Kommentar

Ihr sollt Retouren vermeiden, und nicht die Kunden wegsperren!

von - 09.06.2023
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Die Sperrung von 42.000 Kundeninnen aufgrund ihrer Retouren führt zu frenetischem Jubel in der Branche, was bei unserem Redakteur zu wachsendem Entsetzen führt. Denn diese Reaktion führt völlig auf den Holzweg. Ein Kommentar von IW-Redakteur Jochen G. Fuchs.
Mit wachsendem Entsetzen beobachte ich, wie in der Branche die Sperrung von 42.000 KundInnen aufgrund zu hoher Retourenraten zu begeisterten Beifallsstürmen führt. Frei nach dem Motto "Juhuu! Endlich macht mal jemand etwas gegen diese miesen KundInnen, die ständig Ware zurücksenden". Um es gleich deutlich vorwegzunehmen: es geht mir weniger um die unternehmerische Entscheidung von Boozt, auch wenn ich gleich exemplarisch einen Blick auf deren Onlineshop werfen werde - als um die Tatsache, dass der frenetische Jubel über die Kundensperrung dazu führt, dass der digitale Handel das eigentliche Ziel aus den Augen verliert: Retouren, und nicht die Kundinnen, zu vermeiden.

Boozt sperrt 42.000 KundInnen - ergibt das Sinn?

Ob das betriebswirtschaftlich sinnvoll war oder nicht, das weiß letztlich nur das Management, öffentlich zugängliche Kennzahlen zu den, Zitat, "auf unbestimmte Zeit gesperrten" KundInnen gibt es nicht. Gut möglich, dass das schwedische Unternehmen "nur" die Kundinnen gesperrt hat, deren Customer-Lifetime-Value gen Null geht, weil sie nur wenig kaufen und extrem viel oder gar alles retournieren. Über solche "KundInnen" ließe sich schlecht streiten.
Wieso kommuniziert das Unternehmen eine solche Entscheidung, die normalerweise stillschweigend getroffen wird, aber so offensiv? Reine PR, frei nach dem Motto "Hauptsache im Gespräch?" Wahrscheinlicher ist für mich, dass Boozt einerseits hofft, dass andere Retailer dem Beispiel folgen und die Akzeptanzschwelle für Retouren-Strafmaßnahmen gesenkt wird, andererseits könnte das Unternehmen vielleicht ein "abschreckendes" Signal an Kundinnen senden wollen.
Auch ein wenig Greenwashing dürfte eine Rolle spielen, schließlich brüstet sich Boozt ja damit, durch die Maßnahme 791 Tonnen CO2 eingespart zu haben. Laut DHL entstehen rund 500g CO2 pro Retourenpaket, dementsprechend hätten die 42.000 gesperrten Kundinnen jeweils rund 37 Sendungen retourniert, hochgerechnet wären das 1,5 Millionen Rücksendungen. Boozt hat angegeben, dass die Rücksendungen der gesperrten KundInnen 25 Prozent der gesamten Rücksende-Menge ausgemacht haben, damit würden bei Boozt rund 6 Millionen Retouren im Jahr abgewickelt. 
Ein Unternehmen, das sich mit CO2-Einsparungen durch Kundensperrungen brüstet, muss sich die Frage gefallen lassen, ob es denn sonst genug Maßnahmen ergriffen hat, um Retouren zu vermeiden?

Boozt hat noch jede Menge Potential zur Retourenvermeidung

Wieso der Suchmaschine von Boozt zu dem Suchbegriff "Herren Hose" absolut nichts einfällt, ist ein Mysterium, dass wir an einem anderen Tag lösen. 
Wieso bei meiner stichprobenartigen Suche bei Boozt nach Herrenhosen auf keiner Produktdetailseite Maßangaben zu Hüfte, Taille oder Schenkelinnenseite zu finden sind, sondern nur Herstellergrößentabellen, keine Angaben zur Passgenauigkeit der Passform zu finden sind und es keinen Größenberater gibt, wären hingegen Fragen, die ich jetzt stellen will.
Ja, es nervt, dass die Fashionindustrie sich nicht auf einheitliche Größen einigen kann. Ja liebe Fashionindustrie, alle Größenprobleme lassen sich nicht beheben. Ja, liebe HändlerInnen, das ist nicht eure Schuld, aber so wie Boozt das macht, hilft es niemandem. Zum Vergleich: About You bietet Kunden einen interaktiven Größenberater, eine Umrechnung von inch in cm und bietet darüber hinaus zusätzlich zur Herstellertabelle eine eigene, generalisierte Größentabelle an. Außerdem gibt About You an, welche Kleidergröße das Model auf dem Produktfoto trägt und wie groß das Model selbst ist.  Amazon wertet zusätzlich Retourenangaben der KundInnen aus und gibt an, ob die Kleidungsstücke größer oder kleiner ausfallen.
Laut Aussage des Unternehmens retournierten die 42.000 gesperrten Boozt-KundInnen entweder, weil die Kleidung nicht gepasst hat, oder weil sie "den Kauf bereut haben". Zumindest der Grund "Kleidung hat nicht gepasst" erscheint gerade verständlicher.

Gebt KundInnen keinen Grund für eine Retoure

Boozt sollte lieber seine Hausaufgaben machen und zur Vermeidung von Retouren nicht nur ein Preisschild von 4,49 Euro an die Rücksendung der Bestellung kleben, sondern Kundinnen auch besser bei der Kaufentscheidung unterstützten. Wenn die Kleidung passt, gibt es vielleicht gar keinen Grund für eine Retoure.
Und die Digitalbranche hat noch lange nicht alle Register gezogen, die zur Verfügung stehen, um Retouren zu vermeiden. Statt Maßnahmen zur offensiven Retourenverhinderung frenetisch zu bejubeln, sollten HändlerInnen sich lieber darauf konzentrieren, Rücksendegründe abzubauen.
Die schwarzen Schafe, die wirklich missbräuchlich retournieren, die können auch stillschweigend ausmanövriert werden. Schwarze Schafe wird es leider immer geben, daran lässt sich auch mit öffentlich zelebrierten "abschreckenden Erziehungsmaßnahmen", die bestenfalls rechtschaffene KundInnen abschrecken, wenig ändern. Dass Retourenquoten unternehmerisch gesteuert und gesenkt werden müssen, steht außer Frage. Aber es gibt andere Methoden, um Retouren zu vermeiden und Retourenkosten zu senken.
Eine einfaches und transparentes Retourenangebot war einer der Schlüsselfaktoren, die den Onlinehandel erst als Alternative zum stationären Einzelhandel etabliert haben. Heute ist es eine wichtige, vertrauensbildende Maßnahme, die zu mehr Umsatz führt. Und nicht Satans Ausgeburt aus der Hölle, die mit Feuer und Schwefel bekämpft werden muss.
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