 op/s pro Milligramm Rechensubstrat.
Das Mooresche Gesetz (alle 18 Monate doppelt so viele Transistoren pro Chip) gilt nicht mehr, aber ein älteres Gesetz schon noch: Alle fünf Jahre wird Rechenkraft etwa zehnmal billiger. Das gilt, seit Konrad Zuse den ersten funktionstüchtigen programmierbaren Rechner der Welt baute.
Heute, 75 Jahre später, entspricht dies einem Faktor von 1015 oder einer Million Milliarden. Bald haben wir also billige Rechner mit der rohen Rechenkraft eines Menschenhirns – falls der Trend anhält, in 50 Jahren für denselben Preis die Rechenkraft aller 10 Milliarden Menschenhirne.
Der Bremermann-Grenze wird man sich dann im nächsten Jahrhundert annähern, also „sehr bald“, denn 100 Jahre sind nur 1 Prozent der 10.000-jährigen Zivilisations­geschichte. Eine Maschine kleiner als ein Stecknadelkopf könnte unter diesen Voraussetzungen also theoretisch eine der Mensch­­heit vergleichbare Gemeinschaft von 10 Milliarden Agenten simulieren, jeder ausgestattet mit einem künstlichen rekurrenten neuronalen Netz (NN) mit der rohen Rechenkraft eines Hirns, angesiedelt in einer virtuellen Realität, die noch 10 Milliarden Mal komplexer ist als die ganzen NN selbst. Man bedenke nun noch, dass die Erdmasse für 1030 Stecknadelköpfe reicht und die des Sonnensystems für 1036.
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