Autisten als IT-Fachkräfte

Wo andere Coder aufhören, geben unsere richtig Gas

von - 05.03.2019
Mann sitzt vor Desktop mit Code-Projektion
Foto: Dragon Images / shutterstock.com
Effizienz, Akribie und Out-of-the-Box-Denken: Qualitäten, die Autisten oft mitbringen. Leider fallen sie häufig durchs Raster bei Bewerbungsprozessen von Unternehmen. Auticon führt beide Gruppen zusammen. Mit Erfolg, wie Schweiz-Chef Markus Weber im Interview erklärt.
Markus Weber
Markus Weber: Geschäftsführer von Auticon Schweiz
(Quelle: Auticon Schweiz )
Auticon ist ein klassisches IT-Beratungshaus sowie ein IT-Dienstleister. Die Spezialisten arbeiten in den verschiedensten Feldern wie Software-Design, Testing oder Datenanalytik. Hinzu kommen Hot Topics wie Künstliche Intelligenz.
Das Spezielle an dem Unternehmen sind seine Mitarbeiter: Auticon stellt für seine IT-Services ausschließlich Personen aus dem autistischen Spektrum ein. Mit ihnen ist das Unternehmen erfolgreich am Markt unterwegs und will weiter wachsen.
Markus Weber, Geschäftsführer von Auticon Schweiz, erklärt, an welchen Projekten die Spezialisten arbeiten, wie die Kooperation mit den Kunden in der Praxis abläuft und was diese von ihren autistischen Partnern lernen können.
com! professional: Sind Autisten die besseren Software-Entwickler?
Markus Weber: Meiner Erfahrung nach ja! Natürlich nicht alle, aber ich weiß von meinen Kollegen, dass sie sehr akri­bisch arbeiten. Sie investieren viel Zeit für die Planung, ehe sie programmieren. Sie entwickeln dann lieber kurzen und effektiven Code, der viel umsetzt und sich wieder­verwenden lässt, anstatt lange Zeilen 'Spaghetti-Code' zu schreiben. Unseren Kollegen tut es richtiggehend weh, wenn man sich beim Coden umständlich ausdrückt.
com! professional: Woran liegt das?
Weber: An einem gewissen Zwang zur Akribie und zur einfachen Lösung. Das beginnt beim sauberen Programmieren und Erstellen eines hochwertigen Frontends und zieht sich weiter bis zur Dokumentation. Diese wird abschließend ordentlich an den Kunden übergeben: angefangen beim Rollenkonzept bis zum UX-Design. Wir werden oft von Kunden gerufen, um bestehende Systeme zu analysieren und zu dokumentieren. Beispielsweise, um Applikationen zu testen, den Code zu verbessern und zu verschlanken. Wichtig ist dabei, dass man seine Arbeit dokumentiert. Ich kenne viele nicht autistische Programmierer, die ungern dokumentieren. Unsere Mitarbeitenden lieben das. Für sie gehört es schlicht zur Gesamtaufgabe dazu.
com! professional: In welchen Bereichen zeigt sich diese Akribie noch?
Weber: Ein weiteres Beispiel sind komplexe repetitive Aufgaben, auch in Kombination mit mathematischen Methoden. Das können etwa Problemstellungen sein, wie das Kreditvergabesystem einer Bank oder Versicherungsmodelle, die komplexe Berechnungen beinhalten. Hier braucht es nicht nur IT, sondern ergänzend auch statistisch-mathematische Kenntnisse und es kann erforderlich sein, dass man den komplexen Code wiederholt testen muss. Zunächst manuell, dann automatisiert, bis alles umfassend geprüft und optimiert wurde. Während andere Entwickler oft nach wenigen Testreihen aufhören, fangen unsere Kollegen erst an, so richtig Gas zu geben.
com! professional: Inwieweit sollten IT-Firmen und IT-Abteilungen in Unternehmen grundsätzlich nach Autisten als Mit­arbeiter Ausschau halten?
Weber: Autistische Stärken in Teams zu haben, zahlt sich auf jeden Fall aus, insbesondere in der Software-Entwicklung. Hier sind Leute mit ausgeprägten analytischen Fähigkeiten gefragt, die sich auch mal acht oder neun Stunden lang konzentriert mit einem Problem auseinander­setzen können. Leider kollidieren diese Stärken mit den aktuellen Anforderungen der Arbeitgeber.
com! professional: Woran liegt das?
Weber: Unternehmen suchen Programmierer und verlangen von ihnen Kommunikationsstärke, flexible Zusammenarbeit in internationalen Teams oder dass man dem Senior-Management gern die jüngsten Ergebnisse erläutert. Ich kenne kaum einen Programmierer, der das gern macht, ob Autist oder nicht. Ich fände es gut, wenn sich Firmen wieder darauf zurückbesinnen würden, Mitarbeiter nach ihren wirklichen Stärken auszuwählen und nicht nur nach extrovertierten Networking-Persönlichkeiten zu suchen.
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