Logistik für den Online-Handel

Kennen Sie Hermes Border Guru?

von - 29.09.2021
Foto: Hermes
Die Hermes-Tochter setzt als grenzüberschreitender E-Commerce-Dienstleister auf die Low-Code-Plattform von OutSystems.

Wer kennt noch Neckermann? Oder Quelle? Ein paar Jahrzehnte lang waren diese Unternehmen führende deutsche Kataloganbieter, die mit ihrem Paketversand (und Ratenzahlung) maßgeblich zum „Wirtschaftswunder“ der jungen Bundesrepublik beigetragen hatten. Irgendwie haben sie dann das Internet und seine neuen Kauf- und Liefermöglichkeiten verschlafen und waren dem Ansturm von Amazon unterlegen. Eine ganze Branche von großen und kleinen Bestell- und Versandfirmen hat fast über Nacht das Zeitliche gesegnet.
Dabei eröffnet die Digitalisierung gerade auch kleineren und mittleren Versandunternehmen neue Möglichkeiten, wie das Beispiel von Hermes und seinem Dienstleistungszweig Hermes BorderGuru zeigt. Zwar sind mit dem Ausgreifen des Internetversands von Gütern in andere Länder neue Absatzräume entstanden, doch mit den bestehenden Grenz- und Finanzvorschriften über den EU-Raum oder andere Handelszonen hinaus kommt es auch zu neuen Komplikationen. Dies zeigt in besonderer Weise Großbritannien mit seinem harten EU-Austritt, dessen Konsequenzen erst allmählich sichtbar werden.
Mal eben etwas bequem vom Sofa oder Küchentisch aus online bestellen und schon am nächsten Vormittag geliefert bekommen, ist in manchen (privilegierten) Regionen der Welt schon zum Standard geworden – inklusive der vom Monopolisten Amazon garantierten Niedrigpreise und geringen Lieferkosten. Innerhalb der (Landes-)Grenzen von Amazon Prime auch fast zum Nulltarif.

Handel mit Hermes

Die Hermes Gruppe innerhalb der Otto Group bezeichnet sich selbst als „internationalen Handels- und Logistikdienstleister“ mit Spezialisierung auf „handelsnahe Dienstleistungen“. Man ist Partner „zahlreicher Distanzhändler, Multi-Channel-Händler und Online-Retailer im In- und Ausland“. Das Geschäft dreht sich um Services „entlang der Wertschöpfungskette des Handels vom Transport inklusive Im- und Exporte über Fulfillment sowie Paketservice bis hin zum Zwei-Mann-Handling“.
Das Hermes-Logistik-Zentrum in Mainz.
(Quelle: Hermes )
Zur Hermes Gruppe gehören unter anderem Hermes Germany, Hermes Fulfillment sowie Landesniederlassungen in Frankreich, UK, Österreich und Russland. Im Geschäftsjahr 2020/2021 wurde ein Gesamtumsatz von 2,54 Milliarden Euro erzielt. Die Mitarbeiteranzahl beträgt über 18.000, es gibt 45.000 Paketshops und es wurden über eine Milliarde Sendungen gezählt.
Die interne Arbeitsteilung der Hermes Gruppe sieht drei Bereiche vor:
  • Transport Logistics: Hermes Germany (SCS) ist seit über 40 Jahren in der Logistik für viele Branchen tätig. Je nach Branche werden spezialisierte Zusatzdienstleistungen angeboten.
  • Global E-Commerce: Besteht aus den drei Organisationen Hermes Fulfillment (komplette Versandprozesskette für alle Handelsgesellschaften der Otto Group), Hermes NexTec (Fullservice für Online-Shops; ansässig in Chicago) und Hermes BorderGuru.
  • Distribution: Hermes Germany, Hermes Einrichtungsservice, Hermes UK, Hermes Österreich, Mondial Relay (Kooperation für Paketversand in Frankreich), Hermes Russia.
Hermes BorderGuru mit Sitz in Hamburg ist innerhalb dieser Organisationsstruktur weltweit zuständig für Services im Bereich E-Commerce-Händler und international agierende Markenhersteller. Das Angebot besteht unter an derem aus Dienstleistungen für Logistik, Zahlungssysteme und Zollabwicklung. Unternehmen können damit ihr Warensortiment global vertreiben und bis zur „letzten Meile“ in verschiedenen Kontinenten und Ländern ausliefern. In den Worten von Hermes: „Angeboten wird der Service über einen ,Shipping-Client‘, welcher in den Online-Shop des Händlers integriert wird. Dieser informiert den Endkunden transparent über alle entstehenden Kosten – Zoll, Transport, Steuer – und koordiniert den Versand ebenso wie die Zahlungsprozesse. Auch das Retournieren von Sendungen ist über das System möglich.“ BorderGuru arbeitet international mit verschiedenen Partnern zusammen und soll zu einem „führenden Anbieter in der internationalen E-Commerce-Logistik“ werden.

Mit BorderGuru international bestehen

Jörn von der Fecht,
Teamlead Global Carrier & Client Solutions bei Hermes BorderGuru, beschreibt die Arbeit seines Teams so: „Hermes BorderGuru besitzt mit seinen zur Zeit 25 IT-Mitarbeitern keine eigene Infrastruktur. Unsere Anwendungen werden in den Clouds von AWS und Google sowie bei weiteren Partnern gehostet. Wir entwickeln unsere Systeme auf der Basis von klassischen Plattformen wie Java, nutzen aber auch die Low-Code-Umgebung von OutSystems für bestimmte Aufgaben. Nach einer Explorations- und Testphase, in der wir auch konkurrierende Produkte wie Mendix oder Microsoft PowerApps geprüft haben, fiel schließlich die Entscheidung für OutSystems.“
Die operative Umsetzung des Versandgeschäfts war ursprünglich nur auf Deutschland und den EU-Raum beschränkt, wurde aber allmählich auf andere Wirtschaftsräume und Kontinente erweitert. Durch den Austritt Großbritanniens aus der EU ist eine neue Dynamik in diesem Geschäft entstanden. Bisherige Regelungen gelten nicht mehr und müssen ersetzt werden.
Jörn von der Fecht
Teamlead Global Carrier & Client Solutions bei Hermes BorderGuru
Foto: Hermes
Hermes BorderGuru besitzt mit seinen zur Zeit 25 IT-Mitarbeitern keine eigene Infrastruktur.
BorderGuru ist nicht selbst für den Hermes-Versand verantwortlich, sondern entwickelt in Kooperation mit der eigentlichen IT-Abteilung die notwendigen IT-Systeme für die immer wichtiger werdende Internationalisierung des Geschäfts. Der weltweite Versand per Luftfracht, Label-Checking, Grenz- und Zollformalitäten und schließlich die Paketzustellung unter den jeweiligen örtlichen Bedingungen erfordern spezielle Tools.
Forrester platziert OutSystems unter den „Leaders“ bei den Low-Code-Development-Plattformen.
(Quelle: OutSystems )
Low-Code-Anwendungen sind in diesem Bereich besonders wichtig, da sie schon weitgehend vorfabriziert sind und den IT-Entwicklern viele Aufgaben abnehmen oder sich auf einfache Art und Weise modifizieren lassen. Neben OutSystems tummeln sich auf diesem Markt Anbieter wie Salesforce, Microsoft, Mendix, Appian, ServiceNow oder Oracle (siehe Abbildung „Magic Quadrant for Enterprise Low-Code Application Platforms“ oben).

Schneller mit Low Code

Von der Fecht erklärt die praktische Arbeit mit OutSystems: „Der Hersteller bietet uns eine Entwicklungsplattform mit Low-Code-Ansatz. Das Charmante daran ist der Faktor Time-to-Market: Die Plattform bietet schon von Haus aus ziemlich viel, was sonst bei einer klassischen Entwicklungsumgebung erst im Einzelnen aufgebaut werden muss – darunter die Infrastruktur für so ein Projekt oder die Grund-Repository für Ablage und Weiterentwicklung sowie für die benötigten Phasen von Deployment, Test und Production. OutSystems bringt dafür schon ein Gerüst mit.”
Das bedeute, dass die Basis für die Entwicklungsarbeit schon vorhanden sei. Von der Fecht ergänzt: „Die Entwicklungsumgebung (IDE) – bei OutSystems als ,visuelles  Service-Studio‘ bezeichnet – wirkt so ähnlich wie eine moderne Software von Excel oder Access. Dort konnte man schon früher beliebige Oberflächen zusammenklicken, ein paar Prozesse festlegen oder auch ein Datenbank-Modell hinterlegen. Und sehr schnell hatte man auf diese Weise eine kleine neue Anwendung zusammengestellt. OutSystems geht noch viel weiter, baut etwa auch Konnektoren mit ein – zum Beispiel einen Google Connector für Google-Services. Die Einbindung von eigenen Applikationen gelingt auch sehr einfach, beispielsweise durch die Integration bereits bestehender APIs.“
Code – Low Code – No Code
Die Entwicklung ist nicht bei Low Code stehen geblieben. Der jüngste Begriff aus der Szene lautet No Code – und hat für Verwirrung gesorgt. OutSystems grenzt im Paper „Low Code and No Code: What’s the Difference and When to Use What?“ beides voneinander ab.
Low Code ist demnach eine Möglichkeit für Entwickler aller Qualifikationsstufen, Anwendungen schnell und mit einem Minimum an manueller Programmierung zu erstellen, indem sie visuelle Blöcke von bestehendem Code per Drag and Drop in einen Workflow ziehen.
No Code wiederum bietet ebenfalls eine visuelle Drag-and-Drop-Entwicklung. Im Gegensatz zu Low Code richtet sie sich vor allem an Geschäftsleute oder IT-Mitarbeiter, die keine Programmiersprachen beherrschen, aber eine Anwendung für einen bestimmten Anwendungsfall entwickeln wollen – oft für ihre Abteilung.
Mit einer Plattform wie der von OutSystems – oder einem der konkurrierenden Angebote – ist der Aufwand, um eine Webseite oder ein Programm zum Laufen zu bringen, nur noch gering. Das bietet gerade beim Prototyping, bei dem man zunächst nur ein paar Neuerungen ausprobieren will, eine optimale Unterstützung, berichtet von der Fecht. Ein Mitarbeiter in der Entwicklung könne erst einmal etwas schnell und unverbindlich ausprobieren und bekommt ein sichtbares Ergebnis. Man müsse nicht vorher eine geeignete Infrastruktur für solche Tests aufbauen, sondern könne unmittelbar loslegen. Das spare Ressourcen und die Entwicklungsmannschaft könne klein gehalten werden.
Von der Fecht verweist darauf, dass man jetzt hauptsächlich an der IT-Entwicklung von Software-Lösungen für die Abwicklung des Warenverkehrs im internationalen E-Commerce-Business mit Ländern außerhalb der Europäischen Union arbeitet: „Immer wenn neue Zollgrenzen, -steuern und sonstige  Formalitäten ins Spiel kommen, vergrößert sich die Komplexität in der Supply-Chain des Versands von Waren.“
Und der internationale Handel über solche Begrenzungen hinweg gebe genug zu tun, um in der Konkurrenz zu bestehen: „Zur Zeit kūmmern wir uns hauptsächlich um den Warenverkehr aus und nach Asien und in die USA . Nach dem Austritt aus der EU wird auch Großbritannien immer wichtiger.“ Dazu gehen Hermes und Hermes BorderGuru verschiedene Kooperationen ein: Es geht um Dauer, Zuverlässigkeit und Kosten des Versands und seine IT-gestützte Umsetzung. „In den Zielländern arbeiten wir mit lokalen Partnern für die letzte Meile zusammen. Umgekehrt übernehmen wir zusammen mit Hermes und Partnern die operative Umsetzung des Warenverkehrs hierzulande und in der EU“, so von der Fecht.

Was Low Code leistet

Komplexe traditionelle Programmiersprachen wie C++, Java, Visual Basic oder Python – um nur einige zu nennen – sind keineswegs aus der Mode. Sie sind nicht leicht zu erlernen und anzuwenden, haben aber noch immer ihre Bedeutung in der Welt der Software-Entwicklung. Doch Low Code und No Code haben begonnen, sie auf einigen Gebieten abzulösen oder wenigstens zu ergänzen. Laut OutSystems können Low-Code-Entwickler alle Anwendungsebenen durch „ein einziges Skillset und eine visuelle Entwicklungsumgebung umsetzen“. Das gesamte Datenmodell, einschließlich aller Datentabellen und Attribute, werde in einem herstellerneutralen Modell exakt in einer Datenbank hinterlegt: „Geschäftslogik und Workflows können schnell und intuitiv modelliert werden. Von einfachen bis zu komplexen Logik-Flows kann OutSystems alle Anwendungsfälle abdecken.“
Dazu müsse man – so OutSystems – kein ausgebildeter Software-Entwickler sein. Die Erstellung einer „ansprechenden Benutzeroberfläche (UI) sowie eines ansprechenden Nutzungserlebnisses (UX)“ werde den Interessenten durch über Hundert vorgefertigte Widgets und Screen-Vorlagen leichtgemacht. Der Hersteller selbstbewusst: „Mit OutSystems stoßen Sie und Ihre Teams an keine Grenzen. Alle Anwendungsbereiche können durch existierenden Code oder durch Anbindung jeglicher externer Systeme oder Datenbanken erweitert werden.“ Auch REST- und SOAP-APIs könnten ohne Schreiben einer einzigen Code-Zeile konsumiert und auch freigegeben werden. Zudem erlaubten über 3000 Open-Source-Komponenten die schnelle Anbindung gängiger Cloud-Dienste.
Die Marken von Otto
Praktisch der gesamte klassische Versandhandel ist tot, wāhrend es gleichzeitig einen eindeutigen Sieger auch in Deutschland gibt. Amazon hat offenbar vieles richtig gemacht. An die Wand gedrückt und zum Aufgeben gezwungen wurden dagegen einige der größten deutschen Versand- und Katalogverkäufer, die die deutsche Nachkriegszeit bis in die 80er-Jahre hinein geprägt hatten. Neckermann und Quelle existieren noch als Namen, gehören aber zum Konglomerat der Otto Group, die unter vielen anderen auch Marken wie Baur, Heine, Hermes Europe, Schwab oder Manufactum in Deutschland und die renommierte Einrichtungs- und Lifestylegruppe Crate and Barrel in den USA beherbergt.
Teil von Hermes ist Hermes BorderGuru. Otto verkaufte im Sommer 2020 einen Teil von Hermes an den Private-Equity-Fonds Advent International aus den USA (75 Prozent von Hermes UK und 25 Prozent von Hermes Deutschland) – laut Presse­meldung der Otto Group ein „Beweis für die Attraktivität dieses Marktsegments“. Die Marke Neckermann ging 2012 an den Otto-Versand und existiert nun als Online-Shop unter www.neckermann.de. Gleiches passierte 2013 mit der Marke Quelle, die vom Baur-Versand (ebenfalls Teil der Otto Group) weitergefūhrt wird.
Die Analysten von Gartner und Forrester haben sich in jüngster Zeit intensiv mit dem Low-Code-Ansatz von Out-Systems und seinen Konkurrenten befasst. Im Mai 2021 schreibt Forrester in seinem Report „The Forrester Wave: Low-Code Development Platforms For Professional Developers“: „OutSystems ist die Wahl der Entwickler – und ein Liebling der Systemintegratoren. OutSystems ist seit Langem führend auf dem Low-Code-Markt und bringt eine einzigartige Vision mit, die Kunden auf seiner Plattform zu ,Elite-Software-Performern‘ zu machen. Führende Systemintegratoren nutzen es für reine Low-Code-Implementierungen und zentrale Anwendungsprojekte, und das Unternehmen genießt eine erhebliche Marktpräsenz und Glaubwürdigkeit.“ Als einzige strategische Schwäche von OutSystems macht Forrester die Tatsache aus, dass es ein unabhängiger Anbieter sei und deshalb nicht über die Ressourcen und/oder das Ökosystem der anderen Marktführer verfüge.
Laut Forrester verglich ein Referenzkunde OutSystems sogar mit dem Erlebnis, einen Porsche statt eines einfachen Autos zu fahren. Das Produkt verfüge über überlegene Tools für die Entwicklung der User Experience, die Datenmodellierung und -verwaltung, die mobile Entwicklung sowie die Unterstützung von Entwicklungsprozessen und die Zusammenarbeit – „alles untermauert durch führende Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI)“.
Paulo Rosado
CEO OutSystems
Foto: OutSystems
Wir wollen es jedem Unternehmen ermöglichen, durch Software innovativ zu sein.
Im Gartner-Report  „Magic Quadrant for Enterprise Low-Code Application Platforms“ vom September 2020, der einen gleichnamigen Bericht von 2019 ersetzt, heißt es: „OutSystems ist ein Leader in diesem Magic Quadrant. Seine LCAP (Low-Code Application Platform) ist die OutSystems-Plattform, die Cloud-, On-Premise- und Hybrid-Lösungen unterstützt. OutSystems konzentriert sich auf die Entwicklung von Unternehmensanwendungen für eine agile und kontinuierliche Kundenbelieferung. Das Unternehmen ist vor allem in Europa und Nordamerika tätig, zeigt aber auch eine zunehmende Präsenz in APAC.“
Die Kunden kommen hauptsächlich aus diesen Regionen und sind laut Gartner in der Regel große Unternehmen aus den Bereichen Dienstleistung, Produkte und öffentlicher Sektor.
Ohne ausgeklügelte Software-Anwendungen läuft in Logistik-Zentren wie denen von Hermes nichts mehr.
(Quelle: Hermes )
Einschränkend schreiben die Gartner-Analysten: „OutSystems wird tendenziell mehr von professionellen Entwicklern bevorzugt, während die meisten Low-Code Application Platforms eine eher gemischte Entwickler-Mannschaft ansprechen. Im Bereich des technischen Supports waren die Gartner-Peer-Insights-Rezensenten im Allgemeinen positiv gestimmt, aber einige wenige gaben OutSystems vergleichsweise niedrige Noten für das Niveau des angebotenen Supports.“
FIRMA
OutSystems
Gegründet: 2001 in Lissabon
Sitz: Boston
Umsatz: 100 Mio. Euro (2018)
Mitarbeiter: 1500 (weltweit)
Community Members: über 435.000
Partner: rund 350
Offices: in 87 Ländern
Investoren: KKR, Goldman Sachs, Guidepost, Armilar, Abdiel, TigerGlobal
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