Bald geht’s los mit Industrie 4.0

Baumaschinen in Sibirien

von - 01.02.2017
Digitalisierung
Quelle: PwC (n = 2000)
Zühlke hat für den Baumaschinenhersteller Liebherr ein Webportal konzipiert, mit dem sich zum Beispiel Baumaschinen im fernen Sibirien von der warmen Firmenzentrale aus überwachen lassen. Ein Funkmodul übermittelt per GPRS Zustands- und Betriebsdaten wie die geografische Position, den Kraftstoffverbrauch, Fehlerzustände und Service-Infos. Da die Baumaschinen von Liebherr weltweit im Einsatz sind, wurde ein Funk-Provider gewählt, der eine weltweite Mobilfunkabdeckung garantieren kann.
Ein zweiter IoT-Case: Für das Schließtechnikunternehmen dorma+kaba hat Zühlke die Sicherheits- und Zutrittslösungen miteinander vernetzt. Beide Industrieprojekte markieren laut Inniger einen wichtigen Trend: Ehemalige Geräte- und Lösungsverkäufer entwickeln sich zu Dienstleistungsanbietern.
Gert Brettlecker, Teamleiter Enterprise Solutions bei Ergon Informatik, sieht das ganz genauso: „Nehmen Sie zum Beispiel die Schweizer Maschinenindustrie, die bisher Maschinen verkauft und Dritten die dazu notwendigen Services überlassen hat.“ Ein solches Vorgehen funktioniert bald nicht mehr. Eine Maschine zu verkaufen und sich dann auf den Geht-mich-nichts-mehr-an-Standpunkt zu stellen, sei in einer vernetzten Welt nicht mehr haltbar. „Maschinenhersteller müssen sich in Zukunft überlegen, wie sie selbst mit Dienstleistungen Geld verdienen können.“
Roland Anderegg
Fachhochschule Nordwestschweiz
www.fhnw.ch
„Individuelle Fertigung – so richtig schafft das noch niemand.“
Das sei alles andere als leicht. Effizienzgewinne zu realisieren, die sich dann auch sofort auf die Kosten-Nutzen-Rela­tion der Produktion auswirken, gehören noch zu den „low hanging fruits“. Das Potenzial smarter Produkte und neuer Geschäftsmodelle einzuschätzen, ist dagegen bedeutend schwieriger. Brettlecker rät, mit kleinen Beispielanwendungen zu starten und bei Erfolg nachzulegen. „Kleinere kundenspezifische Software-Lösungen sind aktuell wahrscheinlich besser geeignet als der große Totalumbau mit hohen Kosten und ungewissem Ausgang.“

Vier-Schritte-Plan

Das Applikationszentrum Industrie 4.0 des Fraunhofer-Instituts für Prozesstechnik und Automatisierung (IPA) hat einen Vier-Schritte-Plan entwickelt, der KMUs helfen kann, sich dem Thema und der damit verbundenen betrieblichen Neugestaltung Schritt für Schritt zu nähern:
Schritt 1: An erster Stelle steht die Digitalisierung der Wertschöpfungssysteme. Die relevanten Daten aller Bestandsmaschinen stehen in aktueller, korrekter Form bereit.
Schritt 2: Durch die Daten, deren Analyse und Visualisierung erfährt der Mensch als Dirigent physische und kogni­tive Unterstützung. Infolgedessen steigt die Arbeits-, Planungs- und Entscheidungsqualität signifikant.
Schritt 3: Das Unternehmen kann personalisierte Produkte erzeugen. Neue Werkzeuge und Fertigungsverfahren unterstützen die intelligente Konfiguration und die fähigkeitsbasierte Maschinenzuordnung bis zur Herstellung.
Schritt 4: Die Produktion wird autonom und die Fabrikhalle zur Smart Factory. Neue Auswertungsalgorithmen ermöglichen es, die Auftragsabwicklung zu automatisieren. Die Produktion optimiert sich selbst.
Die smarte, sich selbst optimierende Fabrik ist erst in Teilen realisiert. Weit fortgeschritten ist das Siemens-Vorzeigewerk im bayrischen Amberg, das – so der Betreiber Siemens – zu 99,99885 Prozent fehlerlose elektronische (Simatic-)Steuerungen produziert. Es soll kein vergleichbares Werk auf der Welt geben, das eine derart niedrige Fehlerquote hat.
75 Prozent der Wertschöpfungskette bewältigen Maschinen und Computer eigenständig, ein Viertel der Arbeit wird von Menschen erledigt. Jährlich verlassen 12 Millionen Simatic-Produkte das Werk.
Für Roland Anderegg, Dozent für Mechatronik am Institut für Automation der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), ist die personalisierte Fertigung (oben Schritt 3) das nächste ganz große Ding. Das Stichwort heißt Losgröße 1, das heißt Fertigungsstraßen, die eigentlich für die Massenproduktion entwickelt worden sind, sollen zukünftig mit Hilfe von Sensoren und Aktoren für die Fabrikation individueller Einzelstücke eingesetzt werden. Hundertprozentig schaffe das heute noch niemand, meint Anderegg. Der Ablauf in der Fertigung sei noch weitgehend starr und damit auf Serienprodukte fokussiert. Bereits zum Einsatz kämen Fertigungsmaschinen, die sich selbst korrigieren, Soll und Ist miteinander abgleichen und dafür sorgen, dass ein Bauteil innerhalb eines Toleranzbereichs produziert wird. Dadurch reduziert sich der Ausschuss und die Produktionskosten sinken.
Verwandte Themen