„Diese Geschäftsmodelle sind oft zweifelhaft“

„Facebook massakriert die Privatsphäre“

von - 09.02.2016
com! professional: Wenn es also nicht Neid ist, wo liegt dann Ihr Problem mit den Tech-Spitzenkräften?
Keen: Im Silicon Valley wird immer von Gleichheit, digitalen Chancen und Demokratisierung gesprochen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Mark Zuckerberg, Larry Page, Sergey Brin, Jeff Bezos und Konsorten besitzen mehrere Milliarden Dollar. Sie sorgen dafür, dass die Mieten in und um San Francisco für Normalbürger unerschwinglich werden. Kapitalismus ist natürlich kein Prob­lem, das im Silicon Valley entstand. Aber das Silicon Valley übt mittlerweile einen enormen Einfluss auf den Kapitalismus aus.
com! professional: Das klingt nach Kapitalismuskritik und hat wenig mit dem Internet zu tun.
Keen: Da missverstehen Sie mich. Ich bin kein Antikapitalist. Was ich kritisiere, ist eine bestimmte Art des globalen, libertären Kapitalismus, in dem der Markt alles dominiert. Einige Typen im Silicon Valley finden, dass der Markt keine Beschränkungen, keine Gesetzgebung und keine Regulierung braucht.
com! professional: Was stört Sie genau an Zuckerberg, Thiel oder Kalanick?
Keen: Mark Zuckerberg hat mit Facebook eine Umgebung geschaffen, in der die Privatsphäre massakriert wird. Aber seine eigene Privatsphäre ist ihm heilig. Er hat sich in Palo Alto ein Haus gekauft und die nächsten drei Häuser gleich mit, als Pufferzone. Er glaubt, dass man reich werden und gleichzeitig die Welt verbessern kann.
com! professional: Und bei Peter Thiel und Travis Kalanick?
Keen: Thiel finanziert in den USA verschiedene rechte Bewegungen, hat eine Abneigung gegen staatliche Behörden und befürwortet Monopole. Kalanick führte sein Unternehmen aus dem Nichts zu einem Milliardenbörsengang – indem er Verbraucher übers Ohr haute und Partner irre­führte. Kalanick muss erwachsen werden und Verantwortung dafür übernehmen, was er sagt und tut.
com! professional: Was Sie an den bisherigen Gewinnern des Internetzeitalters ebenfalls zu stören scheint, ist, dass sie mit sehr wenigen Mitarbeitern sehr erfolgreich wirtschaften.
Keen: Ich befürworte selbstverständlich eine effiziente Wirtschaft. Aber wenn Google mit 50.000 Mitarbeitern mehr Gewinn macht als General Motors mit 200.000 Angestellten, wird dies über kurz oder lang sehr viele Jobs kosten.
com! professional: Und warum ist das schlecht? Sie sagen ja selbst, dass Effizienz gewünscht ist.
Keen: Während des letzten großen strukturellen Wandels, der industriellen Revolution, konnten normale Menschen ein normales Leben führen. Das wird mit der digitalen Revolution immer schwieriger. Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der Menschen morgens ihre Wohnung via Airbnb vermieten und nachmittags als Uber-Chauffeur Geld verdienen, statt einer geregelten Arbeit nachzugehen?
com! professional: In unseren Breitengraden braucht man aber heute kaum noch Arbeiter, die Löcher graben.
Keen: Dem widerspricht auch niemand. Niemand braucht einen Job, der wertlos ist. Die Herausforderung besteht heute darin, Stellen zu schaffen, bei denen nicht klar ist, welchen Wert sie haben. Für normale Bürger führt der technologische Fortschritt dazu, dass die guten Jobs immer schwieriger zu haben sind.
com! professional: Welche Auswege bieten sich an?
Keen: Klar ist, dass wir mehr staatliche Regulierung brauchen. Aber nur, wenn sie Innova­tionen nicht behindert. Wie beispielsweise die EU-Kommission Google anpackt, gefällt mir sehr gut. Ganz anders sieht das in den USA aus, wo Barack Obama quasi von Google gekauft wurde und wir hoffen müssen, dass eine künftige Regierung weniger nahe an den Unternehmen dran ist. Dazu brauchen wir aber auch ehrliche Politiker, die etwas vom Internet verstehen. Und den Mut haben, gegen den Strom anzuschwimmen und für die Sache einzustehen. Zudem müssen die Silicon-Valley-Unternehmen ihre Verantwortung wahrnehmen und ihre Talente, Gelder sowie Zeit investieren, unsere Gesellschaft neu zu ordnen.
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