Warum Digitalisierungsprojekte scheitern

Im Gespräch mit Uwe P. Kanning von der Hochschule Osnabrück

von - 08.05.2020
Prof. Dr. Uwe P. Kanning
Prof. Dr. Uwe P. Kanning: Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück
(Quelle: Hochschule Osnabrück )
Uwe P. Kanning vom Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück erklärt, warum Mitarbeiter-Motivation eigentlich ganz einfach ist - und warum Manager die Erkenntnisse der psychologischen Forschung konsequent ignorieren.
com! professional: Herr Professor Kanning, warum scheitern so viele Digitalisierungsprojekte?
Uwe P. Kanning: Häufig liegt es einfach da­ran, dass die Mitarbeiter nicht mitziehen. In manchen Fällen sind es auch schlichtweg Managementfehler, die zum Scheitern führen.
com! professional: Gehen wir mal davon aus, dass die Managemententscheidung sinnvoll und richtig war. Warum erkennen Mitarbeiter das nicht? 
Kanning: Viele erleben solche Digitalisierungsprojekte als Bevormundung. Die Mitarbeiter arbeiten vielleicht schon seit Jahren oder Jahrzehnten in ihrem Job. Ihrer Ansicht nach läuft alles sehr gut. Und jetzt kommt jemand von ganz oben, vielleicht vier Managementebenen über ihnen, und erklärt ihnen, dass sie alles anders machen müssen. In der Psychologie würde man sagen, dass sie so etwas wie Reaktanz erleben. Sie werden gezwungen, etwas zu verändern, was sie gar nicht verändern wollen. Das führt erst einmal zur Gegenwehr. Oft verstehen die betroffenen Mitarbeiter auch gar nicht, was von ihnen erwartet wird, oder - ganz pragmatisch - sie haben einfach Angst um ihren Arbeitsplatz. Das ist absolut nicht irrational. Ziel vieler Digitalisierungsprojekte ist ja eine Effizienzsteigerung, sprich: mit weniger Mitarbeitern soll mehr erreicht werden.
com! professional: Was sollen die Verantwortlichen tun? 
Kanning: Das ist im Grunde ganz einfach. Ich muss die Menschen ernst nehmen. Es ist sehr wichtig, von Anfang an im engen Dialog mit den Mitarbeitern zu stehen. Ich muss verständlich machen, warum Veränderung notwendig ist. Ich muss den Betroffenen erklären können, welche Vorteile sie davon haben. Ich muss die Mitarbeiter in den Veränderungsprozess einbinden und ihre Ideen mit aufnehmen. Die Mitarbeiter an der Basis kennen die Prozesse und die möglichen Probleme sehr viel besser als das Management drei Ebenen da­rüber. Dieses wertvolle Wissen darf ich nicht ignorieren. In größeren Unternehmen ist es zu empfehlen, umfangreiche Veränderungsprozesse durch regelmäßige Mitarbeiterbefragungen zu begleiten, um herauszubekommen, was an der Basis überhaupt angekommen ist, wie die Stimmung ist und wo es Ängste gibt. Es muss auch klar sein, dass man nicht jede Seele retten kann. Ich werde nicht jeden überzeugen können. Das geht vielleicht noch in einem kleinen Betrieb mit zehn Mitarbeitern, aber nicht in einem Fünftausend-Mann-Unternehmen. Wenn Arbeitsplätze wegfallen, bringt es nichts, die Leute anzulügen. Hier gilt es, Unterstützung, Hilfe und Alternativen anzubieten. Manche Mitarbeiter können vielleicht umgeschult werden, andere über eine Altersteilzeitregelung früher in den Ruhestand gehen.
com! professional: Wie kann man Menschen überhaupt dazu bringen, ihr Verhalten langfristig zu ändern?
Kanning: Eine Möglichkeit, ist das Management by Objectives. Ich sage den Mitarbeitern nicht, was sie wie zu tun haben, sondern welche Ziele erreicht werden sollen.
com! professional: Wie müssen Ziele aus Sicht der Forschung beschaffen sein, damit sie auch wirksam sind?
Kanning: Sie müssen konkret und in einem überschaubaren Zeitraum erreichbar sein. Größere Projekte sollte man in mehrere Abschnitte mit definierten Teilzielen einteilen. Es muss auch klar sein, welchen Beitrag jeder Einzelne dazu leisten muss. Die Ziele müssen herausfordernd sein, dürfen die Mitarbeiter aber auch nicht überfordern. Ein weiteres wichtiges Element ist Feedback. Es muss regelmäßig überprüft werden, ob das Projekt noch auf dem richtigen Weg ist, und, falls es zu Abweichungen kommt, mit welchen Maßnahmen gegengesteuert werden kann. Und der Mitarbeiter muss etwas davon haben, wenn er sich für die Zielerreichung anstrengt, etwa weil er damit seinen Arbeitsplatz sichert. Auch finanzielle Anreize können motivierend sein.
com! professional: Warum verstecken sich Manager dann lieber hinter Modellen und Coaching-Methoden, statt diesen Empfehlungen zu folgen?
Kanning: Wenn ich Mitarbeiter ernst nehme, mir ihre Sorgen, aber auch ihre Ideen anhöre und im Projekt berücksichtige, dann ist das viel mehr Arbeit als sie einfach auf ein Motivationsseminar zu schicken. Es besteht auch die Gefahr, dass ich unangenehme Wahrheiten zu hören bekomme, Fehler eingestehen und meine Denkweise korrigieren muss. Für Manager alter Schule ist das schwierig. Sie sind es gewohnt, den Kurs vorzugeben, dem die anderen ohne Murren folgen. Da ist es einfacher zu sagen, das Problem sind die anderen, und die müssen jetzt mal geschult werden. Diese Vorstellung, dass man Probleme löst, indem man seine Leute auf ein Tagesseminar schickt, ist ja weit verbreitet.
com! professional: Fehlt nicht häufig auch das Wissen, welche Maßnahmen wirklich sinnvoll sind?
Kanning: Das ist leider so. Selbst in den Personalabteilungen liest man die einschlägige Literatur nicht. Ich beschäftige mich in meiner Forschung viel mit dem Thema Personalauswahl. Da werden auch heute noch völlig verrückte Maßnahmen durchgeführt, deren Wirkungslosigkeit schon seit Jahrzehnten gut dokumentiert ist.
com! professional: Aktuell wird ja viel über agile Methoden im Projektmanagement geredet und geschrieben. Ist das Esoterik?
Kanning: Nein, da ist etwas dran. Im Kern stimmt es ja, dass Unternehmen schneller, flexibler und innovativer werden müssen. Über Agilität sollte man sich Gedanken machen, zumindest in Konzernen und bei großen Mittelständlern. Ob der Friseursalon, die Frittenbude oder die Bäckerei agil werden müssen, weiß ich nicht. Wie beim Change-Management lautet die Frage: Wie setze ich das um? Die Gefahr ist groß, dass unter dem Label Agilität zweifelhafte Methoden, Coachings und Trainings angeboten werden.
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