Tiefe neuronale Netze

Künstliche Intelligenz im täglichen Einsatz

Roboter an der Tastatur
Foto: Jinning Li / Shutterstock.com
Systeme mit Künstlicher Intelligenz erledigen heute schon vieles besser als Menschen. com! professional spricht mit dem KI-Experten Jürgen Schmidhuber über die Möglichkeiten der Technologie.
KI: Jürgen Schmidhuber, wissenschaftlicher Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz.
(Quelle: FAZ/Bieber)
Künstliche Intelligenz steht hoch im Kurs. Goo­gle, IBM und Co. geben sehr viel Geld für KI-Know-how aus. Warum? Weil Künstliche Intelligenzen schon heute vieles besser und schneller erledigen, als Menschen das je könnten.
Bewiesen hat dies unter anderem Jürgen Schmidhuber. Er ist wissenschaftlicher Direktor des Tessiner Forschungsinstituts IDSIA, das schon seit 1988 Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Artificial Intelligence (AI) betreibt. Heute zählt das „Istituto Dalle Molle di Studi sull’Intelligenza Artificial“ weltweit zu den besten Forschungsinstituten auf diesem Gebiet und seine Mitarbeiter haben schon viele Preise eingeheimst – zuletzt den Special-Award des Branchenverbands SwissICT.
Wir haben mit Jürgen Schmidhuber darüber gesprochen, was seine neuronalen Netze können, warum andere damit Geld verdienen und wo der Mensch dabei bleibt.
com! professional: Können Sie erklären, was Sie und Ihr Institut genau machen und wo Ihre Technologie eingesetzt wird?
Jürgen Schmidhuber: Wir entwickeln selbstlernende künstliche neuronale Netze – und die werden heute fast überall eingesetzt. 
com! professional: Geht es etwas genauer?
Schmidhuber: Unsere neuronale Deep-Learning-KI erledigt schon heute manche Aufgabe besser als Menschen. Automatisch entdeckt sie Tumorzellen in menschlichem Gewebe, erkennt Sprache, Handschrift oder auch Verkehrszeichen für selbstfahrende Autos, sagt Aktienkurse vorher, übersetzt Texte oder steuert Ro­boter für die Industrie 4.0. Google, Microsoft, IBM, Baidu und viele andere Firmen verwenden heute unsere Verfahren, die unter anderem die beste Handschrifterkennung, Spracherkennung, maschinelle Übersetzung oder Bilderkennung ermöglichen. Letztere kommt zum Beispiel bei selbstfahrenden Autos oder bei der Krebsfrüherkennung zum Einsatz. Milliarden Smartphone-Nutzer können unsere tiefen Netze tagtäglich einsetzen, etwa für Spracherkennung und maschinelle Übersetzungen. Unsere automatischen Problemlöser werden zusehends vielseitiger – und in ein paar Jahrzehnten wohl über mehr rohe Rechenkraft verfügen als alle Menschenhirne zusammen.
com! professional: Aber wie macht die Deep-Learning-KI das?
Schmidhuber: Ihr Kortex hat über 10 Milliarden Neuronen, jedes einzelne verbunden mit 10.000 weiteren. Einige davon sind Eingabe-Neuronen, die andere Neuronen mit Daten füttern (etwa Geräusche, Bilder, Berührungen, Schmerz, Hunger). Andere sind Ausgabe-Neuronen, die Muskeln aktivieren. Die meisten Neuronen liegen dazwischen und sind für das Denken zuständig. Gelernt wird durch das Stärken oder Abschwächen der Verbindungen zwischen den Neuronen. Ähnliches gilt für unsere künstlichen rückgekoppelten neuronalen Netze (RNN), die heute beispielsweise Sprache oder Handschrift erkennen, Autos fahren und so weiter.
com! professional: Es sind vor allem US-Firmen, die mit Ihrer Forschung Geld verdienen. Warum keine Schweizer?
Schmidhuber: Es ist wie beim World Wide Web. Das wurde auch in der Schweiz von einem Immigranten entwickelt, aber das große Geld macht man damit am „Pacific Rim“, an der Westküste Amerikas und der Ostküste Asiens. In der Schweiz ist die Grundlagenforschung sehr stark, aber es hapert am Wagniskapital. Es ist recht einfach, in der Schweiz eine Firma zu gründen, aber schwieriger, sie mit einheimischer Risikofinanzierung zu skalieren – vielleicht, weil die Schweizer Milliardäre konservativer investieren als die im Silicon Valley. Unsere eigene Firma NNAISENSE kriegt viele Anrufe vom Pazifikufer, doch kaum welche aus der Schweiz.
com! professional: Das KI-Unternehmen DeepMind wurde nur durch Ihr Institut ermöglicht und für über 600 Millionen Dollar an Google verkauft. Apple, IBM und Yahoo kauften ebenfalls Firmen, für deren Technologie Sie Grundlagen­arbeit leisteten. Seit letztem Jahr sind Sie selbst Start-up-Unternehmer. Ist es der Lockruf des Geldes? Oder weshalb wollen Sie nicht mehr nur forschen?
Schmidhuber: Wäre ich nicht Entrepreneur geworden, würden mir die großen IT-Firmen die besten Leute durch Traumgehälter abwerben. Mit einer Firma, deren Mitarbeiter einen derartigen „track record“ vorweisen können und die so ambitioniert wie unsere die ultimative, weltverändernde KI-Plattform schaffen will, hat man Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten, die über die akademische Förderung hinausgehen.
com! professional: In diesem Heft (Seite 74) sagt Professor Toni Wäfler: „Wir stecken sehr viel Geld in Künstliche Intelligenz, um natürliche Intelligenz zu ersetzen. Sollten wir nicht eher mindestens gleich viele Mittel in die natürliche Intelligenz investieren und noch viel mehr, um diese beiden zu kombinieren?“ Was erwidern Sie darauf?
Schmidhuber: Es wird ja sowieso immer noch viel mehr Geld in natürliche Intelligenz gesteckt. Was meinen Sie, wie viele Tausende von Milliarden die weltweiten Bildungsprogramme kosten? Die paar Milliarden für KI-Forschung können da nicht mithalten. Das mit der Kombination natürlicher und künstlicher Intelligenz geschieht schon längst. Wer heute auf dem Handy per flotter Spracherkennung Zugang zu fast allem publizierten menschlichen Wissen hat (Wikipedia und so weiter), ist effektiv klüger als der, der vor wenigen Jahrzehnten erst eine Bibliothek zum Nachschlagen finden musste.
com! professional: Sie sagten einst, dann aufhören zu wollen, wenn Sie eine Maschine entwickelt haben, die klüger ist als ein Mensch. Nun sind Sie 53, in zwölf Jahren wären Sie in Rente. Frühpensionär werden Sie kaum noch, oder?
Schmidhuber: Na ja, das Rentenalter wird ja ständig erhöht, weil die Leute länger gesund bleiben. Wir werden aber in wenigen Jahrzehnten wirklich KI erleben, die den Menschen in fast jeder nennenswerten Hinsicht übertreffen werden.
com! professional: Gibt es etwas, bei dem Sie denken, dass die Maschine den Menschen nicht kopieren kann – oder sollte?
Schmidhuber: Oder sollte? Ja. Ich will aber lieber nicht darüber reden.
com! professional: Sagen Sie uns dann wenigstens, auf welche Entdeckung Sie besonders stolz sind?
Schmidhuber: Ich glaube, ich habe die simplen mathematischen Prinzipien von Neugier, Kreativität, Wissenschaft, Kunst und Humor begriffen, sodass wir nun künstliche Wissenschaftler und Künstler bauen können. Ich habe auch die ersten rekursiven Selbstverbesserer entworfen, die nicht nur was lernen, sondern auch, wie man den Lernalgorithmus selbst verbessert – als Grundlage einer Superintelligenz, deren einzige Grenzen die seit Gödel bekannten Grenzen des Berechenbaren sind.
Und ich bin natürlich stolz auf die tiefen rückgekoppelten neuronalen Netze, die mein Team mit meinen unglaublich tollen Doktoranden seit den frühen 90ern in München und der Schweiz entwickelt hat und die nun Milliarden von Nutzern zugänglich sind, etwa bei der Übersetzung von einer Sprache in die andere oder der automatischen Bildbeschreibung.
Zur Person
Jürgen Schmidhuber ist wissenschaftlicher Direktor des Schweizer Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz IDSIA und Professor für Artificial Intelligence an der Universität Lugano. Zuvor leitete er das Cognitive Robotics Lab an der TU München.
Außerdem ist er Mitgründer und Präsident von NNAISENSE, einem Start-up, das praxistaugliche KI-Systeme entwickeln will (https://nnaisense.com).
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