Tech-Companies hui, Politik pfui

Ist nur die Politik schuld?

von - 06.05.2016
Beim Thema Leaks darf natürlich einer nicht fehlen: Edward Snowden, live aus dem russischen Exil zugeschaltet, mit tosendem Applaus begrüßt. Doch auch auf der völlig überlaufenen Stage 6 gab es am Montagmittag nur ein Learning: Im Osten nichts Neues. Dennoch erntete Snowden für seine zum gefühlt tausendsten Mal heruntergebeteten Vergleiche (Wer sagt, er brauche keine Privatsphäre, weil er nichts zu verstecken hat, kann auch sagen, er brauche keine Meinungsfreiheit, weil er nichts zu sagen hat) und Forderungen (Privatsphäre ist kein Recht des Einzelnen, sondern geht die Gesellschaft als ganzes etwas an) frenetischen Jubel (er war ein Held, das dürfte wohl genügen).
Nicht nur das Publikum hat wohl noch nicht so viel von Snowden gehört, um der immer gleichen Floskeln müde zu werden. Nein, auch die Veranstalter erweisen sich entweder als wenig gebildet, äußerst naiv oder aber scheinheilig, wenn es um die Details der Upstream- und PRISM-Enthüllungen geht. Microsoft, seit drei Jahren ein Hauptsponsor des Events, ist einer der ärgsten Wasserträger der NSA gewesen. Das beweisen Snowdens enthüllte Dokumente. Und auch wenn die Rolle der anderen am PRISM-Programm beteiligten Unternehmen nicht klar ist - die aktive Beihilfe, die Microsoft zum Ausspionieren von Millionen von Nutzern geleistet hat, ist es.

Verbrüderung mit dem eigentlichen Feind

Einen weiteren Sponsoren-Ausfall gab es meiner Meinung nach durch die Verbrüderung mit Eyeo, Betreiber des berühmt berüchtigten Adblock Plus. Das Browser-Plugin, das Publisher und Advertiser weltweit wahrscheinlich um Milliarden bringt, um sie dann mit Whitelisting-Modellen und geteilten Werbeerlösen zu "erpressen". Und nicht nur ist Eyeo Sponsor und bekommt eine Bühne. Das Kölner Unternehmen bekommt den Raum, sich als Retter einer Branche aufzuspielen, die es mit seinen "Mafia-Methoden" gehörig in die Bredouille gebracht hat. Dass ausgerechnet die als Blogger-Konferenz geltende re:publica ihre Seele an den "Teufel" Eyeo verkauft, ist mir ein Rätsel.
Eyeo präsentierte seine neue Adblock-Lösung Flattr Plus auf der re:publica
Überhaupt hatte ich bei all dem Schimpfen über Politik und Behörden (sehr oft zu Recht) ein wenig das Gefühl, die re:publica steht unter dem Motto "Tech-Companies hui, Politik pfui" und dem Eingeständnis, dass nunmal Geld die Welt regiert, keine Politiker. Denn mehr als hin und wieder kurze Warnungen, dass man allzu Persönliches vielleicht nicht bei Facebook oder überhaupt nicht im Internet posten sollte (wenn dann nur verschlüsselt) gab es nicht. Dass es auch am Tracking und Datensammeln vieler Unternehmen liegt, dass Diskurs und Themenvielfalt im Internet abnehmen, dass auch das zum Verlust der Privatsphäre beiträgt, wurde kaum thematisiert. Dann hätte man sich wohl auch Google, mit großem Stand und Datenschutz-Check vertreten, vertrieben. Damit ist auch die re:publica dabei, das zu kannibalisieren, was sie schützen will: ein freies und offenes Internet.

"Normal, dass Unternehmen ihre User ausspionieren"

Und schließlich konterkariert auch Snowden seine eigenen Forderungen. Nämlich dann, wenn er auf die Frage, ob die NSA oder Google und Facebook die größere Gefahr sei, antwortet: "Facebook kann uns nicht ins Gefängnis werfen oder mit Raketen auf uns schießen - zumindest noch nicht." Die Ausspionierung durch Regierungen sei gefährlich, die durch Unternehmen hingegen "normal". Wer sagt, Privatsphäre im Internet wäre nur vor der Regierung schützenswert, kann auch sagen, dass nur vor der Regierung Meinungsfreiheit herrschen muss, eine Meinungs-Zensur von Facebook hingegen "normal" ist. Und in diesem Sinne mit allem immer noch existierenden Pessimismus: Bye-bye offenes und freies Internet.
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